# taz.de -- Wasserstoffstrategie der Regierung: Hundertmal mehr bis 2030 | |
> Die Regierung legt ihre lang erwartete Wasserstoffstrategie vor: Mit 9 | |
> Milliarden Euro will Deutschland Vorreiter bei der grünen Technik werden. | |
Bild: In Zukunft soll es mehr davon geben: Wasserstofftankstelle in Herten | |
BERLIN taz | Die Bundesregierung hat die Weichen gestellt, um Wasserstoff | |
(H2) zu einer entscheidenden Energieform der Zukunft zu machen. Mit einem | |
wirtschaftspolitischen Rahmen und 9 Milliarden Euro Staatshilfen soll | |
Wasserstoff die Energiewende voranbringen, Deutschland eine „zentrale | |
Vorreiterrolle sichern“ und helfen, weltweit die nötige Infrastruktur | |
aufzubauen. Das sind die zentralen Punkte der „nationalen | |
Wasserstoffstrategie“, die das Bundeskabinett am Mittwoch beschlossen hat. | |
Um einen „starken Heimatmarkt“ zu schaffen, sollen Produktion und Verbrauch | |
von „grünem“ Wasserstoff, der mit Ökostrom erzeugt wird, gefördert werde… | |
Bis 2030 sollen in Deutschland 5 Gigawatt (GW) Elektrolyseleistung | |
entstehen, bis 2040 sollen es 10 GW sein. Der Strom soll von der EEG-Umlage | |
befreit sein, zudem winken Investoren etliche Zuschüsse. | |
Im Konjunkturpaket der Regierung stehen dafür 7 Milliarden Euro für | |
heimische Industrien und 2 Milliarden für Projekte im Ausland bereit. | |
Unterstützt werden soll auch der Aufbau von Zulieferbetrieben, von | |
H2-Infrastruktur wie Tankstellen und Pipelines sowie die H2-Forschung. So | |
sollen 470.000 neue Jobs entstehen, hofft das Forschungsministerium. | |
Wasserstoff gilt als Wundermittel für eine saubere Energiezukunft. Er kann | |
aus Wasser unter Einsatz von Strom durch Elektrolyse gewonnen werden. | |
Bisher wird dieser Prozess oft mit fossilen Brennstoffen befeuert, nun soll | |
Grünstrom den H2 zu einem sauberen „Schlüsselelement der Energiewende“ | |
machen, heißt es in der Strategie. | |
## Kapazitäten sollen verhundertfacht werden | |
Bisher gibt es davon nur sehr wenig in Deutschland. Den Plänen der | |
Regierung zufolge soll die Kapazität bis 2030 verhundertfacht werden. Und | |
um bis 2050 die meisten Industrieprozesse und Teile des Verkehrs mit grünem | |
Wasserstoff zu befeuern, müsste sich der jährliche Verbrauch des Ökostoffs | |
von etwa 5 auf 600 Terrawattstunden steigern. | |
Die nun vorgelegte Strategie sieht den Einsatz von Wasserstoff zuerst in | |
der Chemie- und Stahlindustrie vor. Aber auch Züge, die bislang mit | |
Dieselloks fahren, Lkws und Flugzeuge brauchen für die angestrebte | |
Klimaneutralität Deutschlands bis 2050 dringend fossilfreien Treibstoff, | |
den H2-Produkte als Gas oder Flüssigkeit liefern könnten. Für Autos und | |
Heizungen in Gebäuden hingegen gelten elektrische Lösungen wie Wärmepumpen | |
und E-Autos als effizienter. | |
Die Strategie war in der Regierung lange umstritten. Eigentlich sollte sie | |
schon Ende 2019 vorgelegt werden, ihre Veröffentlichung wurde immer wieder | |
verschoben. Herausgekommen ist nun ein Kompromiss: Die Ministerien für | |
Forschung und Umwelt setzten durch, dass nur Wasserstoff aus Ökostrom und | |
nicht etwa auch aus Erdgas gefördert werden soll; das | |
Wirtschaftsministerium erreichte, dass nur 5 und nicht 10 GW bis 2030 | |
erreicht werden sollen. | |
Auch weiterhin wollen bei dem großen Zukunftsthema viele mitreden. Die | |
Staatssekretäre der Ressorts für Wirtschaft, Verkehr, Forschung und Umwelt | |
sollen die Arbeit zum Wasserstoff koordinieren, ein „nationaler | |
Wasserstoffrat“ mit 26 VertreterInnen aus Forschung, Wirtschaft und | |
Verbänden soll sie beraten. In welchem Ministerium eine geplante | |
„Leitstelle“ angesiedelt wird, ist noch unklar. | |
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) betonte: „Die Zeit für Wasserstoff | |
ist reif.“ Deutschland werde bei der Technik eine „Vorreiterrolle | |
einnehmen, wie wir es vor 20 Jahren mit der Förderung der erneuerbaren | |
Energien getan haben“. Umweltministerin Svenja Schulze lobte den „doppelten | |
Schub“ für Klimaschutz und wirtschaftliche Erholung nach Corona und mahnte: | |
„Wer Ja sagt zu Wasserstoff, muss auch Ja sagen zur Windenergie.“ | |
Das ist ein Seitenhieb gegen CDU/CSU, die lange den Ausbau der erneuerbaren | |
Energie gebremst haben. Denn Ökowasserstoff braucht Ökostrom. Die jetzigen | |
Pläne für 5 GW H2-Leistung würden bedeuten, dass das schon jetzt schwer | |
erreichbare Ausbauziel von 65 Prozent Grünstrom bis 2030 auf etwa 68 | |
Prozent anwächst, kalkuliert Jochen Bard, Experte vom Fraunhofer Institut | |
für Energiewirtschaft. Bis 2030 müssten dafür etwa 1.000 Windräder | |
zusätzlich gebaut werden: „Der entscheidende Hebel ist der zügige Ausbau | |
der Erneuerbaren, da haben wir großen Nachholbedarf.“ | |
Die Strategie sieht auch vor, dass große Mengen – 2050 bis zu 80 Prozent | |
des deutschen Bedarfs – importiert werden müssten: entweder aus EU-Staaten | |
mit Offshore-Wind oder zum Beispiel aus Nordafrika. Entwicklungsminister | |
Gerd Müller unterzeichnete deshalb diese Woche ein Pilotprojekt mit | |
Marokko. Allerdings ist unklar, wie bei solchen Importen der Transport | |
aussehen kann, wie viel Wertschöpfung in den Exportstaaten bleibt und ob | |
solche Anlagen knappe Wasserreserven bedrohen. | |
Wirtschafts- und Umweltverbände zeigten sich erleichtert, dass die | |
Strategie nun endlich vorliegt. Der Bundesverband der Energie- und | |
Wasserwirtschaft lobte „Grundlagen für die Dekarbonisierung“, forderte aber | |
Nachbesserungen beim Gebäudebereich. | |
Der Deutsche Naturschutzring DNR mahnte, es müsse auch mehr für die | |
Effizienz getan werden: „Wenn wir gleichzeitig die Chemieindustrie, die | |
Stahlindustrie und die Luftfahrt mit Wasserstoff betanken wollen, wird das | |
nur mit massiven Energieeinsparungen gehen“, hieß es. | |
10 Jun 2020 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Pötter | |
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