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# taz.de -- Wahlkampf in der Schweiz: Zwischen Heuballen und Banken
> Die rechte SVP setzt auf weniger Migration, die linke SP auf niedrigere
> Krankenkassenprämien – und der Skandal um die Credit Suisse scheint
> vergessen.
Bild: Wahlplakate vor grünen Wiesen: Mit dem Bilderbuchimage der Schweiz wird …
Basel taz | Am Bahnhof Basel verteilen die Grünen Sonnenblumen. „Mit dir
Politik machen“, steht auf einem ihrer Flyer geschrieben. Doch so
optimistisch der Auftritt der Grünen im Wahlkampf scheint, so pessimistisch
müssen sie die Zahlen der letzten Umfrage vor der Wahl stimmen.
Dreieinhalb Prozent könnte die Partei laut dem letzten Wahlbarometer bei
den National- und Ständeratswahlen vom 22. Oktober 2023 verlieren. Im
internationalen Vergleich mag dies wenig sein. Doch in der Schweiz, wo
Stabilität als höchstes aller Credos gilt, werden solche Zahlen als herbe
Verluste angesehen.
2019 noch triumphierten die Grünen in einer von den globalen Klimaprotesten
geprägten Wahl mit Gewinnen von über sechs Prozent. Doch nun droht die
grüne Welle endgültig abzuebben. Stattdessen sollen die rechtspopulistische
SVP und die sozialdemokratische SP zulegen.
„2019 war eine außergewöhnliche Wahl“, sagt Cloé Jans im Gespräch mit d…
taz. Die Politikwissenschaftlerin arbeitet für das Forschungsinstitut
gfs.bern. „Es gab Verschiebungen wie sonst nie. Demgegenüber ist bei den
jetzigen Wahlen ein Ausgleich zu erwarten.“
## Der „Prämienschock“ ist Wasser auf die Mühlen der SP
Einer der Gründe dafür: Die Themenkonjunktur. Stand 2019 noch das Thema
Klimawandel im Fokus, wechselten sich in diesem Wahlkampf bislang mehrere
Themen ab, wie Jans meint: „Der [1][Krieg in der Ukraine], die Kostenfrage
und da im Sommer die Zahlen gestiegen sind, auch die Migration. Jetzt
jedoch stehen die Krankenkassenprämien an erster Stelle.“
Als der Bundespräsident Alain Berset Ende September einen hohen
Prämienanstieg verkündete, löste dies in Medien und Bevölkerung Empörung
aus. Da der „Prämienschock“ die soziale Frage befeuert, könnte die SP
profitieren. Im Vergleich zu anderen sozialdemokratischen Parteien in
Europa ist die SP linker zu verorten und setzt im Wahlkampf klar auf die
soziale Frage. So forderte die Partei eine Anpassung der Prämien an das
jeweilige Einkommen.
Die SVP hingegen – seit 1999 konstant die stärkste Partei – bewirtschaftet
wie gewohnt das Thema Migration. Kündete die Partei zuerst noch einen
Wahlkampf gegen „Gender-Terror und Woke-Wahnsinn“ an, warnt sie nun
verstärkt vor Kriminalität und Überfremdung. In folkloristischer Manier
inszenieren sich ihre Exponent:innen bei Wahlkampfveranstaltungen mit
Traktor und Heuballen und verklären die Schweiz als neutrales
[2][Alpenland].
Interesse an der Verbreitung des Themas Migration hat nicht nur die SVP,
sondern auch die russische Propaganda. Laut einem Bericht der NZZ am
Sonntag sei der Nachrichtendienst NDB darauf aufmerksam geworden, dass
russische Bots gezielt die Verbreitung eines Videos in der Schweiz
vorantrieben, das [3][migrationsskeptische Ressentiments] bedienen soll.
Dass dies der SVP nützt, davon kann ausgegangen werden.
## Kein politisches Beben nach Kollaps der Credit Suisse
Worüber erstaunlicherweise kaum gesprochen wird in diesem Wahlkampf, ist
der Zusammenbruch der Credit Suisse (CS) und deren Übernahme durch die UBS.
Der Kollaps der Traditionsbank im März brachte nicht nur den Schweizer
Finanzplatz, sondern auch das [4][internationale Finanzsystem zum Zittern.]
Der Bundesrat unterstützte die Übernahme mit einer Garantie von neun
Milliarden, die Nationalbank SNB mit einem Darlehen von über 100 Milliarden
Franken. Das einschneidende Erlebnis löste im Frühling Diskussionen aus.
Aus dem gesamten politischen Spektrum wurde Kritik geäußert, von links oft
mit dem Verweis auf die Rettung der UBS 2008 und den nicht daraus gezogenen
Lehren der Regierung.
Doch die Debatten über die Stellung der UBS als alleinige Großbank, deren
Gefahr für die Demokratie und die Boni-Zahlungen der CS verhallten rasch.
Da der Bundesrat der Übernahme unter Notrecht zustimmte, änderte auch die
nachträgliche Abstimmung im Nationalrat nichts am Entscheid, der sich gegen
die Übernahme aussprach.
„Das Thema ist abstrakt“, gibt Jans als möglichen Grund dafür an, weshalb
die CS-Übernahme in der Sorgenwahrnehmung der Bevölkerung kaum auftritt.
„Für viele ist unklar, was die Übernahme der CS konkret heißt. Die CS ist
weiterhin sichtbar im Straßenbild. Nicht alle ihre Filialen sind auf einmal
leer, die Übernahme durch die UBS ist eine schleichende Transformation.“
Zum anderen falle die Übernahme in eine Zeit, in der viele Krisen
aufeinanderfolgen. „Es ist nicht dasselbe wie bei der Finanzkrise 2008, die
alles durchschüttelte. Heute folgt Krise auf Krise.“ Zuerst Corona, dann
der Krieg gegen die Ukraine, jetzt der Krieg in Nahost und gleichzeitig der
Klimawandel – das führe in der Bevölkerung zu einer gewissen Abhärtung.
## In der Schweiz ist das Vertrauen in die Politik groß
„Eine andere These wäre, dass die kollektive Erfahrung in den letzten
Jahren jene war, dass man im Grunde genommen ganz gut durch alle Krisen
gekommen ist“, sagt Jans. Abgesehen von den Freiheitsbeschränkungen während
Corona hätten die jeweiligen Krisen keine einschneidenden Veränderungen für
die Menschen mit sich gebracht. „Die Wirtschaft ist nicht
zusammengebrochen. Für viele scheint das Fazit zu lauten: Wir kommen mehr
oder weniger gut durch.“
Ebenso gibt Jans zu bedenken, dass in der Schweiz im Vergleich zu anderen
europäischen Ländern ein hohes Vertrauen in Politik und Behörden herrscht.
Gerade der Bundesrat genieße hohes Ansehen.
Doch obwohl die Übernahme der CS öffentlich keine allzu große Rolle mehr
spielt, stößt das Thema bei vielen doch sauer auf. So fragt die letzte
Umfrage vor den Wahlen auch nach den größten Ärgernissen unter den
aktuellen Ereignissen und ob die Politik aktiv gegensteuern sollte. Während
die CS-Übernahme bei der zweiten Frage klar an erster Stelle liegt, landet
sie bei den Ärgernissen knapp hinter der Gender-Debatte auf Platz zwei.
Ein Zeichen dafür, dass doch nicht alles so stabil und harmonisch ist, wie
die Heuballen und Sonnenblumen vermuten lassen.
21 Oct 2023
## LINKS
[1] /Schwerpunkt-Krieg-in-der-Ukraine/!t5008150
[2] /Warnung-in-Schweizer-Studie/!5959349
[3] /Diskussion-um-Flucht-und-Migration/!5961862
[4] /Finanzkrise-vor-15-Jahren/!5960161
## AUTOREN
Jonas Frey
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