# taz.de -- Wagenknechts neuer Verein: Die One-Woman-Show | |
> Unter großem Medieninteresse stellt Sahra Wagenknecht ihren Verein vor, | |
> der in einer Partei münden soll. Die Linksfraktion steht vor dem Aus. | |
Bild: Wie ein Filmstar auf der Berlinale: Sahra Wagenknecht mit Amira Mohamed A… | |
BERLIN taz | Groß ist das Medieninteresse, als Sahra Wagenknecht mit ihren | |
Gefolgsleuten an diesem Berliner Oktobermorgen das Haus der | |
Bundespressekonferenz betritt. Der Saal ist am Montag so voll wie schon | |
lange nicht mehr, und minutenlang steht die Hauptperson im | |
Blitzlichtgewitter. Wie ein Filmstar, der zur Berlinale die Stadt besucht. | |
Auf einem dreiseitigen Papier, das ausliegt, sind die wichtigsten Eckpunkte | |
jenes Vereins formuliert, [1][der hier offiziell vorgestellt werden soll: | |
„Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit“, kurz BSW.] | |
Auf der dazugehörigen Website wird man von einem knapp zweiminütigen Film | |
begrüßt, in dem die Protagonistin um Unterstützung wirbt. Es ist die | |
perfekte Promotion zur Einführung eines neuen Produkts. In diesem Fall ist | |
es eine neue Partei. | |
Der „Vertrauensverlust in die etablierte Politik“ habe sie zu ihrem Schritt | |
bewogen, erklärt die bisherige Linken-Politikerin Wagenknecht den | |
anwesenden Medienvertretern. Die Bundesrepublik habe derzeit „die | |
schlechteste Regierung ihrer Geschichte“, die „arrogante Ampelregierung“ | |
sei daran schuld: Die „Außenpolitik des erhobenen Zeigefingers“ isoliere | |
Deutschland in der Welt und gefährde Absatzmärkte. Die „ungeregelte | |
Zuwanderung“ verschärfe die Probleme an den Schulen und auf dem | |
Wohnungsmarkt. | |
Und in diesem Ton geht es weiter: Ein „blinder, planloser Öko-Aktivismus“ | |
mache den Menschen das Leben schwer. Deutschland drohe die „Abwanderung | |
wichtiger Industrien“ und ein „Wohlstandsverlust“, malt sie ein | |
rabenschwarzes Bild an die Wand der gegenwärtigen Lage. „So wie es derzeit | |
läuft, darf es nicht weitergehen“, sagt sie. „Denn sonst werden wir unser | |
Land in zehn Jahren wahrscheinlich nicht wiedererkennen.“ Es ist ein | |
düsteres Bild, das Wagenknecht da vor der blauen Wand der | |
Bundespressekonferenz zeichnet. | |
## Retterin aus der Düsternis | |
Aber zum Glück, so ihre Botschaft, gibt es ja Licht am Ende des Tunnels: | |
Zum Glück gebe es die Lichtgestalt Sahra Wagenknecht, die uns aus dieser | |
Düsternis der Gegenwart retten kann. Im Imagefilm sind die Szenen, die den | |
aktuellen Zustand der Bundesrepublik beschreiben sollen, entsprechend in | |
Schwarz-Weiß gehalten. Erst mit dem Auftritt von Sahra Wagenknecht wechselt | |
der Film in Farbe. Es ist das klassische Erzählmuster des Populismus. Dazu | |
gehört auch die Konzentration auf eine charismatische Führungsperson an der | |
Spitze. Es wäre nicht die erste populistische Partei, die mit so simplen | |
Mustern arbeitet. | |
Und doch: Solch eine One-Woman-Show hat es in Deutschland bisher noch nicht | |
gegeben. Einen Coup hat Wagenknecht zudem mit dem Millionär Ralph Suikat | |
gelandet, den sie bei ihrem Auftritt in Berlin an ihrer Seite hat. Der | |
IT-Unternehmer hat den Appell „Tax me now“ unterschrieben und engagiert | |
sich dafür, dass Reiche mehr Steuern zahlen. Er kommt an diesem Morgen aber | |
wenig zu Wort. | |
Das BSW ist zunächst einmal auch nur ein Verein. Er soll die Gründung einer | |
Partei vorantreiben, die offiziell erst für Anfang kommenden Jahres geplant | |
ist. Das hat auch finanzielle Gründe, da so die Wahlkampfkostenerstattung | |
größer ausfällt. Die Finanzierung spielt auch bei der Pressekonferenz eine | |
große Rolle. Mehr als ein Mal werben Wagenknecht und ihre Mitstreiter um | |
Spenden. | |
Apropos: Neben Wagenknecht und Suikat sitzt ein weiteres bekanntes Gesicht | |
der Linken auf der Empore der Bundespressekonferenz: Amira Mohamed Ali, | |
ihres Zeichens bisherige Co-Chefin der Linksfraktion im Bundestag. Sie | |
übernimmt den Vorsitz des Vereins. Wagenknecht, Mohamed Ali und weitere | |
Bundestagsabgeordnete verkünden an diesem Montag zudem, aus der Linkspartei | |
ausgetreten zu sein. Diese Entscheidung sei allen „nicht leichtgefallen“, | |
sagt Mohamed Ali. „Gleichwohl sind wir davon überzeugt, dass das ein | |
notwendiger und richtiger Schritt war.“ Die Partei verlassen haben unter | |
anderem die Abgeordneten Sevim Dağdelen, Klaus Ernst und Andrej Hunko. | |
Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch bestätigte am Montag, dass bislang 10 | |
der 38 Fraktionsmitglieder die Partei verlassen hätten. | |
Der Versuch, die Parteiführung zu einem neuen Kurs zu bewegen, sei | |
gescheitert, sagt Mohamed Ali noch. Man sei aber bereit, in der Fraktion zu | |
bleiben, um einen „geordneten Übergang“ zu gewährleisten. Was dahinter | |
steckt: Sollte die Wagenknecht-Gruppe die derzeit 38 Abgeordnete umfassende | |
Fraktion der Linkspartei im Bundestag verlassen, würde diese ihren | |
Fraktionsstatus verlieren – was spürbare Folgen hätte: Sie bekäme dann | |
weniger Geld aus dem Bundestagsetat und hätte weniger Rechte im | |
Parlamentsbetrieb. Damit wären auch die Jobs der mehr als 100 Mitarbeiter | |
der Fraktion gefährdet. | |
Der Chef der Linkspartei, Martin Schirdewan, forderte Wagenknecht und ihre | |
Unterstützer am Montag dennoch auf, ihre Bundestagsmandate abzugeben. Er | |
schloss aber auch nicht aus, dass die Ausgetretenen noch bis Jahresende in | |
der Fraktion bleiben. „Das Interesse der Beschäftigten dieser Fraktion ist | |
uns eine Herzensangelegenheit“, sagte Schirdewan. Als „unverantwortlich und | |
inakzeptabel“, kritisierte auch Fraktionschef Bartsch die Parteiaustritte. | |
Aber: „Unsere Fraktion wird souverän und in großer Ruhe darüber | |
entscheiden.“ Der frühere Linken-Parteichef Bernd Riexinger hingegen lehnt | |
einen Verbleib von Wagenknecht und ihren Unterstützern in der | |
Bundestagsfraktion ab: „Das Tischtuch ist zerschnitten“, sagte er der | |
Rheinischen Post. | |
## Experte sieht Problem für die Linkspartei | |
Befürchtet die Linke nun neue Konkurrenz? Wohl auch, da dieser Auftritt | |
vorab angekündigt war, fielen die Reaktionen von Linken-Vertretern | |
dahingehend eher gelassen aus: Eine neue Partei von Sahra Wagenknecht wäre | |
aus Sicht von Parteichef Martin Schirdewan vor allem eine Konkurrenz für | |
die AfD und weniger für die Linkspartei. „Wenn Sahra Wagenknecht mit ihrem | |
Projekt Erfolg haben will, wird sie sich deutlich rechts aufstellen | |
müssen“, sagte Schirdewan der Augsburger Allgemeinen. | |
Auch der Linken-Abgeordnete Gregor Gysi äußerte Zweifel, ob Wagenknecht mit | |
ihrer neuen Partei langfristig Erfolg haben wird. „Sie will | |
Flüchtlingspolitik wie die AfD machen, Wirtschaftspolitik wie Ludwig Erhard | |
und Sozialpolitik ein bisschen wie die Linke“, sagt er im ZDF. „Und dann | |
hat man immer die Hoffnung, man kriegt von allen drei Wählerinnen und | |
Wählern. Da kann man sich aber auch täuschen, das kann eine Minusrechnung | |
werden.“ Er glaube, dass BSW am Anfang Erfolg haben werde – „und dann nic… | |
mehr“. | |
Der Politikwissenschaftler Thorsten Faas sieht in der | |
Wagenknecht-Abspaltung hingegen sehr wohl [2][ein Problem für die | |
Linkspartei]. So habe die Linke der „Strahlkraft von Sahra Wagenknecht“ | |
wenig entgegenzusetzen. Der Experte von der FU Berlin sieht einen weiteren | |
Vorteil bei BSW: Die künftige Partei ist in keiner Regierung vertreten, sie | |
könne „klarer und schärfer formulieren“ – was bei den Wahlen im kommend… | |
Jahr sicher ein Punkt werde. | |
Mit ihrer neuen Partei will Wagenknecht im Juni 2024 zur Europawahl | |
antreten. Ob sie selbst kandiert, lässt sie am Montag offen. Unklar ist | |
auch noch, ob die künftige Partei im September 2024 an allen drei | |
ostdeutschen Landtagswahlen – in Sachsen, Thüringen und Brandenburg – | |
teilnehmen wird. Einer Insa-Umfrage für Bild am Sonntag zufolge könnten | |
sich 27 Prozent der Befragten in Deutschland vorstellen, eine | |
Wagenknecht-Partei zu wählen. Wahlumfragen sind aber generell mit | |
Unsicherheiten behaftet. | |
Um Mitglieder wirbt das Team Wagenknecht nicht: Der Verein diene lediglich | |
dazu, die Parteigründung vorzubereiten, betont der stellvertretende | |
Vorsitzende Christian Leye. Um einen „Vertrauensvorschuss“ bittet Sahra | |
Wagenknecht. Für die zu gründende Partei brauche es ein „geordnetes | |
Wachstum“. Man wolle keine Glücksritter, Karrieristen und Menschen mit | |
fragwürdigen politischen Ansichten anziehen, so Leye. Dieses Risiko bestehe | |
bei neuen Parteien immer, sagt Wagenknecht. | |
Die künftige Partei wird nach Angaben Wagenknechts nicht dauerhaft „Bündnis | |
Sahra Wagenknecht“ heißen. Sie spricht am Montag von einer Übergangslösung. | |
Man wolle eine Partei auf den Weg bringen, die sich „für die nächsten 40 | |
oder 50 Jahre“ im deutschen Parteiensystem etabliere. Denn, gibt sie den | |
anwesenden Journalisten noch auf den Weg, so lange werde sie garantiert | |
nicht mehr Politik in Deutschland machen. Ein bisschen Demut soll dann doch | |
sein. | |
23 Oct 2023 | |
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## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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