| # taz.de -- Vor Präsidentschaftswahl in Polen: Eine Millionenstadt namens Armut | |
| > Immer mehr Polen und Polinnen leben in Armut, ihre Zahl übertrifft die | |
| > Bevölkerung der größten Stadt. Vor allem Rentnerinnen sind betroffen. | |
| Bild: Außen vor: Vor dem Zaun des Warschauer „Wolumen“-Bazars meiden Rentn… | |
| Warschau taz | „Rafał, Rafał“, skandieren zehntausende Polen und Polinnen | |
| lauthals und begeistert, als Rafał Trzaskowski die Rednerbühne am | |
| Verfassungsplatz betritt. Der beliebte Oberbürgermeister Warschaus will | |
| Präsident Polens werden. Er kandidiert für die liberalkonservative | |
| Regierungspartei Bürgerkoalition (KO) und gegen Karol Nawrocki, den | |
| Kandidaten der rechtspopulistischen Oppositionspartei Recht und | |
| Gerechtigkeit (PiS). „Wir sind unfassbar viele. Denn wir alle wissen, was | |
| bei dieser Wahl auf dem Spiel steht“, ruft Trzaskowski der jubelnden Menge | |
| zu: „Es ist höchste Zeit, dass die Wahrheit gewinnt, die Ehrlichkeit und | |
| die Zukunft!“ | |
| Über 150.000 Menschen hören die Wahlrede auf der rund fünf Kilometer langen | |
| Demonstrationsstrecke vom Bankplatz bis zum Verfassungsplatz über | |
| Lautsprecher. Anna, die gerade ihr Studium abgeschlossen hat, kommentiert: | |
| „Zukunft! Das ist es, was wir brauchen. Hoffentlich gewinnt er.“ | |
| [1][Die erste Wahlrunde Mitte Mai hatte Trzaskowski mit gut 31 Prozent | |
| gewonnen] – gegen zehn Gegenkandidaten und zwei Gegenkandidatinnen. Doch | |
| sein wichtigster Rivale, der Ex-Boxer Karol Nawrocki, gewann mit knapp 30 | |
| Prozent fast genauso viele Stimmen. Jüngsten Umfragen zufolge liegen die | |
| beiden vor der Stichwahl am Sonntag zwar fast gleichauf, doch realistisch | |
| gesehen hat Nawrocki die Nase vorn. Denn die meisten der Wählerinnen und | |
| Wähler, die für die in der ersten Runde gescheiterten Kandidaten gestimmt | |
| hatten, sind politisch rechts bis rechtsradikal eingestellt. Aller | |
| Wahrscheinlichkeit nach werden sie in der Stichwahl ihre Stimme Nawrocki | |
| geben, auch wenn sie dies in Umfragen nicht unbedingt zugeben. | |
| Zudem werden polnische Wahlen auf dem Land entschieden, nicht in den | |
| Städten und schon gar nicht in der Hauptstadt Warschau. Insbesondere im | |
| Osten Polens leben Millionen Menschen, die sich zunehmend von der | |
| polnischen Gesellschaft ausgeschlossen fühlen. Ihre wichtigsten | |
| Informationsquellen sind die Dorfpriester und der rechtsklerikale und | |
| PiS-nahe Sender Radio Maria. Unabhängige und demokratische Medien dringen | |
| kaum noch bis nach „Polska B“ vor, wie die Landeshälfte östlich der | |
| Weichsel genannt wird. | |
| Rafał Trzaskowski und Karol Nawrocki, die in den letzten sechs Monaten die | |
| wichtige, aber medial einsame „Ochsentour“ über die Dörfer hinter sich | |
| brachten, müssen eine Woche vor der Stichwahl möglichst viele eigene | |
| Anhänger auf die Straßen Warschaus bringen. Denn ohne die medienwirksamen | |
| Bilder von zehntausenden Menschen, die begeistert die weiß-rote | |
| Nationalfahne Polens schwenken und dem jeweiligen Kandidaten zujubeln, geht | |
| die Wahl im Fernsehen sowie auf den Social-Media-Kanälen verloren. | |
| Den zweiten Marsch vom Platz de Gaulle bis zum Warschauer Königsschloss | |
| führt Karol Nawrocki an. Als die rund 50.000 Teilnehmer am | |
| Präsidentenpalast vorbeikommen, in dem zurzeit noch Staatspräsident Andrzej | |
| Duda residiert, ruft die Menge „Ganz Polen ohne Rafał!“ und: „Eine rote | |
| Krähe besiegt den Adler nicht!“ Gemeint sind Rafał Trzaskowski und Polens | |
| Premier Donald Tusk, die beide der seit Ende 2023 regierenden | |
| Bürgerkoalition angehören. Rothaarig ist Tusk eigentlich nicht, doch viele | |
| schimpfen ihn gerne als einen „Rotschopf“, „Rotfuchs“ oder auch eine �… | |
| Krähe“ – in der PiS-Propaganda steht rot für das „linke Lumpenpack“. | |
| Die Trasse ist kürzer und die Straßen enger als beim Konkurrenzmarsch eine | |
| Parallelstraße weiter, aber auf den Bildern wirkt die Menschenmasse dadurch | |
| fast genauso groß. Dabei kommen beide Demonstrationen nicht an [2][den | |
| großen Mobilisierungsmarsch der „Millionen Herzen“ heran, den Tusk vor den | |
| Parlamentswahlen 2023 angeführt hatte], was wohl auch am Wetter liegt. | |
| „Wir stehen heute für ein Polen der bewussten gemeinsamen nationalen | |
| Identität“, ruft Nawrocki seinen Anhängern auf dem Schlossplatz zu. „Wir | |
| bauen auf einer tausendjährigen Geschichte unseres geliebten Vaterlandes | |
| auf.“ Für den Chef des Instituts des Nationalen Gedenkens (IPN) spielt die | |
| Geschichte auch in seinem Programm als Präsidentschaftskandidat eine | |
| wichtige Rolle. Als Zukunftsprojekt und „unseren großen Traum“ sieht er den | |
| geplanten Großflughafen CPK zwischen Łódź und Warschau. | |
| Die Leute klatschen. Fast alle schwenken weiß-rote Fahnen. „Sie können uns | |
| den Sieg nicht klauen“, erklärt Pan Jacek und deutet mit ausgestreckten | |
| Armen auf die vielen Menschen ringsum: „Wir sind die Mehrheit. Das sieht | |
| jeder.“ Der 70-jährige Rentner hat ein großes Vorbild: „Wir machen es so | |
| wie Trump und besetzen den Präsidentenpalast. Dann halten wir Nawrocki die | |
| Tür auf, und er kann einziehen.“ | |
| Dieses Szenario ist zwar wenig wahrscheinlich, doch die PiS hatte in ihrer | |
| Regierungszeit am Obersten Berufungsgericht eine neue Kammer eingerichtet | |
| und ausschließlich mit eigenen Leuten besetzt, die die Gültigkeit der | |
| Wahlen in Polen anerkennen muss. Denkbar ist daher, dass diese | |
| verfassungswidrige Kammer, die weder von der aktuellen Regierung noch von | |
| der EU anerkannt wird, eine Wiederholung der Wahlen fordert, sollte | |
| Nawrocki knapp verlieren. Die Kammer konnte noch nicht abgeschafft werden, | |
| weil der PiS-nahe Präsident Duda jedes Gesetz zur Wiederherstellung der | |
| Rechtsstaatlichkeit in Polen mit seinem Veto blockiert. | |
| ## Zubrot zur Rente | |
| Zur gleichen Zeit ein paar Kilometer weiter im Stadtteil Warschau-Bielany | |
| wechseln auf dem „Bazar Wolumen“ Kühlschränke, Transistorradios und | |
| Secondhand-Jeans ihre Besitzer. Über den Wahlplakaten der | |
| Präsidentschaftskandidaten am Zaun hängen ein grün karierter Wintermantel, | |
| mehrere Sommerkleider und eine Motorradlederkluft. Vor dem Zaun müssen die | |
| Händler kein Standgeld bezahlen. Hier stehen alte Frauen und Männer, die | |
| sich mit dem Verkauf von allem Möglichen ein Zubrot zur Rente verdienen. | |
| „Bloß keine Fotos!“, wehrt eine über 80-jährige, drahtig wirkende Greisin | |
| ab. Nein, ihren Namen wolle sie auch nicht sagen. Sie komme aus einem Dorf | |
| in Ostpolen, und immer wenn die PiS eine Demo im Lande organisiere, steige | |
| auch sie in den Bus ein. „Das ist umsonst“, sagt sie. Politik interessiere | |
| sie nicht. „Die sind doch alle gleich, klauen, stopfen sich die Taschen | |
| voll, und uns Rentnern bleibt immer weniger zum Leben.“ | |
| Nervös steckt sie sich eine Zigarette an. Sie habe möglichst viel in den | |
| großen Reisekoffer gesteckt. „In Warschau kriege ich doch ganz andere | |
| Preise als bei uns an der Grenze“, erklärt sie. Auf dem Bürgersteig stehen | |
| vor allem Schuhe in verschiedenen Größen – zum Tanzen, Bergsteigen, | |
| Spazierengehen. Sie raucht, blickt nervös auf die Uhr und sagt | |
| unvermittelt: „Mir steigt schon wieder die Galle hoch. Ich darf den Bus | |
| zurück nicht verpassen. Genug. Mehr sage ich nicht.“ | |
| Ein paar Meter weiter sitzt eine gepflegt wirkende Dame mit silberweißem | |
| Haar am Zaun. Hinter ihr prangt der liberale Kandidat Trzaskowski mit | |
| Siegerlächeln auf einem großen Werbebanner. Auch sie will ihren Namen nicht | |
| nennen. „Niemand von uns Frauen ist freiwillig hier. Uns hat das Leben hart | |
| mitgespielt.“ Mit dem Kopf nickt sie in Richtung einer sehr mageren Frau | |
| mit Kopftuch. Hinter vorgehaltener Hand flüstert sie: „Sofia ist psychisch | |
| krank, aber zu wenig, um in einem Heim aufgenommen zu werden. Jetzt ist sie | |
| obdachlos.“ Sie schweigt, fragt dann: „Wollen Sie nicht etwas kaufen? Das | |
| sind sehr gute Sachen. Alles in gutem Zustand.“ | |
| Sie lächelt mit leerem Gesichtsausdruck: „Seit mein Mann gestorben ist vor | |
| zwei Jahren und jetzt mein einziger Sohn, beide an Krebs, reicht das Geld | |
| hinten und vorne nicht“, seufzt sie leise. Dann lacht sie bitter auf: „Ich | |
| habe nie gearbeitet, hatte das nicht nötig. Und jetzt sitze ich hier.“ | |
| Auch Pani Sofia will nicht fotografiert werden. Sie sitzt auf einem | |
| Betonpoller. Neben ihr auf dem Boden liegen blaue Krücken, ein Haufen | |
| Blusen und Kleider – und in einer lehmigen Pfütze ein dicker Bildband mit | |
| dem Titel „Die Dresdner Gemäldegalerie“. Wie aus dem Nichts steht plötzli… | |
| ein kräftiger Mann in Jeans, dunkelkariertem Hemd und Baseballkappe vor | |
| ihr: Er reicht ihr eine dampfende Plastikschüssel. „Lunchzeit, Sofia. | |
| Hafergrütze mit Zimt und Honig! Lass es dir schmecken!“ Dann geht er zurück | |
| durch das Tor in den Basar und verschwindet in der Menge. | |
| Die rund 70-Jährige löffelt langsam die heiße Grütze. Mit dem Fuß deutet | |
| sie auf den Bildband: „Die Seiten sind gut für den Kohleofen“, sagt sie. | |
| „Zum Anzünden.“ Woher sie das Buch habe? „Von früher. Aus besseren Tage… | |
| ein Geschenk“, sagt sie. Aber mit der Zeit verschwinde alles, die Familie, | |
| die Freunde, sogar der eigene Verstand. | |
| Die Armen, Alten und Ausgegrenzten spielen in der polnischen | |
| Präsidentschafts-Wahlkampagne kaum eine Rolle. Dabei sind vom sozialen | |
| Abstieg rund 20 Millionen von knapp 37 Millionen Staatsbürgern betroffen. | |
| Konkret leben rund 2,5 Millionen Polen und Polinnen in extremer Armut und | |
| knapp 17,5 Millionen unterhalb des sozialen Minimums. Dies stellte Ende | |
| 2024 das polnische Komitee des Europäischen Netzwerks zur Bekämpfung der | |
| Armut (EAPN) in ihrem jährlichen Armutsreport fest. | |
| Die Autoren – allen voran der bekannte Armutsforscher Ryszard Szarfenberg | |
| von der Universität Warschau – forderten die neue Mitte-links-Regierung | |
| unter Premier Donald Tusk zu einer dringenden Reform der bisherigen Sozial- | |
| und Rentenpolitik auf, um eine weitere Verarmung und Verelendung ganzer | |
| Gesellschaftsschichten zu verhindern. | |
| Dramatisch fielen insbesondere die letzten beiden Regierungsjahre der PiS | |
| aus: Von 2022 auf 2023 stieg das Ausmaß der extremen Armut in Polen von 1,7 | |
| Millionen Menschen auf rund 2,5 Millionen. Das bedeutet, dass in nur einem | |
| Jahr rund 800.000 Polen und Polinnen den sozialen Boden unter den Füßen | |
| verloren haben. Von extremer Armut betroffen ist, wer monatlich weniger als | |
| 913 Złoty (umgerechnet rund 215 Euro) zur Verfügung hat. Bei einer | |
| vierköpfigen Familie beläuft sich die Summe auf 2.465 Złoty (umgerechnet | |
| rund 580 Euro). „Diese von Behörden festgelegte Summe sorgt schon nach nur | |
| zwei Monaten zu einem starken körperlichen Verfall“, schreibt Szarfenberg | |
| im Armutsbericht. | |
| ## ,Das Gesicht der Altersarmut ist weiblich“ | |
| Erschreckend ist auch die Zahl von mehr als 17 Millionen Polen und | |
| Polinnen, die unter dem sozialen Minimum leben und monatlich gerade mal | |
| rund 410 Euro zur Verfügung haben. „Konsumausgaben unterhalb dieses Niveaus | |
| reichen nicht aus, um einen Beruf auszuüben, sich weiterzubilden, familiäre | |
| und soziale Kontakte aufrechtzuerhalten und an der Kultur teilzunehmen“, | |
| hatte das polnische Zentralamt für Statistik (GUS) schon vor dem EAPN | |
| gewarnt. | |
| Zwar müssen die wenigsten Polen Miete bezahlen, weil Wohneigentum | |
| vorherrscht und von Generation zu Generation vererbt wird, aber die | |
| Nebenkosten für Strom, Wasser, Kanalisation und das Heizen schlagen durch | |
| die Inflation schwer zu Buche. Viele Rentner müssen im Winter abwägen, ob | |
| sie ein Zimmer heizen oder Medikamente kaufen. Lebensmittel sind in den | |
| Städten so teuer, dass viele Rentner in eine der zahlreichen Suppenküchen | |
| gehen und sich gleich noch eine zweite Portion für den Abend zu Hause geben | |
| lassen. | |
| In der öffentlichen Debatte wurde vor allem nach Schuldigen für das enorme | |
| Ausmaß der polnischen Armut gesucht. Etliche PiS-Politiker kritisierten | |
| zunächst die Tusk-Koalition scharf – bis sie bemerkten, dass der Bericht | |
| sich auf die Jahre 2022 und 2023 bezog, als sie selbst noch an der Macht | |
| waren. Natürlich ist jeder einzelne Fall ganz individuell zu betrachten, | |
| doch Szarfenberg kommt in seiner Analyse zu diesem Schluss: „Zu den | |
| Ursachen für die Verschärfung der Armut gehören die galoppierende | |
| Inflation, die wirtschaftliche Stagnation und das minimale Wachstum des | |
| Bruttoinlandsproduktes (BIP). Zugleich fehlt eine wirksame Anhebung der | |
| Sozialleistungen an die Inflation.“ Nur für den letzten Punkt könne man die | |
| Politiker verantwortlich machen, so Szarfenberg. | |
| Ein Ehepaar, 82 und 84 Jahre alt, allgemein geschätzt und beliebt, wurde im | |
| Mai 2024 tot in seiner Wohnung in Strzelce Krajeńskie im Lebuser Land nahe | |
| der deutschen Grenze aufgefunden. Nachbarn hatten besorgt das Sozialamt | |
| angerufen, weil sie die beiden einige Tage lang nicht gesehen hatten, | |
| beschreibt das Nachrichtenmagazin Polityka einen Fall, wie es ihn immer | |
| häufiger in Polen gibt. | |
| Als Polizisten die Tür aufbrechen, finden sie die Leiche des Mannes im | |
| Flur. Er war nach einem Herzinfarkt Richtung Tür gekrochen, um Hilfe zu | |
| rufen, hatte es aber nicht mehr geschafft. Im Schlafzimmer lag die Leiche | |
| seiner Frau im Bett. Sie war vier Tage nach ihrem Mann gestorben – | |
| verhungert und verdurstet, weil niemand sie mehr versorgt hatte. | |
| Anscheinend hatte sie noch verzweifelt mit einem Gegenstand ans | |
| Heizungsrohr geklopft, doch im Block dachten alle, dass jemand seine | |
| Wohnung renoviere. | |
| Schon ein halbes Jahr zuvor hatte das zuständige Sozialamt seine Besuche | |
| bei dem Ehepaar eingestellt, nachdem der Krankenschwester einmal nicht | |
| geöffnet worden war und ein entfernter Verwandter telefonisch versicherte, | |
| dass das Ehepaar keine Hilfe vom Sozialamt wünsche und privat versorgt | |
| werde. Dies war allerdings nicht der Fall. | |
| „Wenn die Politiker das Rentensystem in Polen nicht grundlegend | |
| reformieren, werden bald immer mehr alte Menschen mit plötzlicher | |
| Altersarmut konfrontiert sein“, erklärt Anita Richert-Kaźmierska, die | |
| Beraterin des Parlamentsausschusses für Seniorenpolitik. Es treffe vor | |
| allem die Frauen. „Das Gesicht der Altersarmut ist heute schon weiblich“, | |
| sagt sie. „Denn polnische Frauen leben im Schnitt acht Jahre länger als | |
| polnische Männer, ihre Rente ist meist 30 bis 40 Prozent niedriger als die | |
| der Männer, weil sie kürzer arbeiten und noch dazu schlechter verdienen als | |
| Männer. | |
| Heute liegt das Verhältnis der ersten Rente zum letzten Gehalt bei 46–56 | |
| Prozent. Wenn ich in zehn Jahren in Rente gehen werde, wird es bei 35 | |
| Prozent liegen, in der nächsten Generation dann schon bei 25 Prozent.“ Die | |
| Altersarmut in Polen werde mit jedem Jahr weiter steigen. Irgendwann werde | |
| sich auch der negative Effekt des einst so gelobten „500plus“ Kindergeldes | |
| der PiS zeigen. Denn viele Mütter von zwei oder drei Kindern hätten | |
| angesichts von 1.000 oder 1.500 Złoty Kindergeld ihre Arbeit gekündigt und | |
| damit keine weiteren Rentenpunkte mehr gesammelt. Im Alter würde ihnen dann | |
| eine sogenannte „Armuts- oder Groschenrente“ ausgezahlt, die unter der | |
| eigentlichen Mindestrente von heute 1.781 Złoty (knapp 420 Euro) brutto | |
| liege. | |
| Schon heute bezögen rund 365.000 Polinnen und Polen eine „Groschenrente“, | |
| von der sie kaum leben könnten. Durch die hohe Inflation in den letzten | |
| PiS-Jahren hätten viele ihre Ersparnisse aufgebraucht und vor allem für | |
| immer teurere Lebensmittel ausgegeben. | |
| Premier Donald Tusk erkannte die Gefahr dieser tickenden Zeitbombe und | |
| berief 2023 mit der promovierten Sozialarbeiterin Marzena Okła-Drewnowicz | |
| eine Ministerin für Seniorenpolitik in sein Kabinett. Seitdem konnte das | |
| Parlament schon einige Gesetze verabschieden, die zumindest die gröbsten | |
| Löcher im System stopfen. So wurde nicht nur eine Anpassung der Renten an | |
| die Inflation durchgeführt, sondern auch eine Witwenrente sowie eine | |
| Ehrenrente für 100-Jährige, die bis ans Lebensende ausgezahlt wird. Witwen | |
| und Witwer bekommen so die Möglichkeit, nach dem Tod des Ehepartners zu | |
| wählen, welche Rente sie in Zukunft weiterbeziehen möchten. | |
| Nicht rückgängig machen lässt sich zurzeit die Weichenstellung der PiS, die | |
| das Renteneintrittsalter absenkte und damit automatisch auch die künftige | |
| Rentenhöhe. Ob das früher verbindliche System der staatlich garantierten | |
| Rente wieder eingeführt werden kann statt des aktuellen, das auf der | |
| erbrachten Arbeitsleistung und dem erzielten Einkommen beruht, was Frauen | |
| automatisch diskriminiert, ist offen. | |
| Inzwischen gibt es zwar ein großes Netz staatlicher, kommunaler und | |
| kirchlicher Sozialämter und Hilfsorganisationen, auch viele Stiftungen und | |
| Nichtregierungsorganisationen, die sich auf bestimmte Hilfsleistungen | |
| konzentrieren, doch die Definition von Armut variiert sehr stark. | |
| Szarfenberg kritisiert in seinem Armutsreport für Polen das institutionelle | |
| wie begriffliche Chaos. Jede Institution erkläre die Kriterien für Armut | |
| anders. So werden Hilfsbedürftige oft abgewiesen, obwohl sie ein Recht auf | |
| Hilfe haben, aber eben in einer anderen Institution oder nur auf kommunaler | |
| Ebene, nicht auf der zentralen des Staates oder der regionalen einer der 16 | |
| Wojewodschaften. | |
| Über „Biedańsk“ oder die „Stadt der Armen und Elenden“ kann man seit … | |
| Jahr in Polen immer öfter lesen und hören. Es sei die größte Stadt Polens, | |
| die noch dazu rasend schnell wachse. An diesem fiktiven Ort lebten beinahe | |
| unsichtbar für die anderen Einwohner Polens über 2,5 Millionen Menschen in | |
| extremer Armut. Im Umland lebten noch einmal rund 17,5 Millionen arme Polen | |
| unterhalb des sozialen Minimums. Diese Armen reden nicht gerne über ihr | |
| Schicksal, schämen sich, dass sie nicht auf der Seite der Reichen und | |
| Schönen leben. | |
| Der gemeinnützige Verein „Wiosna“ (Frühling)ńńń“, der seit vielen Ja… | |
| immer um Weihnachten herum die im ganzen Land bekannte Aktion des „edlen | |
| Päckchen“ durchführt, hat ebenfalls einen Armutsreport erstellt und diese | |
| virtuelle Stadt „Biedańsk“ erfunden. „Bieda“ ist das polnische Wort f�… | |
| Armut, ein Wort, das Politiker nur ungern in den Mund nehmen, auch die | |
| aktuellen Präsidentschaftskandidaten nicht. Lieber sonnen sie sich in den | |
| Zahlen über die großartigen Erfolge Polens in Wirtschaft, Politik und | |
| Gesellschaft. Die gibt es natürlich auch. Aber eben nicht nur. | |
| 30 May 2025 | |
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