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# taz.de -- Virusexperte über Corona-Gefahr: „Wir unterschätzen die Verbrei…
> Die Zahl der Neu-Infizierten könnte bald rückläufig sein, sagt der
> Epidemiologe Ian Lipkin. Er selbst befindet sich derzeit in Quarantäne.
Bild: Mit dem Coronavirus infizierte Patienten betreten das Nothospital Leishen…
taz: Herr Lipkin, wann, glauben Sie, wird der Virusausbruch in China seinen
Höhepunkt erreicht haben?
Ian Lipkin: Es gibt zwei Zeitpunkte, die wir beachten müssen: Diese Woche
werden die meisten Leute in China wieder arbeiten gehen und rund eine Woche
später die meisten Schulen wieder öffnen. Wenn man nun noch die
Inkubationszeit des Erregers hinzurechnet, die rund sieben Tage beträgt,
dann landen wir bei Ende Februar als Höhepunkt. Ab dann sollten wir eine
dramatische Reduzierung der Infizierten in China beobachten können –
vorausgesetzt, die Maßnahmen hier waren effektiv.
Die chinesische Regierung hat es [1][also selbst in der Hand]?
Zum Großteil: ja. Allerdings spielt auch das Klima eine Rolle. Wir wissen
von Grippen, dass die menschlichen Tröpfchen, die wir aussondern, bei
höherer Luftfeuchtigkeit und Temperatur schwerer werden. Das bedeutet, dass
sie nicht mehr so weit in der Luft getragen werden und sich so die
Ansteckungsgefahr räumlich verringert. Gleichzeitig verbringen die Leute
mehr Zeit im Freien, atmen also nicht die gleiche Luft in geschlossenen
Räumen. Sollten wir also einen frühen Frühling erleben, würde dies einen
deutlichen Unterschied machen.
Die Todesrate in Wuhan und Hubei ist deutlich höher als in anderen
Provinzen. Was ist der Grund?
Das wissen wir noch nicht. Es gibt zwei mögliche Erklärungen. Zum einen
kann sich das Virus verändert haben und innerhalb der Quarantäne-Gebiete
pathogener, also stärker krankheitserregend, sein als außerhalb, oder es
gibt Unterschiede innerhalb der Bevölkerung. Beide Erklärungen halte ich
für unwahrscheinlich. Wahrscheinlich ist, dass es Unterschiede bei der
Behandlung gibt. Wer eine ordentliche medizinische Betreuung bekommt – etwa
auch künstliche Beatmung –, der kommt mit höherer Wahrscheinlichkeit durch.
Das versucht die chinesische Regierung in den Griff zu bekommen, indem sie
mehr Personal in die betroffenen Gebiete schickt. Allerdings ist es
schwierig, weil das natürlich nicht viele freiwillig machen. Aber es gibt
solche Freiwilligen.
Die Anzahl der Toten steigt nach wie vor deutlich. Würde es Sinn ergeben,
die Wiederaufnahme der Arbeit in China weiter zu schieben?
Tatsächlich geht die Anzahl von Neuinfektionen langsam zurück, und die
Methoden zur Erfassung der Angesteckten werden erfolgreicher. Das ist schon
mal ein deutliches Zeichen. Sie müssen bedenken: Derzeit ist das
öffentliche Leben in Peking und praktisch ganz China stillgelegt, was vor
allem wirtschaftliche Einbußen mit sich bringt. Die Leute versuchen nun,
eine Balance zu finden zwischen diesen zwei Aspekten. Natürlich gibt es da
keinen perfekten Mittelweg. Sollte es jedoch einen raschen Anstieg geben,
nachdem die Leute wieder anfangen zu arbeiten, dann sollten wir einen
anderen Weg einschlagen. Und ich vertraue der chinesischen Regierung, dass
sie das dann auch tun wird.
Die [2][Massenquarantäne] ist einmalig in der Menschheitsgeschichte, über
60 Millionen sind in China isoliert. Wie können wir überhaupt wissen, ob
diese Strategie erfolgreich ist?
Ich glaube nicht, dass man das überhaupt wissen kann, weil es schlicht
keine Kontrollgruppe gibt. Die Motivation hinter der Entscheidung der
chinesischen Regierung verstehe ich, vor allem weil es am Anfang keine
guten Screening-Maßnahmen gab. Aber die interessantere Frage ist doch
eigentlich: Was wäre passiert, wenn man früher eingegriffen hätte? Ich bin
überzeugt, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Das Virus hat sich
nämlich eine ganze Weile ausgebreitet, ohne dass die Leute von dessen
Existenz wussten. Laut meinem Verständnis war das ein Kommunikationsproblem
zwischen der Provinz- und der Zentralregierung.
Die KP hat lange verbreiten lassen, nur ältere Menschen mit Vorerkrankungen
sterben an dem Virus. Das berühmteste Opfer – [3][der Arzt Li Wenliang] –
war 33. Müssen sich alle Altersschichten sorgen?
Alte Leute sind anfälliger, weil sie in aller Regel auf das Virus eine
schwächere Immunabwehr herausbilden. Wieso es doch auch jüngere Leute
tödlich trifft: Viele der Opfer könnten möglicherweise Vorerkrankungen
haben, von denen wir bislang nichts wissen. Dass speziell Doktor Li
gestorben ist, mag auch damit zu tun haben, dass die Mediziner vor Ort
körperlich erschöpft sind von der massiven Arbeitslast. Möglicherweise ist
auch die Viruslast, die Mediziner in den Krankenhäusern abgekommen haben,
größer.
Bei [4][Sars] war die Sterblichkeitsrate gegen Ende der Epidemie deutlich
höher als noch am Anfang. Sie behaupten, dass es diesmal anders sein wird.
Wieso?
Es geht dabei um die scheinbare Sterblichkeitsrate. Derzeit unterschätzen
wir nämlich die Verbreitung der Infektionen. Denn es gibt auch Leute mit
milden Symptomen, die nicht unter den bestätigten Fällen geführt werden.
Sobald wir jedoch in Zukunft Antikörpertests verwenden, werden wir
herausfinden, dass die Anzahl von Ansteckungen wesentlich höher war. Ich
glaube, dass die Sterblichkeitsrate, die derzeit bei etwa zwei Prozent
liegt, am Ende auf deutlich unter ein Prozent sinken wird. Wir können aber
nicht ausschließen, dass es anders kommt. Viren können sich an den
menschlichen Körper anpassen – und entweder pathogener oder weniger
pathogen werden. Das wird sich nur rückblickend rekonstruieren lassen.
Ist die mediale Aufregung rund um das Virus übertrieben?
Natürlich ist die Ausbreitung des Coronavirus eine Tragödie. Aber die große
Sorge hängt auch damit zusammen, dass es sich um einen neuen Erreger
handelt. Da das Virus stark übertragbar scheint, werden wir es wohl auch
wiederkehren sehen – im Gegensatz zu Sars, das bislang nicht noch mal
aufgetreten ist. Das ist ein vernünftiger Grund, auch in Zukunft nach
Impfstoffen zu forschen.
9 Feb 2020
## LINKS
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[4] /Ausbreitung-des-Coronavirus/!5657807
## AUTOREN
Fabian Kretschmer
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