| # taz.de -- Coronavirus in China nach Neujahrsfest: Peking wappnet sich | |
| > Nach dem Neujahrsfest kehren über acht Millionen Arbeitsmigranten in | |
| > Chinas Hauptstadt zurück. Für die Behörden ein Albtraum. | |
| Bild: Arbeiter des künftigen Quarantäne-Krankenhauses vor dem Wohnheim bei de… | |
| Peking taz | Selbst geschäftige Verkehrskreuzungen in Pekings Innenstadt | |
| muten dieser Tage wie verkehrsberuhigte Fußgängerzonen an. Vor dem Gelände | |
| des Xiaotangshan-Krankenhaus, weit außerhalb des sechsten Stadtrings, staut | |
| sich jedoch bereits eine riesige Lastwagen-Karawane. Auf den Ladenflächen | |
| lagern Gerüstrahmen und Fertigbauteile, die von den Arbeitern in wenigen | |
| Tagen zu einem großen Ganzen zusammengesetzt werden sollen. Zu Hunderten | |
| stehen sie am Eingang der Baustelle zum Schichtwechsel bereit, durch ein | |
| Eingangstor lassen sich etliche Kräne auf einer riesigen Brachfläche | |
| ausmachen. | |
| Eilig essen einige Bauarbeiter ihr ausgehändigtes Mittagessen – eine | |
| Lunchbox mit Reis, Gemüse und Fleisch – auf der Motorhaube eines geparkten | |
| Autos. Selbst die Sicherheitsleute an den Toren der Baustelle sind derart | |
| beschäftigt, dass sie dem ausländischen Reporter kaum Beachtung schenken. | |
| Ihre Mission lautet nicht weniger, als Peking in Windeseile vor einer | |
| befürchteten Welle neuer Coronavirus-Patienten zu wappnen. | |
| Seit Wochen bereits [1][verbreitet sich der neuartige Lungenerreger im | |
| Land], mit Stand von Donnerstag haben die Behörden 73 neue Todesfälle in | |
| den letzten 24 Stunden bestätigt, so viel wie noch nie an einem Tag. | |
| Insgesamt sind in der Volksrepublik 563 Menschen dem Virus erlegen, über | |
| 28.000 haben sich infiziert. | |
| Peking selbst ist mit 274 Ansteckungsfällen und einem Toten vergleichsweise | |
| moderat betroffen. Die größte Herausforderung steht der Stadt jedoch noch | |
| bevor: Die Behörden rechnen in den nächsten Tagen mit der Rückkehr von rund | |
| acht Millionen Arbeitsmigranten aus den Neujahrsferien – ein | |
| epidemiologischer Albtraum. Bereits jetzt kursiert die Angst, dass die | |
| Neuankömmlinge auch das Virus mit sich bringen könnten. | |
| ## Kritik an lokalen Behörden | |
| Dabei sind es eben jene Landarbeiter, die am Xiaotangshan-Krankenhaus die | |
| Hauptstadt der Volksrepublik nun vor einer Epidemie schützen sollen. Rote | |
| Banner sind an den Außenfassaden ihres Wohnheims angebracht, auf denen | |
| propagandistische Durchhalteparolen prangen: „Gegen das Virus zu kämpfen | |
| ist unsere Verantwortung, den Kampf gegen das Virus werden wir gewinnen!“. | |
| Vor allem in den sozialen Medien nimmt der Zorn gegen die politische | |
| Führung zu. Die Zensoren in Peking löschen nicht sämtliche Kritik, sondern | |
| lassen sie in geringem Maße zu: Gegen die Lokalregierung in Wuhan etwa | |
| dürfen sich die Internetnutzer vergleichsweise frei äußern. Ein Bürger, der | |
| mit seinem Handy Leichensäcke in Krankenhäusern Wuhans gefilmt hatte, | |
| [2][das auch in den „Tagesthemen“ zu sehen war], wurde gar nach einer | |
| kurzen Festnahme wieder laufen gelassen. Sobald sich aber die Kritik gegen | |
| die Zentralregierung in Peking richtet, wird diese rigide unterdrückt. | |
| Die Baustelle des neuen Krankenhauses ist genau der Ort, an dem vor 17 | |
| Jahren geschah, was die Staatsmedien damals wahlweise als „medizinisches | |
| Wunder“ oder „Arche Noah gegen den Sturm der Sars-Epidemie“ gepriesen | |
| haben. In sechs Tagen und sieben Nächten zogen bis zu 7.000 Bauarbeiter ein | |
| riesiges Quarantäne-Krankenhaus hoch, in dem über eine Zeitspanne von zwei | |
| Monaten bis zu ein Siebtel aller Sars-Patienten behandelt wurden. | |
| Noch im Juni 2003 wurde das Hospital jedoch vollständig sterilisiert und | |
| stillgelegt. Aber vor einer Woche berichtete die staatliche | |
| Nachrichtenagentur Xinhua erstmals von erneuten Bauarbeiten. „Ob das | |
| Krankenhaus tatsächlich in Betrieb genommen wird, hängt von der künftigen | |
| Verbreitung des Virus ab“, hieß es damals in der Meldung. | |
| ## Märkte und Büros bleiben geschlossen | |
| Seither jedoch hat der Kampf gegen die Ausbreitung des Virus die Hauptstadt | |
| weitgehend stillgelegt: Geschlossen sind die Büros, Universitäten, Kinos, | |
| Friseursalons und Tempel. Die wenigen Restaurants, die noch geöffnet sind, | |
| haben vor ihren Türen provisorische Marktstände aufgebaut: Wegen der | |
| ausbleibenden Kundschaft verscherbeln sie ihre zu verderben drohenden | |
| Gemüsevorräte. Vor den Wohnanlagen harren auch trotz Minusgraden bis in die | |
| tiefe Nacht Pförtner auf Holzbänken, um sicherzugehen, dass keine fremden | |
| Besucher das Gelände betreten. | |
| Gleichzeitig vermittelt sich die Gefahr, die von dem Virus ausgeht, über | |
| kleine Details: Das Fenster im Linienbus, das trotz der eisigen Zugluft | |
| immer einen Spalt weit geöffnet bleiben muss. Das omnipräsente Piepen der | |
| Körpertemperatur-Scanner, ohne deren Messung die meisten Pekinger nicht | |
| mehr in ihre Wohnsiedlung betreten können. Der omnipräsente Geruch nach | |
| Desinfektionsmitteln in den ausnahmslos leeren U-Bahnzügen. | |
| Auch eine Frau im U-Bahn Abteil fällt auf, die sich über ihre | |
| Stoffhandschuhe noch ein Einwegpaar aus Plastik zieht. „„Meine Eltern gehen | |
| alle paar Tage in den Supermarkt Gemüse einkaufen, ansonsten bleiben wir | |
| ausnahmslos zuhause“, sagt eine Endzwanzigerin am Telefon, die ihren Namen | |
| nicht in der Zeitung wissen möchte. | |
| Derzeit verbringt sie die Feiertage zum Neujahrsfest im südchinesischen | |
| Guangxi, von wo aus sie die neuesten Entwicklungen des Virus aus erster | |
| Hand verfolgt: Viele ihrer Freunde wohnen in Wuhan, dem Epizentrum der | |
| Gesundheitskrise, wo sie vier Jahre lang studiert hat. | |
| „Zum Glück hat sich bislang dort keiner infiziert, den ich kenne. Doch | |
| gestern hat mir eine Freundin erzählt, dass eine ihrer Bekannten am Virus | |
| gestorben ist“, sagt sie. Für Sonntag hat die Büroangestellte ein | |
| Flugticket in die chinesische Hauptstadt gebucht: „Ich habe ehrlich gesagt | |
| Angst davor. Bei all den Leuten, die jetzt zurückkommen, wird die | |
| Ansteckungsgefahr groß sein – wir haben die Erfahrung ja schon bei Sars | |
| gemacht“. | |
| 7 Feb 2020 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Folgen-des-Coronavirus-fuer-den-Sport/!5658058 | |
| [2] https://www.tagesschau.de/multimedia/sendung/tt-7307.html | |
| ## AUTOREN | |
| Fabian Kretschmer | |
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