# taz.de -- Austauschstudierende in China: Gehen oder bleiben? | |
> Wegen des Coronavirus leben ausländische Studierende in China unter | |
> Quarantäne. Drei Betroffene erzählen vom Ausnahmezustand. | |
Bild: Wuhan Ende Januar – seit ein paar Tagen ist die Elf-Millionen-Einwohner… | |
PEKING/COTONOU taz | Unter jungen Chinesen gehen derzeit Videoaufnahmen | |
viral, auf denen Reinigungskräfte mit Atemschutzmasken wahllos durch die | |
Zimmer eines Studentenwohnheims in Wuhan gehen und die Schränke leerräumen. | |
Auch kursieren Fotos, auf denen Tonnen an geschredderten Büchern, | |
Elektronikgeräten und Kleidungsstücken im Innenhof zu sehen sind. | |
Tatsächlich wurden im Epizentrum des Coronavirus die Anlagen von jeweils | |
zwei Universitäten und Berufsschulen vorübergehend zu medizinischen | |
Einrichtungen umfunktioniert, um Patienten mit leichten Symptomen zu | |
behandeln. | |
Viele Studierende der betroffenen Unis sind erbost, sie wurden vorab nicht | |
über die Säuberungsaktion informiert. Die Schulleitungen sahen sich | |
schließlich gezwungen, eine offizielle Entschuldigung zu posten. | |
Bis Donnerstagfrüh mitteleuropäischer Zeit stieg die offizielle Gesamtzahl | |
der Todesopfer in Festlandchina auf mindestens 1.355. Der | |
Gesundheitsausschuss der Provinzregierung teilte ferner mit, dass in Hubei | |
bei 14.840 weiteren Menschen eine Ansteckung mit dem Erreger bestätigt | |
worden sei. Die offizielle Gesamtzahl der Krankheitsfälle in Festlandchina | |
stieg damit auf fast 60.000. | |
## Universitäten und Schulen geschlossen | |
Als Erstes haben die Pekinger Universitäten den Beginn des Sommersemesters | |
auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. Mittlerweile sind die Hochschulen im | |
ganzen Land geschlossen, ebenso die Schulen. Mittlerweile findet aber | |
wieder Unterricht statt: online über Videoschalten. | |
In Wuhan, der [1][abgeriegelten 11-Millionen-Einwohner-Metropole], sitzen | |
auch Zehntausende Studierende fest. Allein an der Wuhan-Universität sind | |
52.000 immatrikuliert, davon 2.000 aus dem Ausland. Wie die meisten | |
Bildungsinstitutionen hat sie zwar die Anzahl der Infizierten erhoben, | |
jedoch nicht veröffentlicht. Ein Angestellter des Lehrstuhls sagt jedoch | |
unter vorgehaltener Hand, dass diese „nicht sehr hoch“ sei. | |
Verwunderlich ist das nicht: [2][Besonders gefährdet] durch die | |
Lungenerreger gelten vor allem ältere Personen, deren Körper keine starke | |
Immunabwehr herausbilden können. | |
An etwa 400 der rund 2.631 staatlichen und staatlich anerkannten | |
Universitäten in China werden ausländische Studierende zugelassen. Deren | |
Zahl belief sich im Jahr 2018 auf fast 492.000, darunter 73.000 aus Europa | |
und 81.000 aus Afrika. Seit Ausbruch des Coranvirus berichten ausländische | |
Studenten, dass sie de facto ihren Universitätscampus nicht verlassen | |
dürfen (siehe Protokolle weiter unten). | |
## Deutsche Unis ziehen Konsequenzen | |
Universitäten im Ausland zeigen sich zunehmend besorgt. Allein Deutschland | |
unterhält nach Angaben des [3][Deutschen Akademischen Austauschdienstes] | |
(DAAD) aktuell 1.383 Hochschulkooperationen mit China. Die Uni Bielefeld | |
beispielsweise hat deshalb beschlossen, dass Studenten und Mitarbeiter, die | |
sich seit dem 1. Januar in China aufgehalten haben, den Campus bis zwei | |
Wochen nach ihrer Rückkehr nicht mehr betreten dürfen. | |
Die Freie Universität Berlin und die Universität Hamburg haben aus Angst | |
vor dem Virus einen vollständigen Stopp geplanter Dienstreisen nach China | |
durchgesetzt. | |
Andere Unis sind da gelassener: Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität | |
etwa bietet ihren Mitarbeitern, die in China waren, die Option zum | |
14-tägigen Homeoffice. | |
Dahiru Nasiru Sintali: „Ich bleibe in China“ | |
Als ich zum ersten Mal von dem Coronavirus hörte, klang das schrecklich. | |
Gleichzeitig konnte ich es nicht richtig ernst nehmen und habe meinem | |
besorgten Vater gesagt: Sie werden das schnell in den Griff bekommen. Ich | |
dachte nämlich an das Jahr zurück, in dem ich nach China gekommen bin. Das | |
war 2014. | |
In dem Jahr habe ich in China mein Pharmaziestudium begonnen. In Westafrika | |
hatten wir gerade Ebola, und als wir in China ankamen, gab es schon | |
Vorsichtsmaßnahmen. Am Flughafen wurden Studierende aus Afrika in | |
Quarantäne genommen. Ich nicht, denn Nigeria galt bereits als ebolafrei. | |
Außerdem war Gombe, woher ich komme, weit weg von Lagos und nicht | |
betroffen. Andere Studierende mussten aber 14 Tage lang in ihren Zimmern | |
bleiben. Man brachte ihnen Essen, täglich wurde Fieber gemessen. | |
Auch heute gibt es zahlreiche Maßnahmen, um das Coronavirus zu bekämpfen. | |
Auf wissenschaftlicher Ebene werden Fortschritte erzielt, weshalb ich nicht | |
so besorgt bin. Die Todesrate ist mit gut 2 Prozent viel geringer als bei | |
anderen Epidemien. Die Zahl derer, die das Virus überleben, steigt. Damit | |
es sich nicht noch mehr ausbreitet, hilft es, wenn die Menschen zu Hause | |
bleiben. | |
Es ist auch ist gut, dass so viele Flüge eingestellt wurden. Ich selbst | |
halte mich ebenfalls an die Regeln. Ich habe mir einen Vorrat angelegt und | |
muss mein Zimmer nur selten verlassen. Ist es doch nötig, dann wasche ich | |
mir nach der Rückkehr sofort die Hände. Ich plane nicht, nach Nigeria | |
zurückzukehren. Kommiliton*innen haben zwar Tickets gekauft und wollen | |
zurück. Für mich ist das aber keine Option. Ich bleibe in China. | |
Dahiru Nasiru Sintali, 25, kommt aus Nigeria und studiert an der China | |
Pharmaceutical University (CPU) Nanjing in der Provinz Jiangsu Pharmazie. | |
Ahmad Tahir Sintali: „Viele haben Angst“ | |
Ich bin 2015 nach China gekommen und studiere Medizin. Meine | |
Kommiliton*innen kommen aus zehn verschiedenen Ländern. Bisher hatte ich | |
eine gute Zeit, China ist ein sicheres Land ist. Nachts kann man hier zu | |
Fuß gehen. | |
Umso trauriger ist der Ausbruch des Virus. Die Lage ist ernst, auch in | |
meiner Provinz herrscht Ausnahmezustand. Banken, Geschäfte und | |
Krankenhäuser sind sehr vorsichtig geworden. Egal wo man hinkommt: Zuerst | |
wird Fieber gemessen. Draußen tragen die Menschen Mundschutz. Universitäten | |
bleiben geschlossen. Das gilt auch für unseren Campus. Wir brauchen eine | |
Genehmigung, um das Gelände überhaupt verlassen zu dürfen. Die wird nur | |
ausgestellt, wenn ein Grund vorliegt. | |
Meine Familie in Nigeria ist natürlich besorgt. Meine Mutter ruft mich | |
täglich an. Viele Menschen denken, dass das Virus überall ist. Betroffen | |
ist aber bisher vor allem Wuhan. Bleibt man also zu Hause, kann man sich | |
auch nicht infizieren. Mir ist es wichtig, dass die Welt das weiß. Trotzdem | |
haben viele Kommiliton*innen China verlassen, weil sie so große Angst | |
hatten. In unserem Schlafsaal bin ich deshalb heute der einzige Nigerianer. | |
Dabei wäre ich im Ernstfall sowieso lieber in China. Die Krankenhäuser sind | |
viel besser ausgestattet als in Nigeria. Das müssen wir ganz ehrlich | |
zugeben. Für mich gibt es aber noch einen weiteren Grund: Wenn ich reise, | |
könnte mich jemand anstecken, schon am Bahnhof oder im Flugzeug. | |
Vielleicht habe ich mich ja tatsächlich schon infiziert und bringe den | |
Virus dann nach Nigeria. Ich bin in meinem letzten Studienjahr. Im Juni | |
möchte ich mein Studium abschließen und nach Nigeria zurückgehen. Bis dahin | |
will ich kein Risiko eingehen. | |
Ahmad Tahir Sintali, 23, kommt aus Nigeria und beendet dieses Jahr sein | |
Medizinstudium an der Nanjing Medical University. | |
Robert N. K. Appiah: „Wir erfuhren kaum etwas“ | |
Es ist mein viertes Jahr in China. Ich wollte schon immer | |
Computerwissenschaften studieren. Zuerst hatte ich mich dafür an | |
Universitäten in Ghana und Indien beworben. Doch gerade in China entwickelt | |
sich der Fachbereich rasant. Deshalb hab ich mich für dieses Land | |
entschieden. | |
Als Vizepräsident der nationalen Union ghanaischer Studierender in China | |
(NUGS) habe ich viel Kontakt zu Studierenden aus Afrika. Allein an meiner | |
Universität gibt es 285 ghanaische Studierende. Dazu kommen Studierende aus | |
Ländern wie Nigeria und Äthiopien. Mit anderen ghanaischen Studierenden in | |
China, auch jene, die in Wuhan sind, stehe ich in ständigem Austausch. Dort | |
befürchtete man zuerst, dass zahlreiche Menschen an einer Lungenentzündung | |
erkrankt waren. Dann wurde uns jedoch klar: Das ist das Coronavirus. | |
Anfangs erfuhren wir kaum etwas darüber. Dennoch versuchen wir, so viele | |
Informationen wie möglich an die Studierenden weiterzugeben. Dazu gehören | |
Verhaltensregeln, die sich im Laufe der Wochen auch für unsere Stadt | |
Chengdu verschärft haben. | |
Bis heute ist unser Leben unter Quarantäne alles andere als einfach. | |
Studierende geraten in Panik. Wir müssen sie beruhigen. Gerade junge | |
Menschen haben Schwierigkeiten, wenn sie zum Beispiel ihre Zimmer nicht | |
verlassen dürfen. Sie halten das einfach nicht aus. Für sie wäre es | |
wirklich gut, wenn sie nach Ghana zurückkehren könnten. | |
Für mich selbst ist aber klar: Als Verantwortlicher kann ich China nicht | |
verlassen, solange andere ghanaische Studierende noch im Land sind. Selbst | |
wenn es nur noch einer ist: Ich bleibe. | |
Robert N. K. Appiah, 29, kommt aus Ghana und studiert | |
Computerwissenschaften an der University of Electronic Science and | |
Technology of China in Chengdu. | |
NaN NaN | |
## LINKS | |
[1] /Alltag-mit-dem-Coronavirus-in-China/!5657932 | |
[2] /Massnahmen-gegen-Coronavirus/!5660666 | |
[3] https://www.daad.de/de/laenderinformationen/asien/china/studieren-und-leben… | |
## AUTOREN | |
Fabian Kretschmer | |
Katrin Gänsler | |
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