# taz.de -- Verein zur Unterstützung linker Aktivisten: Rote Hilfe unter Druck | |
> Seit mehr als 40 Jahren unterstützt die Rote Hilfe Linke vor Gericht. Nun | |
> deutet sich an, dass sie verboten werden könnte. Doch es formiert sich | |
> Protest. | |
Bild: Organisiert auch mal Proteste gegen Repression: die Rote Hilfe | |
Es herrscht Nervosität in dem graugelben Vierstöcker am Rande der Göttinger | |
Innenstadt. „Rotes Zentrum“ steht groß neben der Tür, die Linke ist hier | |
einquartiert, die DKP. Und auch die Bundesgeschäftsstelle der Roten Hilfe. | |
Hier wird dieser Tage viel telefoniert, auch eine Sondersitzung des | |
Bundesvorstands ist anberaumt. Denn: Bald könnte die Polizei anrücken. | |
Es wäre eine bittere Pointe. Dann nämlich müssten die Vorstände der Roten | |
Hilfen umsetzen, was sie seit Jahren der Szene für diese Situation | |
predigen: Ruhig bleiben, sofort Anwälte hinzuziehen, keine Aussagen machen, | |
keine Kooperation mit der Polizei. Noch allerdings ist alles eine Drohung: | |
Dass die Rote Hilfe verboten werden könnte, nach 43 Jahren. Aber die | |
Drohung ist so konkret wie lange nicht. | |
Von Anfang an, seit 1975, erteilt die Rote Hilfe Tipps an Linke, wie man | |
sich auf Demonstrationen nicht festnehmen lässt, sich bei Razzien verhält, | |
vor Gericht glimpflich davonkommt. Landet man dennoch dort, kann die Rote | |
Hilfe Prozesskostenhilfe leisten, gesponsert von den Mitgliedern, die | |
jährlich mindestens 90 Euro an den Verein zahlen. Baumbesetzern vom | |
Hambacher Forst wurde so zuletzt geholfen, AfD-Gegnern oder kurdischen | |
Aktivisten. Eine Distanzierung von erfolgten Straftaten verlangt die Rote | |
Hilfe dabei nicht, ganz im Gegenteil. Es gehe nur um Solidarität, heißt es | |
in der Satzung. Mit allen, die aufgrund ihrer linken Betätigung verfolgt | |
werden. | |
Dass es überhaupt eine Satzung gibt, ist schon ein Ding für die linke | |
Szene. Aber es gibt auch einen Vorstand, Schriftführer, einen eingetragenen | |
Verein seit 1986. Und es funktioniert: Wo sich andere linke Gruppen gerne | |
in Richtungskämpfen zerlegen, wächst die Rote Hilfe, und das seit Jahren – | |
auch weil sie sich quer durch alle Spektren zieht, von Jusos bis zu | |
Autonomen, von Anwälten bis zu Bundestagsabgeordneten. Rund 9.300 | |
Mitglieder zählt die Rote Hilfe aktuell und 50 Ortsgruppen. Damit ist sie | |
die größte und am breitesten aufgestellte linksradikale Organisation | |
derzeit hierzulande. | |
## Konkrete Überlegungen eines Verbots im Innenministerium | |
Als „strömungsübergreifende, linke Solidaritätsorganisation“ definiert s… | |
die Rote Hilfe selbst. Für die Bundesregierung dagegen ist sie vor allem | |
eines: eine „linksextremistische“ Gruppierung mit „verfassungsfeindlicher | |
Grundausrichtung“. | |
Schon im Frühjahr hatte der CDU-Politiker Armin Schuster gefordert, ein | |
Verbot der Roten Hilfe zu prüfen. Schuster ist nicht irgendjemand: Er ist | |
führender Innenexperte der Union im Bundestag, Vorsitzender des dortigen | |
Kontrollgremiums der Geheimdienste – und er wäre zuletzt beinah selbst | |
Verfassungsschutzpräsident geworden, wenn sich Bundesinnenminister Horst | |
Seehofer (CSU) gegen die Kanzlerin durchgesetzt hätte. | |
Nach taz-Informationen gibt es nun tatsächlich konkrete Überlegungen im | |
Bundesinnenministerium, die Rote Hilfe zu verbieten. Zuvor hatte [1][auch | |
der Focus vermeldet], dass der Verein demnächst verboten werden soll. Im | |
Innenministerium kommentiert man das nicht. Zu Verbotsüberlegungen äußere | |
man sich generell nicht, sagt ein Sprecher. „Unabhängig davon, ob hierzu im | |
Einzelfall überhaupt Anlass besteht.“ | |
Schon zuletzt hatte sich die Bundesregierung jedoch klar positioniert. Die | |
Rote Hilfe leiste „linksmotivierten Straf- und Gewalttätern politische und | |
finanzielle Unterstützung“, heißt es in einer aktuellen Antwort auf eine | |
Linken-Anfrage. Der Verein diskreditiere das Rechtssystem pauschal als | |
„Gesinnungsjustiz“. Seine Unterstützung für linke Straftäter gehe „üb… | |
Bereich einer zulässigen Verfassungskritik hinaus“. Auch trete er für eine | |
„mit dem Grundgesetz unvereinbare sozialistisch-kommunistische | |
Staatsordnung“ ein. All dies seien „verfassungsfeindliche Ziele“. | |
## Jetzt geht es ums Ganze | |
Deutliche Worte. Die Rote Hilfe muss sie als Warnschuss verstehen. „Wir | |
nehmen das durchaus ernst gerade“, sagt Henning von Stoltzenberg, Teil des | |
Bundesvorstands der Roten Hilfe, ein Anfangvierzigjähriger, aktiv auch in | |
der Linkspartei. „So eine Drohung gegen uns gab es seit Jahren nicht. Aber | |
unsere Arbeit ist legitim und die machen wir weiter.“ Man unterstütze | |
Betroffene von Repression, damit diese nicht im Extremfall ihre Existenz | |
riskierten. „Dass das dem Repressionsapparat nicht gefällt, mag sein“, | |
erklärt von Stoltzenberg. „Aber das ist kein Grund, uns zu verbieten.“ | |
In den letzten Jahren lief es meist so: Es waren einzelne linke Politiker, | |
die Probleme bekamen, als ihre Mitgliedschaft in der Roten Hilfe bekannt | |
wurde. Franziska Drohsel etwa, die frühere Juso-Chefin, die die Union vor | |
Jahren als „Terror-Sympathisantin“ bezeichnete und zum Rücktritt | |
aufforderte. Noch 2016 scheiterte eine Wahl Drohsels als Berliner | |
Stadträtin wegen ihrer Vergangenheit. | |
Ähnliches ereilte Katja Kipping, die heutige Linken-Chefin. Oder Sina | |
Doughan, einst Vorsitzende der Grünen Jugend. Einige verließen unter diesem | |
Druck die Rote Hilfe. Andere blieben: etwa die | |
Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke, Sevim Dağdelen oder Kathrin | |
Vogler. | |
Jetzt aber geht es nicht mehr um einzelne Mitglieder. Jetzt geht es für die | |
Rote Hilfe ums Ganze. | |
## Ein Kerngeschäft bleibt die Prozesshilfe | |
Gegründet wurde die Rote Hilfe als Mitfolge der 68er-APO. Als nach den | |
Großdemonstrationen und ersten militanten Gruppen auch die Strafverfolgung | |
einsetzte, organisierten die Protestierenden erste „Knastwochen“, forderten | |
die Freiheit aller politischen Gefangenen – und stellten 1975 die Rote | |
Hilfe auf die Beine. Die betreute auch die Angeklagten in den | |
RAF-Verfahren. Noch 2016 wünschte die Rote Hilfe in ihrer Mitgliederzeitung | |
den letzten drei RAF-Untergetauchten Burkhard Garweg, Ernst-Volker Staub | |
und Daniela Klette: „Viel Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“ | |
Aktuell gibt die Rote Hilfe Tipps noch gegen „Anquatschversuche“ von | |
Geheimdiensten, rät zur Datenverschlüsselung oder warnt vor der Mitnahme | |
von Handys auf Demonstrationen. Man müsse es den „Bullen“ ja „nicht leic… | |
machen“. Solidarisiert wird sich nun mit „kurdischen Freiheitskämpfern“, | |
protestiert gegen die verschärften Polizeigesetze. | |
Ein Kerngeschäft aber bleibt die Prozesshilfe. Die Rote Hilfe vermittelt | |
Anwälte, betreut Inhaftierte – und übernimmt Prozesskosten. 173.362 Euro | |
verteilte sie nach eigener Auskunft allein in diesem Jahr an angeklagte | |
Linke. Entscheiden tut dies der Bundesvorstand. Antragsteller müssen | |
Prozessdokumente vorlegen, es erfolgt eine „Einzelfallprüfung“. Bei | |
Zustimmung wird in der Regel die Hälfte der Rechtsstreitkosten übernommen. | |
Zuletzt etwa für eine Baumbesetzerin aus dem Hambacher Forst, zwei | |
Sitzblockierer gegen Pegida oder vier Hamburger Hausbesetzer. | |
Andere Anträge wurden dagegen abgelehnt. Der eines Mannes etwa, der | |
betrunken beim Anarcho-Symbole-Sprühen erwischt wurde und dies vor Gericht | |
als „Jugendsünde“ abtat. Oder ein AfD-Gegner, der versehentlich einen | |
Zivilpolizisten als „Pisser“ beleidigte und dies über seine Anwälte reuig | |
zurücknahm. „So bitte nicht!“, heißt es dazu im Mitgliederblatt. Bei | |
Distanzierungen oder Geständnissen sei die Folge klar: keine Unterstützung. | |
„Keine Zusammenarbeit mit den staatlichen Repressionsorganen“, lautet die | |
Devise. | |
## Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks | |
Genau das wirft die Bundesregierung dem Verein vor. Die Rote Hilfe binde | |
ihren Beistand daran, dass Straftäter „kein Unrechtsbewusstsein zeigen“. | |
Negativ aufgefallen sei dies zuletzt bei den G20-Gegenprotesten in Hamburg. | |
Hier habe die Rote Hilfe das staatliche Handeln „vehement kritisiert“ und | |
Gewalttäter ohne Einschränkung mit einem eigenen Spendenkonto gefördert. | |
Damit habe sie sich „nicht nur auf die Unterstützung von legitimen | |
Protesten beschränkt“. | |
Henning von Stoltzenberg hält diese Vorwürfe für „abstrus“. Man | |
interessiere sich nicht für Aktionsformen, sondern nur dafür, dass jemand | |
für sein politisches Handeln nicht ruiniert werde. Mit dem Befürworten von | |
Gewalt habe dies nichts zu tun. „Und zunächst gilt ja für alle die | |
Unschuldsvermutung.“ Zur Aussageverweigerung würden auch Anwälte raten. Von | |
Stoltzenberg verweist auf den Fall des 19-jährigen G20-Gegners Fabio V., | |
der monatelang in U-Haft saß, weil er sich an einer Demo beteiligte, auf | |
der Steine flogen. Am Ende platzte der Prozess. | |
Wie bei Fabio V. seien es teils „perfideste Unterstellungen“, die Linke | |
träfen, so von Stoltzenberg. „Es ist doch nicht illegal, sich vor Gericht | |
zu verteidigen.“ Man mache deshalb normal weiter, mit der Verbandsarbeit, | |
mit Kampagnen, mit „Soli-Abende“. Auch seien neue Mitglieder herzlich zum | |
Eintritt eingeladen. Gerade jetzt. | |
Tatsächlich erlebten die Sicherheitsbehörden zuletzt auch eine Schlappe: In | |
Bremen klagte die Rote Hilfe dagegen, als „gewaltorientiert“ bezeichnet zu | |
werden – und bekam Recht. Der Verfassungsschutz musste die Bezeichnung aus | |
seinem Jahresbericht streichen. Im Bundesinnenministerium lässt man sich | |
davon offenbar nicht beirren. | |
Von Stoltzenberg ordnet das drohende Verbot seiner Roten Hilfe denn auch | |
anders ein: als einen Ausdruck des gesellschaftlichen Rechtsrucks derzeit. | |
„Uns zu verbieten, wäre ein Angriff auf die gesamte Linke.“ | |
## „Rein politisch kalkuliertes Manöver“ | |
Tatsächlich wäre ein Verbot der zweite große Schlag gegen die linksradikale | |
Szene in jüngerer Zeit. Schon im August 2017 wurde das | |
[2][Szene-Onlineportal „Indymedia linksunten“ verboten]. Das begründete das | |
Innenministerium mit Gewaltaufrufen und Hetze gegen den Staat und | |
Polizisten. Schon das löste breite Proteste aus. Träfe es nun auch die Rote | |
Hilfe, dürften sie noch größer werden. | |
Bereits jetzt formiert sich Widerstand. Die Rote Hilfe sei „unverzichtbar | |
für die Verteidigung von Bürgerrechten“, gerade in Zeiten „repressiver | |
Sicherheitspolitik“, erklärt die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke. Ein | |
Verbot wäre ein „rein politisch kalkuliertes Manöver“. Sie bleibe Mitglied | |
der Roten Hilfe, weil diese „einen Beitrag zur Verteidigung der Demokratie | |
leistet, ganz im Gegensatz zu jenen, die nach ihrem Verbot rufen“. | |
Auch die Jusos erklärten sich auf ihrem jüngsten Bundeskongress | |
solidarisch. „Wir fordern die SPD auf, das angekündigte Verbot zu | |
verhindern.“ Die Rote Hilfe engagiere sich für Grundrechte. „Es kann nicht | |
rechtswidrig sein, sich Rechtshilfe zu suchen.“ Bei den Grünen sagt | |
Innenexpertin Irene Mihalic, sie sehe einiges kritisch bei der Roten Hilfe. | |
„Gründe, die aktuell ein Verbot rechtfertigen, sind mir aber nicht | |
bekannt.“ | |
Innenminister Seehofer dagegen äußerte sich schon im Sommer deutlich, als | |
er den jüngsten Verfassungsschutzbericht vorstellte. Die momentane | |
Gewaltbereitschaft der linksextremen Szene sei „alarmierend“. Szenen wie | |
beim G20-Gipfel in Hamburg dürften sich nicht wiederholen. Als „deutliches | |
Zeichen“ dagegen pries Seehofer das Vorgehen gegen Indymedia. Ein Verbot. | |
6 Dec 2018 | |
## LINKS | |
[1] https://www.focus.de/politik/deutschland/bundestagsabgeordnete-engagieren-s… | |
[2] /Verbot-von-linksradikaler-Website/!5534184 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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