| # taz.de -- Verbot von Plastikmüll: Wie man den Müllberg reduziert | |
| > 72 Prozent der Deutschen fänden ein Verbot von Plastikgeschirr gut. | |
| > Sieben Strategien gegen Plastik – und wo es nicht ohne geht. | |
| Bild: Plastik extrem: Flaschenberge im vietnamesischen Xa Cau | |
| ## 1. Entwicklungshilfe leisten | |
| Bilder von Surfern in Wellen aus Plastikmüll, von in Netzen verhedderten | |
| Schildkröten und an Plastik verendeten Walen gehen um die Welt – und haben | |
| das Thema nun auch auf die Agenda der G7 gespült. Für 55 bis 60 Prozent des | |
| Plastikmülls in den Ozeanen zeichnen [1][laut einem Bericht in Science] | |
| fünf Staaten verantwortlich: China, Indonesien, die Philippinen, Thailand | |
| und Vietnam. In ihnen verbinden sich eine wachsende Wirtschaft und | |
| steigender Konsum mit einem schlechten Abfallmanagement. | |
| Die Organisation für Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) geht davon aus, | |
| dass das Littering (die Vermüllung durch achtloses Wegwerfen von Müll an | |
| Land oder ins Meer) in diesen Ländern bis zum Jahr 2025 um fast die Hälfte | |
| reduziert und bis 2035 ganz beendet werden könnte. Das würde 5 Milliarden | |
| Dollar kosten, schätzt die OECD. Der Abfall müsse besser erfasst, es müsse | |
| mehr recycelt, zu Kraftstoff verarbeitet oder in der Industrie als | |
| Ersatzbrennstoff genutzt werden. | |
| ## 2. Mehr recyceln | |
| Das sind Strategien, Kunststoffe sinnvoller und länger zu nutzen. Das | |
| Zauberwort: Lebensdauer. Je länger die Nutzung, desto besser die | |
| Umweltbewertung. Dabei ist noch viel Luft nach oben. So gibt etwa das | |
| deutsche Elektrogerätegesetz Verbrauchern das Recht, alte Geräte im Handel | |
| abzugeben. Die wertvollen Metalle des Elektroschrotts sollen nicht in | |
| illegalen Exporten oder im Restmüll – und damit in der Müllverbrennung – | |
| landen. | |
| Doch wegen ihrer Gehäuse und Kabel sind alte Computer, Handys oder Föhne | |
| auch beim Thema Plastik wichtig. Die verwendeten Kunststoffe haben laut dem | |
| Recyclingverband bvse einen hohen Marktwert und werden häufig verwertet, um | |
| daraus Stifte, Staubsauger oder Eimer herzustellen. | |
| Aber: Das Elektrogesetz funktioniert nicht. Laut DUH werden nur 40 Prozent | |
| des Elektroschrotts ordnungsgemäß gesammelt, der Rest wird illegal entsorgt | |
| oder exportiert. Der Lösungsvorschlag des Umweltverbandes: Der Staat setzt | |
| das Elektrogesetz strenger um, die Verbraucher nutzen ihre Geräte länger. | |
| ## 3. Plastik verteuern | |
| Ein Instrument, um Verschwendung zu reduzieren: Rohstoffe teurer machen. | |
| Generell alle zu verteuern, das fordert seit Jahren das Wuppertal Institut. | |
| Erst mal nur eine Plastiksteuer hat EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger | |
| vorgeschlagen. Dafür erntete er Lob: „Die von der Kommission angeregte | |
| Plastiksteuer ist ein gutes marktwirtschaftliches Instrument, um innovative | |
| Produkte zu fördern und unnötige Plastikverpackungen zu vermeiden“, meint | |
| die grüne Europaabgeordnete Rebecca Harms. | |
| Die Industrievereinigung Kunststoffverpackungen hält dagegen: Die | |
| Plastiksteuer sei allenfalls geeignet, „die Kassen der EU zu füllen“, | |
| schreibt sie in einer Stellungnahme. Ein wirkungsvolles Mittel gegen | |
| Plastikmüll sei eher ein ebenfalls diskutierter „nationaler Beitrag, der | |
| anhand der in jedem Mitgliedstaat anfallenden nicht wiederverwerteten | |
| Verpackungsabfälle aus Kunststoff berechnet wird“. Teurer würde also nur | |
| nicht recycelbares und recyceltes Plastik. So würden alle Staaten stärker | |
| in die Pflicht genommen, ihre Kreisläufe zu schließen. | |
| ## 4. Mehrweg fördern | |
| Apropos Kreislauf. In der vergangenen Woche der großen Plastikpanik haben | |
| die Deutsche Umwelthilfe und die Stiftung Initiative Mehrweg treffsicher | |
| ihren „Mehrweg Innovationspreis“ verliehen. Die bayerische Euroglas | |
| Verpackungsgesellschaft, Sinalco aus Duisburg und fünf Mitglieder der | |
| Genossenschaft Deutscher Mineralbrunnen erhielten die Auszeichnung, weil | |
| sie in das System investieren, das Plastikverpackungen am sinnvollsten | |
| ersetzt: in Mehrwegsysteme. | |
| Doch die erodieren in Deutschland, jährlich wird weniger Limonade, Schorle | |
| oder Wasser in Mehrwegflaschen gekauft, und mehr in Flaschen, die einmal | |
| benutzt und dann weggeworfen werden. Trotz hoher Recyclingquoten: Regionale | |
| Mehrwegsysteme schneiden in Ökobilanzen regelmäßig besser ab, sie | |
| verbrauchen weniger Energie und Rohstoffe als die Einwegkonkurrenz. | |
| ## 5. Anders handeln | |
| Wie mit den Getränken ist es auch mit anderen Lebensmitteln, Fleisch oder | |
| Gemüse. Immer mehr wird einwegverpackt, in Folien und Kunststoffe. Zwischen | |
| 1995 und 2015 hat sich das Verpackungsaufkommen pro Kopf in Deutschland | |
| verdoppelt. Warum? „Die Konzentration im Lebensmitteleinzelhandel führt zu | |
| immer zentraleren Strukturen“, sagt Benedikt Kauertz vom Institut für | |
| Energie- und Umweltforschung (Ifeu) in Heidelberg. Fünf Ketten teilen sich | |
| 90 Prozent des Marktes. „Sie verteilen die Lebensmittel über große | |
| Logistikzentren in ihre Läden“, so Kauertz, „das führt zu längeren Lager- | |
| und Transportzeiten.“ | |
| Damit die Lebensmittel diese überstehen, müssen sie verpackt werden. Dazu | |
| kommt: Fachgeschäfte weichen den Ketten. „Beim Fleischer kann man das | |
| Hackfleisch in einem Tütchen kaufen“, sagt Kauertz, „bei Aldi an der | |
| Frischetheke nur in vielschichtigen Verpackungen aus verschiedenen | |
| Kunststoffsorten.“ | |
| Ergebnis: Es fällt mehr Abfall an, der schlechter recycelt werden kann. | |
| Damit weniger Plastikmüll entsteht, seien Veränderungen entlang der | |
| gesamten Lieferkette, vom Hersteller über den Handel, dem Verbraucher bis | |
| zum Entsorger nötig, sagt Kauertz. | |
| ## 6. Vorbild Milchfaser | |
| Schön wäre es ja, die bequemen Konsumgewohnheiten – alles im Supermarkt um | |
| die Ecke einkaufen – mit einem guten Gewissen vereinbaren zu können. Dann | |
| kommt das Gemüse in die Papiertüte, und die Coca-Cola aus der Plant Bottle, | |
| der Flasche, die zu 14 Prozent aus Pflanzenplastik besteht. | |
| Allerdings: Bis jetzt sind noch keine überzeugenden alternativen | |
| Einwegverpackungen auf dem Markt. „Die Herstellung von Papiertüten | |
| verschlingt viele Ressourcen“, so Henning Wilts vom Wuppertal Institut für | |
| Klima, Umwelt, Energie, „am Ende sind sie nicht besser als die aus | |
| Plastik.“ Und ökologisch überzeugende Biokunststoffe seien bislang auch | |
| nicht auf dem Markt. | |
| Es sei sinnvoll, dass die EU-Kommission mit ihrer jüngst vorgestellten | |
| Plastikstrategie die Forschung in diesem Bereich fördern wolle, so Wilts. | |
| Biologisch abbaubare Kunststoffe aus Lebensmittelresten, wie etwa aus nicht | |
| genießbarer Milch, findet Wilts durchaus sinnvoll. „Aber die sind bislang | |
| nicht wettbewerbsfähig.“ | |
| ## 7. Besser bauen | |
| Ungefähr 10 Millionen Tonnen Kunststoff werden in Deutschland laut dem | |
| Industrieverband Plastics Europe jährlich verbraucht. Neben Verpackungen | |
| ist der zweite große Einsatzbereich der Bau. 23 Prozent der Kunststoffe | |
| landen hier, als Dämmmaterial, Fensterrahmen, Fußboden oder Rohre. | |
| Holz, Metall oder natürliche Baustoffe wie Lehm hätten als Baustoffe häufig | |
| einen besseren ökologischen Fußabdruck als Materialien aus Kunststoff, sagt | |
| Christine Lemaitre, Geschäftsführerin der Deutschen Gesellschaft für | |
| nachhaltiges Bauen in Stuttgart. Auch Danny Püschel, Referent für Gebäude | |
| und Energieeffizienz beim Umweltverband Nabu hält es für sinnvoll, | |
| Kunststoffe zu ersetzen: „Häuser lassen sich auch mit Hanfplatten oder | |
| Wolle aus Recyclingglas dämmen statt mit Styropor.“ | |
| Grundsätzlich würden Bauprodukte mit einem „viel zu geringen | |
| Qualitätsanspruch entwickelt und gefertigt“, so Lemaitre. Wichtig sei eine | |
| „bewusste und zukunftsorientierte Entwicklung guter und unschädlicher | |
| Baustoffe“. Außerdem würden auf dem Bau verschiedene Materialien | |
| großflächig verklebt und verschäumt – „da kann jedes noch so gute, im | |
| Einzelnen recyclingfähige Material schnell zum Sondermüll werden“, so | |
| Lemaitre. | |
| Bei der sinnvollen Anwendung von Kunststoffen – beispielsweise für Rohre – | |
| müsse so gebaut werden, dass die Teile möglichst lange halten, sagt | |
| Nabu-Experte Püschel. Sie müssten also etwa ummantelt oder vor | |
| Witterungseinflüssen geschützt werden. | |
| ## Hier darf Plastik bleiben | |
| „Kein Krankenhaus dieser Welt könnte ohne Kunststoffe auskommen“, sagt | |
| Henning Wilts vom Wuppertal Institut. Ampullen, Beutel, Schläuche aus | |
| Plastik lassen sich steril und für ganz spezielle Anwendungen herstellen. | |
| Und: Sie sind billig. „Gerade in armen Ländern lässt sich ohne sie nicht | |
| mal eine Minimalversorgung sichern“, sagt Wilts. Plastik ist eben nicht | |
| immer schlecht. | |
| 6 Jun 2018 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://science.sciencemag.org/content/347/6223/768/tab-e-letters | |
| ## AUTOREN | |
| Heike Holdinghausen | |
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