# taz.de -- US-Film im Wettbewerb der Berlinale: Bäckerglück im Wilden Westen | |
> Kelly Reichardts „First Cow“ ist ein ruhig erzählter Western über zwei | |
> Außenseiter. Er stellt genretypische Gewissheiten neu infrage. | |
Bild: Nur gute Freunde? Die Protagonisten King Lu (Orion Lee, l.) und Cookie (J… | |
Die Formen des Western sind inzwischen so oft revidiert worden, dass man | |
schon fast nicht mehr weiß, was das sein soll: ein richtiger Western. Aber | |
Kelly Reichardt gelingt [1][in ihrer fünften Zusammenarbeit mit dem Autor | |
Jonathan Raymond aus Portland] doch noch mal eine Umkehr der Perspektive | |
auf die Topoi „Wild West“, „Frontier“ und vor allem auf die Männer, die | |
dort im 19. Jahrhundert ihr Glück suchten. | |
Unter der Bande von Pelztrappern, die in ihrem Film „First Cow“ am Anfang | |
durch die Wälder des amerikanischen Nordwesten ziehen, konzentriert sie | |
sich einmal nicht auf die Abenteurergestalten mit den rauen Bärten und | |
Manieren, sondern auf den sanften Koch Cookie (John Magaro). | |
Für das Leben jenseits der Zivilisation scheint der völlig ungeeignet. Er | |
soll Fleisch kochen, aber das Eichhörnchen, das er gejagt hat, ist ihm | |
entwischt, und nun gibt es zum allgemeinen Ärger wieder nur Pilzsuppe. Dann | |
stößt er bei der nächsten Nahrungssuche im Wald auf einen nackten Mann im | |
Gebüsch. Zuerst hält er ihn für einen „Indianer“, aber King Lu (Orion Le… | |
stellt sich als Chinese heraus, der gerade vor russischen Trappern | |
davonläuft, weil er einen von ihnen erschossen hat. | |
So wild seine Geschichte klingt, ist doch auch King Lu keiner der typischen | |
rauen Wildwestmänner, sondern ebenso kleinmütig und eher scheu wie Cookie. | |
Immerhin hat King Lu große Träume und viele Geschäftsideen: Biberöl nach | |
China verkaufen oder genug Gold finden, um ein Hotel in San Francisco zu | |
eröffnen. | |
## Eine Wildwest-Wohngemeinschaft | |
Die beiden Außenseiter sind sich sympathisch und beziehen in einer Art | |
Wildwestvariante von Wohngemeinschaft zusammen eine einfache Hütte in den | |
Wäldern. Dann entdecken sie eine Kuh, die erste Kuh hier an der „Frontier“. | |
Sie gehört dem „Chief“ (Toby Jones). Cookie weiß, dass das Backen mit | |
Milchprodukten gleich noch mal besser gelingt. Die „öligen Kekse“, die King | |
Lu und Cookie zubereiten, werden zum Renner auf dem Markt der noch | |
straßenlosen Wildweststadt. | |
Was folgt, ist in vielem wieder eine echte Westerngeschichte, mit Flucht | |
vor berittenen Männern mit Waffen und Sprung vom Felsen und verstecktem | |
Schatz. Aber dann eben doch noch mal anders. | |
Kelly Reichardt erzählt in einem Tempo und einer Zurückhaltung, die dem | |
Temperament ihrer Helden fast zu sehr entspricht. Der gemächliche Rhythmus | |
entfaltet dabei eine eigene Suggestionskraft: Was ist das für eine | |
Beziehung zwischen dem schweigsamen Cookie und dem stets Pläne schmiedenden | |
Kung Lu? Dass die beiden sich mögen, wird nie ausgesprochen, aber da gibt | |
es diese Gesten. Etwa wenn Cookie einen Blumenstrauß pflückt für das neue | |
Quartier oder Kung Lu seinem Gefährten den ersten gelungenen Keks auf die | |
Fensterbank legt. Ist es mehr als eine Männerfreundschaft? | |
Aus der Rahmenhandlung, in der eine junge Frau in der Gegenwart zwei | |
Skelette nebeneinander findet, weiß man, wie es mit ihnen endet, aber eben | |
nicht, was zwischen ihnen war. Es scheint, als ob Reichardt den | |
historischen Figuren kein Etikett aufdrücken wollte, das diese nicht | |
angenommen hätten. Die so bestimmt gesetzte Ruhe dieses Revisionswestern, | |
die manchmal an Langeweile grenzt, macht so noch einmal neu Sinn: In der | |
großen, rastlosen Übergangsgesellschaft, die diese „Frontier“ war, | |
innezuhalten fürs bislang Übersehene. Ein erster Favorit im diesjährigen | |
Wettbewerb. | |
24 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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