# taz.de -- Regisseurin über Rassismus und Arroganz: „Die Kraft ist da“ | |
> Im Film „Schwarze Milch“ geht Hauptperson Wessi in die mongolische Wüste. | |
> Dort entdeckt sie die Lebensart ihrer Schwester Ossi. | |
Bild: Manchmal Wessi, manchmal Ossi: Regisseurin und Schauspielrin Uisenma Borc… | |
[1][Uisenma Borchus] zweiter Spielfilm „Schwarze Milch“ handelt vom | |
Aufbruch einer Frau zu ihren verborgenen Instinkten. Als Wessi (Uisenma | |
Borchu) lebt sie in einer von Unterdrückung geprägten Beziehung mit Franz | |
(Franz Rogowski), bis sie sich entschließt, in die Mongolei zu ihrer | |
Schwester Ossi (Gunsmaa Tsogzol) zu reisen und ein Leben unter Nomaden zu | |
führen. Wessi verliebt sich in den Außenseiter Terbish und betritt eine | |
Welt voller Symbole und Tabus, die ihr auch eine tiefe Begegnung mit der | |
eigenen Weiblichkeit ermöglicht. | |
taz: Frau Borchu, was für eine Milch ist „schwarze Milch“? | |
Ich habe in meinem Film versucht, die Kraft der Frau auszudrücken. Die | |
Milch, die durch unsere Brust fließt, ist so etwas Starkes. Sie bedeutet | |
Leben. Und solange sie im Körper der Frau ist, also in der Dunkelheit, ist | |
sie schwarz. Die Kraft ist da, aber man sieht sie nicht. Und man übersieht | |
sie auch gerne. In unserer Gesellschaft wird die Stärke übersehen, die eine | |
Frau in sich trägt. | |
Sie sind 1984 in Ulaanbaatar geboren und 1988 gemeinsam mit Ihren Eltern | |
aus der Mongolei in die DDR gekommen. Die beiden weiblichen Hauptfiguren | |
Ihres Films heißen Ossi und Wessi. Was hat es damit auf sich? | |
Ich wusste, ich möchte keine mongolischen Namen nehmen, nur weil wir in der | |
Mongolei sind. Mir war wichtig, dass die Namen charakteristisch sind, dass | |
sofort klar ist, die eine kommt aus dem Westen und die andere aus dem | |
Osten. In meinem Leben haben diese Namen auch eine große Rolle gespielt: In | |
Deutschland war ich der Ossi, bei meiner Familie in der Mongolei der Wessi | |
– und sie wiederum waren die Ossis. | |
„Schwarze Milch“ fängt die Weite der Wüste Gobi ein. Die Landschaft wirkt | |
und leer und beinahe abstrakt. Wessi scheint sich manchmal wie im Traum | |
durch sie zu bewegen. | |
Das Gefühl von Verlorenheit war essenziell, das Gefühl, verschluckt zu | |
werden von dieser Natur. In der Wüste bist du sehr mit dir selbst | |
beschäftigt, durch die Ruhe kehrst du in dich zurück. Und nach einer Weile | |
vollzieht sich ein Shift und du suchst wieder den Kontakt nach draußen, | |
dein Fokus verschiebt sich. Ob nun hin zum Tier oder zum Menschen. Du | |
selbst wirst dann so unwichtig, auch weil du auf deinen Nächsten angewiesen | |
bist. Du brauchst seinen Schweiß, sein, Blut, seine Wärme. All das wollte | |
ich in meinem Film zeigen. | |
Haben Sie zur Vorbereitung viel Zeit allein in der Wüste verbracht? | |
Ja, und das sehr gern. Wenn du den Wind hörst und den Sand, den Steinboden | |
unter dir spürst, dann ist das, als würde deine Seele gestreichelt werden. | |
Als wir uns anlässlich Ihres Debütfilms „Schau mich nicht so an“ (2015) | |
unterhielten, berichteten Sie von großen Schwierigkeiten, als Frau, die | |
einen Film über Frauen macht, Förderung und Unterstützung zu erhalten. Wie | |
war es nun? | |
Es gab weniger Hindernisse. Außerdem hatte ich durch „Schau mich nicht so | |
an“ Selbstvertrauen gewonnen. Trotzdem war es wichtig, damals auf die | |
Missstände aufmerksam zu machen, etwas zu sagen. Ich hatte auch nicht den | |
Eindruck, dass man mir das übelgenommen hat, obwohl mir unwohl dabei war. | |
Aber der Umgang mit meiner damaligen Kritik war progressiv. Und anscheinend | |
wurde mein zweiter Film auch wichtiger genommen. Heute sind einige fast | |
davon genervt, dass es Frauen jetzt leichter haben und die „Frauenkarte“ | |
spielen. Dabei stehen wir immer noch am Anfang. | |
Sie haben auch das Drehbuch für „Schwarze Milch“ verfasst. | |
Ja, und das ging recht zackig, weil es in meinem Kopf längst existierte. | |
Ich glaube, ich habe schon im Alter von vier, fünf Jahren angefangen zu | |
sammeln. Da habe ich erfahren, mit welcher Arroganz Menschen einander | |
begegnen, wenn sie meinen, dem anderen überlegen zu sein in Sachen Sprache, | |
Mentalität und Kultur. Ich habe Rassismus inhaliert. Und ich glaube, aus | |
dieser Energie hat sich „Schwarze Milch“ entwickelt. | |
Im Film begegnen Sie als Wessi ihrer Schwester Ossi auch von oben herab. | |
Ja, und trotzdem wollte ich unbedingt diesen anderen Part entdecken. Meine | |
Mutter hat mir erzählt, dass mein Onkel damals, als sie mit mir – ihrem | |
dritten Kind – schwanger war, gefragt hat, ob er mich nicht haben könne. | |
Um Sie mit zu sich in die Mongolei zu nehmen? | |
Genau. Meine Mutter konnte das nicht, aber sie hat mich immer daran | |
erinnert, was gewesen wäre, wenn sie mich weggegeben hätte. Bei mir ist der | |
Gedanke geblieben: Ja, wer wäre ich dann heute eigentlich? Auf jeden Fall | |
eine Nomadin. Aber eine, die in die Stadt hetzen würde, um moderner zu | |
leben? | |
Ihre Filmschwester Ossi, die im wahren Leben Ihre Cousine ist, lebt in | |
Ulaanbaatar als Yoga-Lehrerin und hat sechs Kinder. | |
Aber als ich sie gefragt habe, ob sie eine Nomadin spielen würde, hat sie | |
sich gleich sehr verbunden gefühlt. Sie ist ja auch in der Wüste groß | |
geworden und es ist ihre Heimat. Und auch für mich war das Nomadensein | |
etwas sehr Gewöhnliches, das ich jetzt endlich mal rausholen konnte. | |
Sie sagten eben, dass Sie unbedingt den anderen Part, also Ossi, entdecken | |
wollten. Was hat sie dabei am meisten überrascht? | |
Am überraschendsten war, wie tief die Tradition, das Konservative in ihr | |
steckt. Meine Figur Wessi möchte unbedingt daran schütteln, zu den Gefühlen | |
vordringen, auch manipulieren. Das habe ich als ziemlich verletzend | |
wahrgenommen, als total arrogant. Dorthin zu kommen, ohne eine Ahnung zu | |
haben, was es mit vielen Gebräuchen auf sich hat. | |
Gleichzeitig vermag es Wessi, Ossi mit einer archaischen Kraft in Kontakt | |
zu bringen. | |
Wessi findet durch ihre Reise in die Wüste zu ihren Instinkten, die sie in | |
Deutschland verloren hatte. Und diese gibt sie auch an Ossi weiter... | |
... die dann das erste Mal in Stutenmilch badet, auf Anraten von Wessi, | |
obschon sie es zunächst als große Dummheit und Verschwendung abgetan hatte. | |
Wessi folgt ihrer inneren Stimme. Ob es bedeutet, sich in den Nomaden | |
Terbish zu verlieben oder sich mit der Natur zu verbinden und sich selbst | |
zu fühlen. Was Ossi wiederum sehr anzieht. Weil es am Ende tatsächlich | |
nicht so wichtig ist, wer welche Aufgabe übernimmt, wer schlachtet oder | |
nicht. | |
Warum ist es für Sie wichtig, in Ihren Filmen selbst mitzuspielen? | |
Es ist gar nicht so wichtig, das hat sich auch in diesem Film einfach | |
wieder ergeben. Als klar war, dass der Film in der Mongolei spielen würde, | |
kam dieser ganze Arroganz-Rassismus-Komplex in mir wieder hoch. Das kann | |
ich nur selber ehrlich erzählen, und dann muss ich es auch selber spielen. | |
Selbstverständlich finde ich es aber toll vor der Kamera. Weil ich auch | |
eine besondere Beziehung zu ihr entdeckt habe. | |
Was ist das für eine Beziehung? | |
Ich weiß ganz genau, wann sie mich fängt. Wann es elektrisiert ist. Ich | |
weiß gar nicht, wann die Szene oder Einstellung richtig gut war. Aber ich | |
fühle einfach, wenn die Kamera da war. Die Kamera lebt einfach. Es ist gut | |
zu merken, wenn die Verbindung zu ihr da ist, und mein Gefühl hat mich | |
bisher noch nie getäuscht. Deswegen bin ich so extrem selbstsicher, was die | |
Kamera und mein Spiel betrifft. | |
Sowohl in „Schau mich nicht so an“ als auch jetzt in „Schwarze Milch“ s… | |
Sie in intimen Situationen zu sehen. In „Schau mich nicht so an“ mit Josef | |
Bierbichler, in „Schwarze Milch“ mit Terbish, einem Nomaden, der seine | |
Jurte ein wenig außerhalb der anderen aufbaut, keine Frau und keine Kinder | |
hat und bei den anderen als Sonderling gilt. Beide Männer sind erheblich | |
älter als die von Ihnen gespielten Figuren. Was ist ihnen gemeinsam? | |
Es sind sehr selbstbewusste Männer. Durch ihr Alter sind sie erfahrener und | |
weiser. Und an einen solchen selbstbewussten Mann zu kommen ist – glaube | |
ich – immer ein Wunsch, ein filmischer Wunsch. An solchen Männern fehlt es | |
halt einfach. Die für sich allein stehen können und die einen Scheiß auf | |
irgendetwas geben. Das finde ich total stark. Aber nicht nur bei Männern, | |
sondern auch bei Frauen. | |
25 Feb 2020 | |
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## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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