| # taz.de -- Türkisches Radio schließt: Die Vielfalt verstummt | |
| > Der unabhängige Radiosender „Acik Radyo“ verliert seine Lizenz. Das ist | |
| > ein erneuter Schlag gegen die Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei. | |
| Bild: Omer Madra, Gründer von Acik Radyo, im Januar 2006 im Studio in Istanbul | |
| [1][„Acik Radyo“], dem ältesten und bekanntesten freien Radio [2][der | |
| Türkei], wird die Sendelizenz aberkannt. Der offene Kanal, an dem sich | |
| praktisch jede und jeder beteiligen konnte, wird wohl in Zukunft, wenn | |
| überhaupt, nur noch im Internet zu hören sein. | |
| Offizieller Grund für den Entzug der Lizenz ist ein angeblicher Verstoß | |
| gegen ein [3][mehrtägiges Sendeverbot], dass von RTÜK, dem staatlichen | |
| Aufsichtsorgan aller TV- und Radiosender verhängt worden war. Grund für das | |
| Verbot war eine Diskussionssendung am 24. April, dem Jahrestag des | |
| Völkermordes an den Armeniern. Ein Teilnehmer hatte unter anderem gesagt: | |
| „Wie Sie wissen, ist das Gedenken an den Völkermord auch in diesem Jahr in | |
| der Türkei verboten.“ | |
| RTÜK hatte eine Geldstrafe und ein mehrtägiges Sendeverbot verhängt, für | |
| die Macher von Acik Radyo eine fast schon routinemäßige Bestrafung. Das | |
| Sendeverbot war per E-Mail mitgeteilt worden. Deshalb blieb Acik Radyo | |
| zunächst auf Sendung, während sie gerichtlich gegen die Verfügung | |
| vorgingen. Obwohl der Sender dennoch einen ersten Abschlag der Geldstrafe | |
| zahlte, beharrte RTÜK darauf, Acik Radyo hätte gegen ihre Anweisungen | |
| verstoßen. Der Vorstand von RTÜK beschloss dann mit der Mehrheit der | |
| Regierungsvertreter, dem Sender die Lizenz zu entziehen. | |
| Noch ist die Entscheidung nicht vollzogen, Acik Radyo ist im Moment noch zu | |
| hören, doch wenn ein Antrag gegen die Schließung bei Gericht keinen Erfolg | |
| hat, wird dem Sender „der Stecker gezogen“. Acik Radyo ist eines der | |
| ältesten und erfolgreichsten alternativen Medienprojekte der Türkei. Es | |
| wurde 1995 gegründet, wäre im nächsten Jahr seit 30 Jahren auf Sendung. Es | |
| hat mit Ömer Madra, einem der 92 Gründer des Radios, formal einen | |
| Chefredakteur, ist aber basisdemokratisch organisiert. | |
| ## Offen für „alle Klänge, Farben und Schwingungen“ | |
| Das Programm wird von Freiwilligen präsentiert, nur ein kleiner Kern von | |
| Leuten, die Nachrichten präsentieren, sind hauptamtlich im Sender. Das | |
| Studio ist im Hinterhaus eines Ausstellungshauses im Zentrum von Istanbul. | |
| Finanziert wird Acik Radyo von Spenden, Hörer-Abos und ein wenig Werbung. | |
| Laut Ömer Madra ist es die Aufgabe von Acik Radyo, für „alle Klänge, Farben | |
| und Schwingungen des Universums“ offen zu sein. | |
| Wer auf der Frequenz 95,0 einschaltete, konnte ungewöhnliche Musik hören, | |
| die von Menschen präsentiert wurde, die ihr Projekt vorher einer | |
| Versammlung bei Acik Radyo vorgestellt hatten. Vor einigen Jahren konnte | |
| selbst ein US-Korrespondenten-Kollege beim Sender als „Blues Brother“ auf | |
| Sendung gehen. Es gibt neben der Musik vor allem Diskussionssendungen, auch | |
| zu sogenannten Alltagsproblemen und Magazinsendungen, zuletzt über den | |
| Wiederaufbau in den Erdbebengebieten, das Verschwinden der Vögel durch | |
| Artensterben und ein Kunstprojekt „Home“ über avantgardistische | |
| Architektur. | |
| Acik Radyo ist Plattform für eine urbane Großstadtkultur, die auch über | |
| abseitige Themen diskutierte. Da niemand bei Acik Radyo zensiert wurde, gab | |
| es in den knapp 30 Jahren der Existenz des Radios immer wieder Geldstrafen | |
| und Sendeverbote. Bislang hatte sich das Radio aber immer durch die | |
| Untiefen der türkischen Medienlandschaft hindurchnavigieren können, selbst | |
| nachdem die Pressefreiheit in den letzten zehn Jahren in der Türkei immer | |
| mehr eingeschränkt wurde. | |
| 2023 wurde Acik Radyo von mehr als 600 Freiwilligen präsentiert. Ihr Motto | |
| ist: „Verändere die Welt, und wenn es auch nur für eine Stunde ist“. Auf | |
| ihre Website hat das Radio einen Artikel eines anderen alternativen | |
| Nachrichtenportals T-24 gestellt, in dem der Vertreter der oppositionellen | |
| CHP im Vorstand von RTÜK, Ilhan Tasci, zitiert wird: | |
| „Die Schließung eines 30 Jahre alten Rundfunkunternehmens ist sowohl ein | |
| erheblicher Eingriff in die Pressefreiheit als auch ein großer Verlust für | |
| die Hörer, die Sendungen verfolgen, die unterschiedliche Stimmen zum | |
| Ausdruck bringen“. Das waren zuletzt rund 70.000 Menschen im Großraum | |
| Istanbul. | |
| 4 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://acikradyo.com.tr/ | |
| [2] /Pressefreiheit-in-der-Tuerkei/!6012034 | |
| [3] /Pressefreiheit-in-der-Tuerkei/!5950516 | |
| ## AUTOREN | |
| Jürgen Gottschlich | |
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