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# taz.de -- Einreise in die Türkei: Das gescheiterte Lippenbekenntnis
> Für meinen Türkei-Urlaub habe ich Videoaufnahmen angefertig, die meine
> Treue zum türkischen Regime beweisen sollten. Geholfen hat es nichts.
Bild: Mit dieser Haltung dürfte die Einreise klappen: Erdogan-Anhänger vor de…
Knapp einen Monat, bevor wir zum Urlaub machen in die Türkei fliegen,
packt meine Frau Eminanim schon die Koffer. Unsere Tickets haben wir uns
bereits vor acht Monaten besorgt.
In dieser Hinsicht haben wir uns perfekt integriert. Vorbei sind die
Zeiten, in denen wir uns morgens die Tickets geholt und mittags Hals über
Kopf losgeflogen sind. Meine Frau packt unsere Koffer auch nicht einfach
so, sondern sie geht Punkt für Punkt eine drei Seiten lange
Urlaubs-To-do-Liste in alphabetischer Reihenfolge durch, und hakt jeden
Punkt mit rotem Filzstift ab.
„So, das war’s! ‚Z‘ wäre damit auch erledigt“, verkündet sie zum Sc…
stolz. „Zahnpasta, Zahnseide, Zahnstocher, Zahnzwischenraumbürsten, alles
an Bord. Oh, verdammt! Da hätte ich doch glatt was Wichtiges übersehen,
weil es neu auf der Liste ist.“
„Was denn, was denn?“, frage ich ängstlich. Bei Allah, hört diese Schikane
denn nie auf?!
„Die Sicherheitsaufnahmen fehlen noch, Osman“, zischt sie.
„Keine Panik! Wir haben ja noch 30 Tage bis zum Abflug. Das müsste doch zu
schaffen sein“, beruhige ich sie. Ich schnappe mir meine Jacke, mein Handy
und renne nach draußen.
„Lauf, Osman, lauf! Schnell, schnell“, brüllt sie hinter mir her.
Vor einem Jahr haben wir angefangen Sicherheitsvideos für den
Türkei-Urlaub zu machen. Genau genommen, seitdem in der Türkei jeder jeden
ohne Beweise als Vaterlandsverräter, Präsidentenbeleidiger oder
Gülen-Anhänger denunzieren kann. Ich möchte sehr ungern unser schönes Hotel
mit einer Gefängniszelle tauschen. Der Ismail aus dem türkischen Café
bereitet mir nämlich große Sorgen. Nachdem er letztens beim Backgammonspiel
gegen mich mehrere Male haushoch verloren hatte, schüttelte er feindselig
den Kopf und keifte, er wüsste schon, wie er sich dafür rächen werde, ich
würde noch [1][mein blaues Wunder erleben]!
Er wird aber sein blaues Wunder erleben. Ich werde sehr überzeugende
Aufnahmen machen. Ich klappere mehrere türkische Cafés ab und erzähle vor
Hunderten von Zeugen in meine Handykamera, wie regierungstreu und was für
ein unerschütterlicher Anhänger der türkischen Demokratie ich bin. Oder
[2][was davon noch übrig ist]. So habe ich für den äußersten Fall einen
Videobeweis.
Einen Monat später fliegen wir bei stürmischem Regen zufrieden und
glücklich aus Bremen ab. Und kommen in Istanbul in die Traufe! Noch am
Flughafen werde ich als Vaterlandsverräter verhaftet. Sofort zücke ich mein
Handy. Nachdem sich die Polizisten meine höchst patriotischen Aufnahmen
angesehen haben, rücken sie mit dem Namen des Denunzianten raus – Ismail
ist es nicht.
„Eine gewisse Frau [3][Alice Weidel] von der [4][AfD]“, sagt der Polizist
und fügt dann etwas verwundert hinzu: „Allerdings hat diese Frau genau
3.246.590 in Deutschland lebende Türken denunziert. Eine super Leistung.
Sie ist offensichtlich ein großer Fan der türkischen Regierung.“
10 Jul 2024
## LINKS
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[4] /Schwerpunkt-AfD/!t5495296
## AUTOREN
Osman Engin
## TAGS
Kolumne Alles getürkt
Opposition in der Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
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Versammlungsfreiheit
Schwerpunkt Türkei
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