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# taz.de -- Tod in Dessauer Polizeizelle: 800 Menschen erinnern an Oury Jalloh
> Vor genau 20 Jahren verbrannte der Asylbewerber gefesselt im Dessauer
> Polizeirevier. Zwei damit verbundene Todesfälle beschäftigen die Justiz
> weiter.
Bild: In Gedenken an den Tod Jallohs lagen am Dienstag Blumen auf die Treppe de…
Berlin taz | Genau 20 Jahre lag es am Dienstag zurück, dass der
Sierra-Leoner Oury Jalloh in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers an
Händen und Füßen gefesselt verbrannte. Obwohl der Todestag in diesem Jahr
auf einen Werktag fiel, versammelten sich schätzungsweise 800 Menschen am
frühen Nachmittag vor dem Dessauer Hauptbahnhof, um des Toten zu gedenken
und gegen die ausgebliebene Aufklärung durch die Justiz zu protestieren.
Unter den Demonstrant:innen waren viele junge Menschen, rund die Hälfte
von ihnen dürfte 2005 gerade erst geboren sein.
Zu Beginn der Kundgebung sprach Saliou Diallo, der Bruder des Toten. Der
heutige Tag sei der „Jahrestag des Kampfes um die Wahrheit“, sagte er und
bedankte sich bei den Anwesenden für die Solidarität, die seiner Familie
entgegengebracht worden sei. Die „Falschdarstellung der Geschichte meines
Bruders hingegen hat unseren Schmerz vergrößert“, sagte er. „Die Gerichte
behaupten weiterhin, es handele sich um Selbstmord und sie schlossen eine
Beteiligung der Polizei aus“, so Diallo. Die Polizei werde von der Justiz
geschützt und „behandelt, als sei sie unfehlbar“.
Diallo kritisierte, dass Familien der Opfer von Polizeigewalt ohne
Unterstützung zurückbleiben und mit den Folgen der Todesfälle meist allein
zurechtkommen müssten. „Der Staat muss solchen Familien für die Dauer der
Gerichtsverhandlungen ein Aufenthaltsrecht geben und Hilfe für die Kosten
eines Rechtsbeistands übernehmen“, forderte Diallo.
Gegen 15 Uhr setzte sich der Zug in Bewegung, die Demonstrierenden zogen
vor das Gebäude der Staatsanwaltschaft und riefen „Blut, Blut, Blut an
euren Händen“. Dutzende hatten Feuerzeuge mitgebracht, die sie auf den
Eingang des Justizgebäudes warfen, das von Polizisten bewacht wurde.
Die Staatsanwaltschaft behauptet bis heute, dass Jalloh seine Matratze mit
einem bei der Durchsuchung übersehenen Feuerzeug selbst angezündet haben
soll, obwohl eine große Zahl von Indizien und Belegen diese Annahme
widerlegt. Auch eine Reihe von Gutachtern hatte die Selbstmordthese
ausgeschlossen. Nach jahrzehntelangen juristischen Auseinandersetzungen
hatte das Bundesverfassungsgericht im Februar 2023 den Fall jedoch
juristisch abgeschlossen.
## „Verleugnung des Mordes“
Staatsanwälte, Richter und Sonderberater des Landtages von Sachsen-Anhalt
hätten für die „Verleugnung des Mordes gesorgt“, schrieb die Initiative im
Gedenken an Oury Jalloh am Dienstag in einer Stellungnahme. „Die Fakten
sprechen jedoch eine eindeutige Sprache“, heißt es weiter: Es sei „ein
Mord, der kein Mord sein darf.“
Nach dem Karlsruher Urteil hatte Saliou Diallo Beschwerde beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Allerdings ging, wie nun
bekannt wurde, diese nicht fristgerecht in Straßburg ein. Der Gerichtshof
lehnte den Fall deshalb ab. Die [1][Initiative] verwies am Dienstag darauf,
dass die Abgabefrist am 2. Juli 2023, einem Sonntag, geendet habe. Die
Anwältin sei versehentlich davon ausgegangen, dass sich das Fristende auf
den folgenden Werktag verschiebt, wie es in Deutschland üblich sei, so die
Initiative. Dies sei am EGMR jedoch anders. Das Gericht wies die Klage
wegen Nichteinhaltung der Frist um 24 Stunden ab.
## Zwei Fälle weiter offen
Weiter offen ist indes die juristische Auseinandersetzung um zwei ähnlich
mysteriöse Todesfälle im Zusammenhang mit dem Dessauer Revier: der 1997
gestorbene Hans-Jürgen [2][Rose] und der 2002 gestorbene Mario Bichtemann.
Eine Anzeige der Familie Rose wegen Mordes gegen vier der damaligen
Dessauer Polizeibeamten [3][liegt] bei der Staatsanwaltschaft in Halle.
„Der Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit wird so lange dauern, bis der
Oury Jalloh – Komplex aufgelöst ist und die Täter zur Verantwortung gezogen
werden“, schrieb die Initiative.
Ab Montag strahlte die ARD eine mehrstündige, sechsteilige [4][Doku] aus,
die die teils [5][haarsträubenden] Ungereimtheiten in dem Fall beleuchtete.
7 Jan 2025
## LINKS
[1] https://initiativeouryjalloh.wordpress.com/
[2] /Polizeigewalt-in-Dessau/!5998023
[3] /Todesfall-Hans-Juergen-Rose/!6035054
[4] https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/sendung/w…
[5] /ARD-Serie-Warum-verbrannte-Oury-Jalloh/!6048432
## AUTOREN
Christian Jakob
## TAGS
Oury Jalloh
deutsche Justiz
Justizskandal
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