| # taz.de -- Theoriegehalt schwuler Romane: Meta-Eribon für Fortgeschrittene | |
| > Der französische Star-Soziologe Didier Eribon spürt in einem Langessay | |
| > dem Theoriegehalt schwuler Romane nach – inspirierend. | |
| Bild: Leidenschaftlicher Autor: Didier Eribon, hier auf der Frankfurter Buchmes… | |
| Didier Eribon weiß es: Wir lesen in einer politischen Welt. Und auch Romane | |
| können Theorien über diese Welt enthalten, implizit oder gar explizit; | |
| Theorien, die uns die Welt mit anderen Augen betrachten, strukturieren | |
| lassen. In seinem Bestseller „Rückkehr nach Reims“ (deutsch in 2016, aber | |
| französisch schon 2009) hatte Eribon, Philosophieprofessor im französischen | |
| Amiens, ja selbst autobiographische, aber geradezu romanhaft | |
| aufgeschriebene Episoden verwendet, um eine soziologische Theorie zu | |
| entwickeln, die Klassenunterschiede, soziale Scham, Homophobie, | |
| Frauenfeindlichkeit und Rechtsruck zusammendachte. | |
| Nach „Gesellschaft als Urteil“ (dt. 2017, fr. 2013) ist nun abermals eine | |
| Rückkehr nicht nach Reims, aber zu Eribon möglich: mit seinem jüngst auf | |
| deutsch erschienenen 88-seitigen Langessay „Theorien der Literatur“, der | |
| auf einem Vortrag an der Pariser Sorbonne 2012 beruht, doch vom Verfasser | |
| noch stark nachbearbeitet wurde. | |
| Untertitel: „Geschlechtersystem und Geschlechtsurteile“. Er liefert Eribon | |
| für Fortgeschrittene, Meta-Eribon – mit Sätzen, die schon mal über | |
| anderthalb Seiten hinweg ausschweifen. Aber es lohnt sich! Man erfährt zwar | |
| diesmal nichts über Eribons Privatleben, aber egal, dafür: sehr viel über | |
| sein Literaturverständnis. | |
| Ausgehend bei Lektüren von (wenn auch leider nur | |
| weiß-männlich-französischen) Homo-Klassikern, vor allem Marcel Prousts „Auf | |
| der Suche nach der verlorenen Zeit“ (1913-1927“ und Jean Genets „Das Wund… | |
| der Rose“ (1946), untermauert Eribon seine These, dass in Romanen, zumal in | |
| autofiktional gefärbten, ein Wissen über die Welt enthalten sei, das von | |
| keiner akademisch-empirischen Soziologie ersetzt werden könnte – aber | |
| andererseits für soziologische Überlegungen fruchtbar gemacht werden könne. | |
| Eine starke Position, auch für die aktuelle Debatte um den Wert von | |
| Identitätspolitik. | |
| An Proust fasziniert Eribon vor allem, dass von der Proust’schen Theorie | |
| der Homosexualität gar nicht die Rede sein, könne, da Proust an zentralen | |
| Stellen der „Recherche“ mehrere Theorien der Homosexualität miteinander | |
| konkurrieren lasse, kollidieren gar: etwa die vom (heterosexuellen) | |
| Erzähler Marcel (nicht zu verwechseln mit dem real existierenden schwulen | |
| Autor Marcel Proust) geäußerte, übrigens inspiriert vom Berliner | |
| Sexualwissenschaftlicher Magnus Hirschfeld, einerseits; mit der des | |
| schwulen Baron de Charlus andererseits. | |
| Der Roman als Theorieschlachtfeld, das zur Reflexion stimuliert. So spannt | |
| Eribon den Bogen zu Foucault, Deleuze, de Beauvoir, Butler et cetera. Auch | |
| wenn Eribon hier auf das Thema Queerness in der Literatur fokussiert, sind | |
| seine Überlegungen doch prinzipiell auf andere Themenfelder übertragbar. So | |
| gesehen ist der etwas großspurige Titel „Theorien der Literatur“ nicht mal | |
| überheblich. | |
| 29 Sep 2019 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Hochgesand | |
| ## TAGS | |
| Französische Literatur | |
| Didier Eribon | |
| Literaturwissenschaft | |
| Marcel Proust | |
| Jean Genet | |
| Schwul | |
| Politisches Buch | |
| wochentaz | |
| Queer | |
| USA | |
| Call Me By Your Name | |
| Queer | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neuer Roman von US-Autor Dennis Cooper: Nachdenken über eine bipolare Muse | |
| Der neue Roman „Ich wünschte“ von Dennis Cooper ist die so fulminante wie | |
| unromantische Geschichte einer schwierigen Liebe. | |
| Buch „Das homosexuelle Begehren“: Arschfixiert und anarchistisch | |
| Ein Schlüsselwerk der Queer Theory: Guy Hocquenghems „Das homosexuelle | |
| Begehren“ von 1972 gibt es nun in frischer Übersetzung auf Deutsch. | |
| Ocean Vuong über den American Dream: „Wie bitte reden wir von Liebe?“ | |
| Ocean Vuong ist eine der spannendsten jungen Stimmen aus den USA. Der Autor | |
| über die Kraft der Sprache und queeres Scheitern als Chance. | |
| André Acimans Roman „Fünf Lieben lang“: Ein Buch voller Geheimfächer | |
| Der Roman „Call Me By Your Name“ von André Aciman wurde in seiner | |
| Verfilmung ein Welterfolg. Nun legt der US-Autor ein neues Werk vor. | |
| Die neue Literaturzeitschrift „Glitter“: Glitzern bis zum G-Punkt | |
| Gibt es queere Literatur so selten, oder fehlt es ihr nur Sichtbarkeit? Die | |
| Zeitschrift „Glitter“ will mit Diversität Aufmerksamkeit generieren. |