# taz.de -- Buch „Das homosexuelle Begehren“: Arschfixiert und anarchisti… | |
> Ein Schlüsselwerk der Queer Theory: Guy Hocquenghems „Das homosexuelle | |
> Begehren“ von 1972 gibt es nun in frischer Übersetzung auf Deutsch. | |
Bild: Zwei Männer auf dem Gay Pride in Paris, mit Schriftzug „Pédé“ = Sc… | |
Guy Hocquenghem nimmt uns mit ins Dampfbad und auch in den schwulen | |
Sexpark. Bei ihm tragen die Kapitel Titel wie „Die Cruisingmaschine“ oder | |
„Der signifikante Phallus und der sublimierte Anus“. Hocquenghem ist nix | |
für schwache Nerven, er ist arschfixiert und anarchistisch. | |
Sein Erstlingswerk, den Klassiker „Das homosexuelle Begehren“ von 1972, | |
haben nun zwei recht junge Männer, Jahrgang 1988 und 1989, erneut ins | |
Deutsche übertragen, und sie könnten damit ein kleines Hocquenghem-Revival | |
hier in Deutschland auslösen. In Frankreich und im Angelsächsischen gilt | |
der Philosoph ja längst als einer der Vorreiter der Queer-Theorie; in | |
Deutschland erschien besagtes Werk zwar schon verblüffend früh, nämlich | |
1974, bei Hanser sogar, verschwand dann aber schnell wieder aus dem | |
hiesigen Diskurs. | |
Rückblickend eigentlich ein Rätsel. Einzig akzeptable Ausrede: Der Nachname | |
ist für Menschen deutscher Zunge halt echt halsbrecherisch auszusprechen. | |
Umso zugänglicher ist der Text an sich, denn Hocquenghem war definitiv | |
keiner von den Philosophen, die die Welt nur interpretieren wollten – er | |
wollte sie verändern. | |
Entsprechend elangetragen, leidenschaftlich und auch aktivistisch ist sein | |
Tonfall. Akademisch ist er gleichwohl auf der Höhe der Zeit, und so | |
arbeitet er sich vor allem (außer an literarischen Homoklassikern von | |
Robert Musil und Thomas Mann bis Marcel Proust und Jean Genet) an dem | |
seinerzeit erst wenige Monate zuvor erschienenen „Anti-Ödipus“ des | |
Philosophen Gilles Deleuze und des Psychiaters Félix Guattari ab – die | |
ihrerseits Freuds (bei Queers oft verhasste) Psychoanalyse gegen den Strich | |
gebürstet hatten. | |
## Für viele Linke war Homophobie bloß ein Randproblem | |
All dies noch dicht dran an den Mai-Revolten, Paris 1968, man riecht das | |
Tränengas geradezu. Mit vielen Linken kam er indes nicht auf einen Nenner, | |
da Homophobie dort oft nur als Randproblem abgetan wurde. Doch die Lektüre | |
ist nicht nur historisch lohnenswert, Guy Hocquenghem stellt Fragen, die | |
auch gegenwärtig spannend sind, etwa ob die Bildung einer schwulen | |
Identität zwar für den politischen Aktivismus hilfreich und vielleicht | |
sogar notwendig ist, aber psychologisch eigentlich fragwürdig, da Begehren | |
doch komplexer ist als konventionelle Sprechweisen darüber. | |
Hocquenghem konfrontiert einen auch mit dem Problem, dass sich Queers von | |
der Gesellschaft zähmen, er sagt „sublimieren“, lassen, um ihr Verlangen | |
der kapitalistischen Verwertungslogik und dem heteronormativen sozialen | |
Zusammenhang in den Dienst zu stellen. | |
Das Nachwort der Übersetzer lässt aber dankenswerterweise auch nicht | |
unerwähnt, dass Guy Hocquenghem, bevor er 1988 41-jährig an den Folgen von | |
Aids starb, in späten Texten Fragwürdiges bis Indiskutables über die | |
kindliche Sexualität, den Holocaust und den Dialog mit den neuen Rechten | |
schrieb. Zeit, seine Standpunkte aufzuarbeiten und zu überprüfen. Dafür | |
könnte dieses Buch allemal ein guter Anfang sein. | |
17 Oct 2019 | |
## AUTOREN | |
Stefan Hochgesand | |
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