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# taz.de -- Neuer Roman von US-Autor Dennis Cooper: Nachdenken über eine bipol…
> Der neue Roman „Ich wünschte“ von Dennis Cooper ist die so fulminante wie
> unromantische Geschichte einer schwierigen Liebe.
Bild: Seine Romane erfordern die Bereitschaft, auf dünnen Seilen über Abgrün…
Wer ein Kunstwerk von James Turrell betritt, überschreitet die Grenze in
eine andere Welt. Die Lichtmanipulationen des Kaliforniers sind erhebend
und niederschmetternd zugleich, können orgiastische Glücksgefühle, aber
auch existenzielle Ängste hervorrufen. Die dröhnende Stille, die von ihrem
Flackern ausgeht, kommt ohne Triggerwarnung nicht aus.
Ähnlich verhält es sich mit der Literatur von Dennis Cooper, die die
dunklen Ecken von Liebe, Homosexualität, Gewalt und Tod on- wie offline
ausleuchtet. Mit seinen Romanen stößt der Amerikaner immer wieder die Tore
zu Exzess und Ausbeutung, Pornografie und Pädophilie, Mordlust und
Todeswahn weit auf. Schreibend steigt er noch in den dunkelsten Sumpf der
menschlichen Existenz, um ihn zu ergründen.
Seine im Wiener Luftschacht Verlag erschienenen Romane „Mein loser Faden“,
„Die Schlampen“ und „God Jr.“ drehen sich in avantgardistischer Form um
(die Rückeroberung von) Kontrolle, illustriert in verstörenden
Snuff-Filmen, abgefuckten Onlineforen und grotesken PC-Games.
## Baudelaire, Rimbaud und Genet
Cooper geht es beim Schreiben nicht um Schönheit, sondern um
Wahrhaftigkeit. In kurzen Sätzen voller offener Enden wirft er seine
Wahrheiten immer wieder unwiderstehlich auf die Seiten. Autor:innen wie
Bret Easton Ellis, Kathy Acker oder William S. Burroughs verglichen ihn mit
Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud oder Jean Genet. Büchner-Preisträger
Clemens J. Setz schwärmt angesichts seines neuen Romans von einer „Prosa,
die in den Glutkern des Universums gestarrt hat“.
„Ich wünschte“ erschien im englischen Original im vergangenen Jahr nach
jahrelanger Pause, in der der vielseitige Künstler Filme drehte, GIF-Romane
bastelte und seinen legendären Blog, [1][den Google 2016 voreilig löschte,]
wiederherstellte und weiter mit Leben füllte. Der nun in der stilsicheren
Übersetzung von Raimund Varga vorliegende Roman ist die fulminante und
komplett unromantische Geschichte einer Liebe, die den Amerikaner seit
jeher antreibt.
Man muss Coopers verzweigtes Werk nicht kennen, um Zugang zum neuen Roman
zu finden. Einige Informationen zu seiner Muse George Miles sind aber
notwendig. 1968 stieß der damals 15-jährige Cooper am Rand einer Party auf
den drei Jahre älteren Miles im LSD-Rausch. Damals begann eine fast zwanzig
Jahre andauernde Freundschaft, die Liebe und Leidenschaft mit einschloss.
Risse bekam dieses Verhältnis durch die schwere bipolare Störung, die den
Freund zu einem Schatten seiner selbst machte.
## Ein Roman an den verlorenen Freund
Als Cooper Mitte der 80er nach Europa ging, verlor er Miles aus den Augen.
Er schrieb ihm erst Briefe, dann einen Roman, dem vier weitere folgten. Im
fünfteiligen George-Miles-Zyklus versuchte er den hinter Medikamenten
verschwundenen Freund in eine düstere Parallelwelt zu retten, „damit man,
wenn man will, herausfinden kann, wie schrecklich es ihm in jeglicher Abart
erging“.
George ist in den zwischen 1989 und 2000 erschienenen Romanen eine
omnipräsente, aber imaginäre Lichtgestalt, die in verschiedenen Rollen
Opfer übelster Fantasien wird. Ziggy, Kevin, Sniffles, Georg und wie sie
alle heißen sind Trugbilder. Chimären wie der echte George Miles, der sich
bereits 1987 umgebracht hatte, wie Cooper Jahre später erfuhr.
Wenn die (leider vergriffenen) Romane „Ran“, „Sprung“, „Dreier“, �…
Punkt“ George Miles’ Grabstein bilden, dann ist „Ich wünschte“ so etwa…
sein Himmel. Assoziativ denkt Cooper hier über den echten George Miles,
seinen Tod und seine anhaltende Präsenz im eigenen Leben und Werk nach.
Dabei spielt die psychische Störung des Freundes eine zentrale Rolle.
Weil Miles stets von Medikamenten oder Psychosen von der Welt getrennt war,
stolpert er als wortwörtliche Kunstfigur durch die kurzen Kapitel, in denen
sich der Autor-Erzähler Dennis dem Sein und Strahlen des Freundes aus
verschiedenen Zeiten und Richtungen nähert. Dabei holt er sich
popkulturelle Pappkameraden wie James Turrell, Nick Drake, John Wayne Gacy
oder den Weihnachtsmann an seine Seite, um seine komplexe Beziehung zu
George zu ergründen.
Cooper hat mehrere Anläufe gebraucht, um dieses doppelt verstellte Leben in
Form und Ton zu bringen. Der Text springt zwischen den Perspektiven hin und
her, ist quasi mehrfach bipolar und damit so unzuverlässig wie Georges
psychische Verfassung. Die Aufrichtigkeit dieser überaus persönlichen
Erzählung bleibt davon unberührt. Cooper will wissen, woran Miles zugrunde
gegangen sein könnte, und schaut auch dann noch hin, wenn es ihm und uns
schon lange wehtut.
## Traumata und Krisen
Seine faktenbasierte Fiktion verweist auf kindliche Traumata, psychische
Krisen, gesellschaftliche Extreme und verblüffende Visionen. Eine führt
George zum Roden Crater, einem erloschenen Vulkan, den James Turrell seit
Jahren künstlerisch gestaltet. Das Gespräch, das George mit dem Krater
führt, ist eine Art kongenialer Mindfuck, wie man es so noch nie gelesen
hat. Am Ende fallen George Miles und die Kunstfigur gleichen Namens
zusammen, doch da hat längst ein anderer Krater das Sagen.
Diese Literatur erfordert die Bereitschaft, auf dünnen Seilen über dunkle
Abgründe zu gehen. Ja, es gibt die Gefahr, abzustürzen. Aber auch dieses
belebende Kribbeln, das existenzielle Flackern auf der anderen Seite zu
erreichen.
7 May 2023
## LINKS
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## AUTOREN
Thomas Hummitzsch
## TAGS
wochentaz
Roman
Liebe
Homosexualität
Tod
bipolare Störung
Psychosen
Roman
Queer
Französische Literatur
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