| # taz.de -- Theaterstück „Mission Mars“ in Oldenburg: Menschheit unter Lab… | |
| > In Oldenburg spekuliert die Uraufführung von Björn SC Deigners „Mission | |
| > Mars“ über die Zukunft der Menschheit – und ihre Fallstricke. | |
| Bild: Ob man es sich hier gemütlich machen kann, wenn die Erde endgültig klim… | |
| Oldenburg taz | Es braucht noch technischen Fortschritt, damit wir | |
| irgendwann auf dem Mars leben können. Noch besser wäre allerdings, wenn wir | |
| uns auch emotional und sozial ein bisschen in Form brächten, damit nicht | |
| schon die ersten Gehversuche so wie im Oldenburgischen Staatstheater in | |
| offenen Wahnsinn umschlagen: Astronautin Alex steht draußen auf Socken vor | |
| dem Habitat und harkt den Mars, im Hintergrund jagt Ulf eine imaginäre | |
| Ziege über die Bühne, während Kollege Christian mechanisch immer wieder | |
| nach dem Hörer des Notfalltelefons schnappt, mit dem sich dieser Spuk hier | |
| beenden ließe – wenn denn mal jemand ranginge. | |
| Gänzlich vorbei ist’s jedenfalls mit der geradezu meditativen Ruhe, in der | |
| Kevin Barz’ Regie diese „Mission Mars“ anklingen ließ. Über eine Stunde | |
| hatten sich die drei in ihren schweren Raumanzügen durch den roten Marssand | |
| gewuchtet. Wie in mobile Echokammern gestopft sind diese aufgeplusterten | |
| Astronaut*innen über die Oldenburger Bühne gestapft, haben hinter ihren von | |
| innen beleuchteten Helmvisieren nur über Funk gesprochen – und das dann | |
| meistens mit sich selbst: hübsch poetische Monologe über das Leben, über | |
| Einsamkeit und Kuriositäten der Raumfahrt- und Wissenschaftsgeschichte. | |
| Geschrieben hat Björn SC Deigner diesen Text am Delmenhorster | |
| Hanse-Wissenschaftskolleg. Dort war er „Writer in Residence“ und konnte | |
| sein Weltraum-Stück im Austausch mit Naturwissenschaftler*innen | |
| verschiedener Fachrichtungen entwickeln. Die hier heruntergeratterten | |
| Fakten (über Temperatur, Druck, Atmosphäre, Beschaffenheit, Terraforming, | |
| Trallala) sind spannend, letztlich aber doch eine Nebensache. | |
| Sehr viel fordernder ist Deigners Frage, was das eigentlich soll mit diesen | |
| Marskolonien. Warum die Menschheit immer nach vorn prescht, statt hinter | |
| sich aufzuräumen? Was es bedeutet, einen klimaverschrotteten Planeten zu | |
| verlassen und es sich auf dem nächsten gemütlich zu machen. Vor allem aber: | |
| Was treibt eigentlich diese Menschen an, die sowas tatsächlich machen? | |
| Dass die Antwort von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich ausfällt, macht | |
| die Inszenierung auf subtile Weise begreiflich, während die Charaktere | |
| immer weiter aus ihren klobigen Anzügen geschält werden. Als | |
| Missionsleiterin Alex schreitet Franziska Werner bereits auf der | |
| Außenmission eilig voran und ist oft schon wieder von der Bühne, wenn die | |
| anderen nachkommen. | |
| Das schreibt sich so fort, wenn sie dann später übergriffig am | |
| Hautausschlag des einen Kollegen herumfummelt, oder dem anderen das Ende | |
| seines Krimis verrät, weil sie es nicht aushält, ihm beim stundenlangen | |
| Lesen zuzugucken. Daneben demütig Matthias Kleinert als Astronaut Ulf aus | |
| Gladbach, über den der Dritte im Bunde einmal sagt: „Ich glaube, er fühlt | |
| sich wie das dritte Rad am Wagen. Und das Schlimme ist, es stimmt.“ Das war | |
| Fabian Kulp als Christian, dem es hier vor allem ums Geld geht. | |
| Anika Wieners Bühne ist vorn ein klar begrenzter Sandkasten, gefüllt mit | |
| roten Krümeln: Pflanzgranulat oder irgendwelche Hülsenfrüchte und ein paar | |
| Felsen. Dahinter stehen zwei Leinwände, auf denen versetzt gedoppelte | |
| Marslandschaften aufleuchten oder Videoprojektionen von Darsteller*innen | |
| aus dem Off. Hier tritt auch Tobias Schormann als unangenehm smarter Typ | |
| von der Bodenkontrolle auf, der sich mit Anweisungen und Witzchen zu Wort | |
| meldet („Kennt ihr schon das neue Restaurant auf dem Mars? Gutes Essen, | |
| aber keine Atmosphäre.“). Eine herrlich unaufrichtige Lockerheit, die | |
| angesichts des sich anbahnenden Lagerkollers zunehmend zynischer klingt. | |
| In ihrer Stringenz und Dichte fordert diese Inszenierung tatsächlich viel | |
| vom Schauspiel. Und das geht erfreulicherweise ziemlich gut. Ganz besonders | |
| Franziska Werner wechselt trittsicher zwischen der Sondierung eigener | |
| Verletzbarkeit und den Übergriffen auf die Kollegen. | |
| „Mission Mars“ seziert die Menschheit unter Laborbedingungen. Das ist eine | |
| existenzialistische Übung, die es dazu noch fertigbringt, sich selbst zu | |
| erklären: Alex räsoniert darüber, wie sie Wetter, Landschaft und überhaupt | |
| den Mars allein durch Messgeräte und Schutzausrüstung wahrnimmt. Und dieser | |
| Moment, nach etwas zu greifen und doch immer wieder nur ins Innere der | |
| eigenen Handschuhe zu fassen – das ist eine Erfahrung, die wir früher oder | |
| später alle machen. Auch ohne Raumschiff. | |
| 29 Jan 2020 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Paul Koopmann | |
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