# taz.de -- Syrien nach Assad: „Feiert mit uns!“ | |
> Wie geht es Syrer*innen in Deutschland nach dem Sturz des | |
> Assad-Regimes? Was denken sie über die Abschiebedebatte? Fünf Einwürfe im | |
> Gefühlschaos. | |
Bild: Freude im Exil: Die Flagge der syrischen Opposition am Dienstag in Berlin | |
„Feiert mit uns!“ | |
Ich freue mich für alle Vertriebenen, die jetzt endlich in Sicherheit | |
zurückkehren können. Ich freue mich für alle Gefangenen, die aus der Haft | |
befreit wurden. Und ich freue mich für die Menschen in Syrien, dass dieser | |
Diktator endlich weg ist. Ich hätte mir nur gewünscht, dass er für seine | |
Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wird. Er hat [1][Millionen Menschen zu | |
Flüchtlingen] gemacht. Jetzt ist er selbst ein Flüchtling. Ich habe viele | |
Angehörige und Freunde in Damaskus und in Homs. Viele sind aber auch | |
gestorben, viele wurden vertrieben. Deshalb denke ich auch an die, die | |
diesen Moment leider nicht feiern können. Im Verlauf der Revolution seit | |
2011 wurden Millionen Menschen inhaftiert. Von ihnen sind jedoch über | |
180.000 spurlos verschwunden. Die Situation bleibt weiterhin | |
unübersichtlich und es gibt keine Klarheit über ihr Schicksal. | |
Nur weil Assad weg ist, heißt das natürlich nicht, dass in Syrien Frieden | |
herrscht. Aber ich glaube, jede Zukunft ist besser als eine mit Assad – mit | |
einem korrupten Regime, das sein eigenes Volk ermordet hat. Es ist deshalb | |
falsch, ständig Begriffe wie Islamisten und Dschihadisten zu verwenden, um | |
die Opposition damit für illegitim zu erklären. Diese Menschen haben nicht | |
14 Millionen Syrer vertrieben. Sie haben auch nicht eine halbe Million | |
Syrer getötet und auch nicht 100.000 Menschen ins Gefängnis gesteckt. Sie | |
haben vielmehr diese Menschen befreit und tragen dazu bei, dass Millionen | |
Menschen, die nach Idlib vertrieben wurden und dort jahrelang in | |
Flüchtlingslagern leben mussten, vielleicht wieder in ihre Häuser | |
zurückkehren können. | |
Man nennt sie Islamisten. Aber auch diese Menschen sind Opfer von Assad, | |
seines Kriegs und seiner Foltergefängnisse. Für mich sind sie vor allem | |
Syrer, die stark an ihrem Glauben hängen – ähnlich wie Christen im Westen, | |
die tief in ihrem Glauben verwurzelt sind. Viele von ihnen sind | |
konservative Muslime, vergleichbar mit konservativen Christen, etwa in | |
Parteien wie der CDU – allerdings in einer Realität, die von Gewalt und | |
bewaffnetem Konflikt geprägt ist. Aber wir haben schon immer zusammen | |
gelebt, schon vor Assad, und wir werden es auch nach ihm tun. | |
Die Syrer wollen endlich in Frieden leben, und ich finde es falsch, dass | |
gerade Israel die Gelegenheit genutzt hat, über 300 Luftangriffe in Syrien | |
durchzuführen. Zudem wurden mehrere Dörfer an der Grenze zur Evakuation | |
aufgefordert, offenbar, um die Orte zu annektieren. | |
Ich habe keine Angst vor Islamisten. Nur vor Terroristen. Und der größte | |
Terrorist war Assad. Ich wurde selbst von islamistischen Gruppen verhaftet | |
und gefoltert. Aber das ist kein Vergleich zu dem, was ich mit Assads | |
Schergen erlebt habe. Ich kann gut verstehen, wenn zum Beispiel jemand aus | |
der LGBTQ-Community Angst hat. Deshalb ist es falsch, dass jetzt die | |
Asylverfahren gestoppt werden. Wir reden ständig über Demokratie und | |
Freiheit. Wenn das syrische Volk zum ersten Mal seit 50 Jahren selbst | |
entscheiden darf, dass es jetzt diesen oder jenen Menschen als Präsidenten | |
des Landes haben möchte, dann ist das seine Sache. Ein paar Jahre im Amt, | |
dann kann er wieder abgewählt werden – so sollte es sein. | |
Die Frage ist nicht, ob ich nach Syrien gehen werde, sondern wann. Schon | |
als Aleppo befreit wurde, habe ich mit dem Gedanken gespielt, dorthin zu | |
fahren. Ich weiß nicht, ob ich dort leben möchte. Ich bin 2013 nach | |
Deutschland gekommen, meine Eltern leben inzwischen auch hier. Ich habe mir | |
in elf Jahren eine Existenz in Deutschland aufgebaut. Meine Firma ist hier, | |
meine Arbeit, mein Leben, und ich bin seit mehr als vier Jahren deutscher | |
Staatsbürger. Aber ich weiß, dass ich eine Heimat habe, die ich jetzt | |
hoffentlich endlich wieder besuchen kann – den Ort, an dem ich geboren | |
wurde und mit dem ich Erinnerungen verbinde. Ich konnte mich nicht | |
verabschieden, weil ich so schnell fliehen musste. Aber ich möchte mir | |
diese schönen Augenblicke wieder zurückholen. | |
Firas Alshater, 33 Jahre, ist Schauspieler, Comedian und Youtuber. Seine | |
Autobiografie mit dem Titel „Ich komm auf Deutschland zu“ erschien 2016 im | |
Ullstein Verlag. | |
„Keinen Raum den Rechten!“ | |
Wir wussten, dass die Opposition seit Jahren zum ersten Mal die Chance auf | |
Befreiung hat, aber dass sie es wirklich geschafft hat, erweckt wieder | |
Hoffnung in mir. Ich bin noch ziemlich schockiert und total glücklich. Am | |
Sonntag bin ich aufgewacht, mein Handy vibrierte, ich hatte zig verpasste | |
Anrufe von Freunden aus Syrien, Deutschland und Italien. Die Nachrichten | |
hatte ich nicht gesehen, aber ich habe geahnt, was los ist. Der Himmel, die | |
Luft, alles hat sich ganz anders angefühlt. | |
Ich habe mit meiner Mutter telefoniert, sie lebt in Tartus im Westen | |
Syriens. Zum ersten Mal seit Jahren werde ich nach Syrien reisen, um meine | |
Familie und Freunde wiederzusehen. In mein eigenes Land, meine Heimat. Sie | |
gehört wieder uns. Im März plane ich dort zu sein, zur Zeit ist die | |
Situation mit den Grenzen auch noch nicht ganz klar, aber über Beirut | |
scheint man ganz gut nach Syrien zu kommen. | |
Ich habe gegen das Regime gerappt, dafür war ich eine Zeit lang im | |
Gefängnis. Als ich raus kam, musste ich meine Heimat verlassen. 2014 bin | |
ich nach Deutschland geflüchtet. Ich muss sagen, es ist hart hier. Niemand | |
empfängt dich mit offenen Armen. Deshalb wünsche ich mir jetzt, umso mehr: | |
Deutschland, feiert mit uns das neue freie Syrien. Schließlich leben wir | |
seit zehn Jahren zusammen, etwa nicht? Jetzt ist die Zeit zum Feiern, statt | |
ständig zu fragen: „Und, gehst du zurück?“ Das ist echt nicht der richtige | |
Moment. | |
Ich habe schon lange keine Erwartung mehr an Deutschland, ich hoffe nur so | |
sehr, dass sie uns irgendwann verstehen, wie wir sie verstanden haben: Wir | |
haben die deutsche Sprache gelernt, versucht, die Kultur zu verstehen und | |
zu akzeptieren. Wir haben versucht, uns anzupassen, nicht aufzufallen. Nach | |
der Silvesternacht in Köln 2015 galten wir auf einmal alle als | |
Vergewaltiger. Als die Flüchtlingsbewegung aus Syrien los ging, wollte ich | |
meine Leute unterstützen. Es war mitten im Winter und in Berlin campierten | |
die Leute tagelang vor dem Flüchtlingsamt. Deutschland war überfordert. | |
Ich erinnere mich noch gut an den Dezember 2016. Ich wohnte da noch in | |
Berlin, bevor ich nach Kassel zog, wir waren 25 Personen in meiner kleinen | |
Wohnung und wir hatten alle Angst. Wir dachten: Die Revolution in Syrien | |
ist endgültig vorbei, wir haben verloren. Das war eine sehr dunkle Zeit in | |
meinem Leben, ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben. | |
Eine weitere Sache wünsche ich mir für Deutschland: Dass den Rechten kein | |
Raum mehr gegeben wird. Nächstes Jahr ist Bundestagswahl, und wir sehen, | |
wie stark die AfD in den Umfragen ist. Schau mal, Deutschland, Syrien hat | |
es geschafft, jetzt seid ihr dran. Bekommt euren Rassismus in den Griff. | |
Die Zukunft ist ungewiss, aber ich habe schon Pläne für meinen nächsten | |
Song. Ich will ihn in Syrien aufnehmen und das Video dort drehen, in der | |
Sonne, im Warmen, in meinem Land, in Syrien. | |
Mohammad Abu Hajar, 37 Jahre, ist Rapper und lebt in Kassel. | |
„Jetzt ist keine Zeit für Aktionismus“ | |
Meine Mutter stammt aus Idlib, mein Vater aus Suweida, einer Region im | |
Südwesten, in der viele Drusen leben. Beiden ist ein großer Stein vom | |
Herzen gefallen. Nach 13 Jahren Krieg hat meine Familie in Syrien erstmals | |
wieder Hoffnung auf positive Veränderungen. Meine eigenen Gefühle sind | |
gemischt. Ich verspüre einerseits tiefe Trauer darüber, dass das Land, das | |
ich kennen und lieben gelernt habe, nicht mehr existiert, weil 13 Jahre | |
Krieg zu viel zerstört haben. Ich verspüre zugleich große Freude. Darüber, | |
dass das Assad-Regime gestürzt ist und die Menschen endlich wieder hoffen | |
können. Ich verspüre große Sorge. Darüber, ob es den Menschen in Syrien nun | |
wie den Menschen in Afghanistan oder Iran ergehen könnte. Ich hoffe | |
inständig, dass sich rechtsstaatliche Strukturen entwickeln können und die | |
Bürger des Landes ein echtes Mitspracherecht erhalten. Sie lieben ihr Land | |
– da ist es nur richtig, dass sie es mitgestalten können. | |
Ich wünsche mir, dass wir nun Schritt für Schritt gehen. Jetzt ist keine | |
Zeit für Aktionismus. Syrien braucht Unterstützung für einen geordneten | |
politischen Übergang und den Wiederaufbau des Landes. Es braucht jetzt gut | |
durchdachte Maßnahmen, die vor allem der syrischen Bevölkerung helfen. | |
Meine Erfahrungen als Tochter syrischer Einwanderer habe ich von Anfang an | |
auch in meine politische Arbeit eingebracht. Ich will mich auch weiterhin | |
für die Belange dieser und weiterer migrantischer Gruppen einsetzen. | |
Die [2][laufende Abschiebedebatte] ist empathielos, kurzsichtig und purer | |
Aktionismus. Wie man Menschen einen Tag nachdem dort ein Regime gestürzt | |
ist, in ein Land zurückschicken will, das vom Krieg gebeutelt und | |
weitestgehend zerstört ist, kann ich absolut nicht nachvollziehen. Es muss | |
jetzt darum gehen, wie Deutschland Syrien unterstützen kann. Und nicht | |
darum, wie man weltpolitische Ereignisse möglichst schnell für eigene | |
Wahlkampfzwecke missbrauchen kann. | |
Rasha Nasr, 32, ist seit 2021 SPD-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis | |
Dresden I. | |
„Von den Rebellengruppen bin ich positiv überrascht“ | |
Es ist ein Auf und Ab der Gefühle. Am Sonntag haben wir geweint vor Freude. | |
Aber die Freude verblasst leider mit jedem Tag. Auch, weil unsere Politiker | |
so unverantwortlich und unsensibel mit diesem Thema umgehen. Meine | |
Mandanten rufen mich im Minutentakt an: Sie haben Angst, weil sie schon | |
einmal alles verloren haben und jetzt wieder eine große Ungewissheit | |
herrscht. Das ist sehr bedrückend. | |
Ich bin in Rüsselsheim geboren und aufgewachsen. Ich kenne Syrien nur aus | |
den Urlauben, die ich dort ohne meinen Vater verbracht habe. Er kam mit 18 | |
Jahren nach Deutschland, 1959. Weil er sich 1981 der friedlichen Opposition | |
anschloss, durfte er seitdem nicht mehr nach Syrien einreisen. Als ich Kind | |
war, hat er immer geweint, wenn er mich zum Flughafen begleitet hat. Das | |
war der Grund, warum ich später Jura studiert habe – um etwas für die | |
Gerechtigkeit zu tun. | |
Während der Revolution 2013 war ich mit meinem Vater im damals „befreiten“ | |
Stadtteil von Aleppo, mit vier Lkws an Material, Medikamenten und | |
Lebensmitteln. Als wir dort waren, hat der türkische Präsident Erdoğan die | |
Grenzen gesperrt und wir saßen eine Woche lang fest, zwischen Fassbomben | |
und den anderen furchtbaren Schrecken. Die Menschen, die für Gerechtigkeit | |
einstehen, wurden damals von der Welt fallen gelassen. Und das droht jetzt | |
wieder. | |
Von den unterschiedlichen Rebellengruppen bin ich positiv überrascht. Mein | |
Mitarbeiter ist Anwalt aus Aleppo und syrischer Christ. Er sagt, die | |
Christen würden geschützt, sie waren am ersten Advent in der Kirche und | |
haben ihren Weihnachtsbaum aufgestellt. Aber es sind auch viele gemäßigte | |
Gruppen in der ersten Reihe dabei oder in der Presse aktiv. Und ich begrüße | |
es, dass sie sagen: Wir wollen eine Übergangsregierung, wir arbeiten mit | |
euch zusammen, wir wollen endlich ein friedliches Syrien ohne Diktatur. Das | |
hätte ich nie gedacht – vor allem angesichts der ganzen Grausamkeiten, die | |
das Regime verübt hat. | |
Ich habe einen Verwandten, der als Minister für die syrische Regierung | |
arbeitet. Ich hatte seit 14 Jahren keinen Kontakt mehr zu ihm, aber er hat | |
meines Wissens kein Blut an den Händen. Er wurde angerufen und ihm wurde | |
gesagt: Geh weiter in deinem Büro arbeiten. Ich finde es gut, mit jemandem, | |
der keine Kriegsverbrechen begangen hat, den Übergang zu gestalten. Das ist | |
besser als Vergeltung. Doch jetzt haben wir Angst, dass es doch in einem | |
Bürgerkrieg endet, weil so viele ausländische Kräfte mitmischen. | |
Wir wünschen uns, dass Deutschland die demokratischen Kräfte und den | |
Wiederaufbau unterstützt und signalisiert, dass da jetzt nicht jeder | |
bombardieren und einmarschieren kann. Wir arbeiten seit 2012 mit dem | |
Auswärtigen Amt und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Wir | |
haben in ganz Syrien Projekte gehabt oder haben sie noch. Ich hoffe, dass | |
wir schnellstmöglich besprechen können, wie wir positiv auf den Wandel dort | |
reagieren können. | |
Nahla Osman, 46, ist Fachanwältin für Migrationsrecht und Vorsitzende des | |
Verbands deutsch-syrischer Hilfsvereine e.V. | |
„Peinliche Debatte in Deutschland“ | |
Mir geht es sehr, sehr gut, denn wir feiern immer noch den Sturz von Assad, | |
auch wenn wir uns natürlich Sorgen machen, wie es weitergeht. Ich habe in | |
den letzten Tagen viel telefoniert und sehr wenig oder gar nicht | |
geschlafen, wie in der Nacht von Samstag auf Sonntag. Die Ereignisse wurden | |
ja fast live übertragen, zum Beispiel über Telegram, von syrischen | |
Journalisten, die die militärische Opposition begleitet haben. Endlich ist | |
der tyrannische Diktator weg und nun kann eine hoffnungsvolle und | |
friedliche Zukunft für das befreite Syrien beginnen. | |
Die HTS hat sich in den letzten Jahren in Idlib erstaunlich tolerant | |
gezeigt, vor allem gegenüber Minderheiten wie den Christen dort, deren | |
Kirchen in den befreiten Gebieten wieder aufgebaut werden. Das macht einen | |
guten Eindruck und wir hoffen, dass es so weitergeht. Syrien gehört allen | |
Syrern, egal welcher ethnischen oder religiösen Gruppe sie angehören. Meine | |
größte Sorge ist, dass die Nachbarländer wie die Türkei und Israel die | |
Gunst der Stunde nutzen, um sich ein Stück vom Kuchen abzuschneiden. Auch | |
meine kurdischen Freunde sind gegen das Assad-Regime auf die Straße | |
gegangen. Die aktuelle Situation verunsichert viele Kurden. Viele | |
Minderheiten haben wirklich grausame Erfahrungen mit der Terrororganisation | |
IS machen müssen. Deshalb haben sie verständlicherweise Angst vor der | |
weiteren Entwicklung – und auch davor, dass die Türkei weiter in Syrien | |
einmarschiert und sie vertrieben werden. | |
Kurden, Araber, Christen, Sunniten, Schiiten, Assyrer, Alawiten und viele | |
andere sind Nachbarn, Verwandte und Freunde. Mein Traum ist es, dass auch | |
die jüdischen Syrer, die im 20. Jahrhundert Syrien verlassen mussten, in | |
ihre alte Heimat zurückkehren dürfen. | |
Wir lesen und sehen, dass die rechtsextreme israelische Regierung in | |
weitere Gebiete Syriens einmarschiert und diese illegal besetzt. Das macht | |
uns sehr traurig und wütend. Ein demokratischer Staat sollte aus syrischer | |
Sicht die bereits illegal annektierten Golanhöhen an Syrien zurückgeben. | |
Der gemeinsame Feind Assad ist endlich gestürzt. Die Weltgemeinschaft hat | |
in den letzten Jahren in Syrien versagt, aber jetzt kann sie die Syrerinnen | |
und Syrer beim Wiederaufbau unterstützen. | |
Meine Schwester lebt mit ihrer Familie im Osten Aleppos. Nach der Befreiung | |
der Stadt sind sie zunächst in das Dorf meiner Großeltern geflohen, das auf | |
dem Weg nach Rakka in der Wüste liegt. Sie hatten Angst, dass das | |
Assad-Regime und Russland Aleppo wieder bombardieren würden. Tatsächlich | |
wurde das Haus meines Cousins getroffen – ob von russischen oder syrischen | |
Kampfflugzeugen, wissen wir nicht. Auch die Universität von Aleppo und das | |
Universitätskrankenhaus, wo ich studiert und meine Praktika gemacht habe, | |
wurden bombardiert. | |
Meine Eltern und ein Teil meiner Geschwister leben in der Türkei, in | |
Zentralanatolien. Dort gab es vor einigen Monaten schwere Ausschreitungen | |
gegen syrische Flüchtlinge. Deshalb habe ich vor kurzem ein Visum | |
beantragt, damit sie zu mir nach Deutschland kommen können. Meine | |
Geschwister und ich hatten Angst, dass sie nach Syrien abgeschoben werden. | |
Jetzt wissen wir nicht, ob ihr Antrag aufgrund der politischen Entscheidung | |
bearbeitet wird. | |
Die Debatte über Syrer in Deutschland ist beschämend und peinlich. Nur | |
wenige Stunden nach dem Sturz des Assad-Regimes haben Politiker die | |
Rückführung und Abschiebung der in Deutschland lebenden Syrer gefordert – | |
aus meiner Sicht ist das reiner Wahlkampf und dient unserer deutschen | |
Gesellschaft nicht. In vielen Kliniken gibt es ganze Stationen, die nur aus | |
ausländischen Fachkräften bestehen, von den Ärzten bis zu den | |
Reinigungskräften, und darunter sind viele Syrer. Die Mehrheit der in | |
Deutschland lebenden Syrer bezeichnet sich selbst als Deutsche mit | |
syrischen Wurzeln. Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich zwei Heimaten | |
habe oder haben könnte. | |
Mit der Hilfe Deutschlands und der Beteiligung der in Deutschland lebenden | |
Syrer könnten wir Syrien voranbringen. Ich selbst möchte am Wiederaufbau | |
Syriens mitwirken. Deutschland kann Syrien beim Wiederaufbau, beim Aufbau | |
eines Rechtsstaates und bei der Stärkung der Zivilgesellschaft begleiten. | |
Die heutige Situation in Syrien ähnelt der Situation in Deutschland nach | |
dem Ende der Naziherrschaft. | |
Mein Bruder ist Neurologe, Freunde von uns kommen aus allen medizinischen | |
Fachrichtungen. Gemeinsam haben wir das Ziel, in Aleppo eine medizinische | |
Einrichtung, ein Rehabilitationszentrum zu gründen – vor allem für Kinder | |
und für Menschen, die Gliedmaßen verloren haben. Es gibt so viele | |
Kriegsverletzte in Syrien. Sie brauchen dringend Prothesen und Therapien. | |
Faisal Hamdo, 35, ist Physiotherapeut in Hamburg und Autor des Buchs „Fern | |
von Aleppo“ (2018) über seine Flucht aus Syrien und Ankunft in Deutschland. | |
12 Dec 2024 | |
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