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# taz.de -- Nach Sturz von Assad in Syrien: Kritik an Abschiebedebatte
> Auch Berliner Behörden kritisieren den Stopp von Asylverfahren von
> Syrer*innen. Flüchtlingsrat und Grüne fordern die Verlängerung des
> Aufnahmeplans.
Bild: Ein bisschen Freude in unsicheren Zeiten: Auch in Berlin feierten Tausend…
Berlin taz | Die Flaggen, mit denen Syrer*innen auch hier den Sturz des
Assad-Regimes feierten, sind noch nicht eingerollt, da schleudert ihnen die
deutsche Politik schon das große „Aber“ entgegen. Führende Politiker
bringen „Abschiebungen“ und „Rückreisen“ ins Gespräch. Und die
Bundesinnenministerin ordnet direkt am Montag – ihrem ersten Arbeitstag
nach Assads Abgang – an: Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf)
solle [1][Entscheidungen über Asylsuchende aus Syrien erst mal aussetzen].
Ihre Begründung: Die Lage in Syrien sei derzeit unklar.
Konkret heißt das, dass die Bamf-Mitarbeiter*innen die Anträge von
syrischen Asylsuchenden bis auf Weiteres ganz unten einsortieren. Der
Leiter der Ausländerbehörde und zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für
Flüchtlinge im brandenburgischen Eisenhüttenstadt, Olaf Jansen, findet das
falsch. „Ich halte das ehrlich gesagt für die zweitbeste Entscheidung, um
es mal höflich auszudrücken – also keine gute Idee“, [2][sagte er am
Mittwoch in einem Interview mit dem RBB]. „Es geht hier nicht um ein paar
hundert, sondern um mehrere zehntausend Fälle.“
Jansen erklärte, dass sich so ein riesiger Rückstau aufbaue. Das Bamf werde
sich damit auch einen Haufen zusätzlicher Arbeit einhandeln. Denn
Asylsuchende könnten die Behörde wegen Untätigkeit verklagen. „Und diese
Klagen wird das Bamf dann reihenweise verlieren. Das kostet ein Vermögen“,
sagte er. Sinnvoller wäre, weiterhin die Asylbegehren der ankommenden
Menschen zu prüfen und bei vulnerablen Gruppen auch Schutz auszusprechen.
Letztlich seien selbst Ablehnungen für die Betroffenen besser als
Untätigkeit der Behörden. Denn gegen negative Entscheidungen könnten sie
dann klagen, „und dann entscheiden Gerichte, ob das gerechtfertigt war“,
erläuterte der Behördenleiter. Er findet: Alles sei besser, als Betroffene
im Unbestimmten zu halten. Aus seiner Sicht offenbare sich in der
Entscheidung ein fatales „Stillstandsdenken“, das eher „Probleme
kultiviere“, anstatt Chancen wahrzunehmen. „Die Menschen sind alle
erleichtert, dass das Regime verschwunden ist. Ansonsten sind sie aber
darauf fokussiert, dass sie in Deutschland ankommen und sich hier
gegebenenfalls auch eine Zukunft aufbauen können“, so Jansen.
## Berlin nimmt weiter auf
Berlins Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) wollte die
Entscheidung des Bundesamts am Mittwoch nicht direkt kommentieren. „Die
Leute, die hier ankommen, nehmen wir auf“, sagte ein Sprecher auf Nachfrage
der taz. „Das ist die gesetzliche Grundlage, und daran ändert auch die
Entscheidung des Bamf nichts“, sagte er.
„Unser Grundgesetz und auch die Genfer Flüchtlingskonvention sichert jedem
Menschen ein Anrecht auf die individuelle Prüfung ihres Asylgesuchs zu“,
teilte ein Sprecher der Senatsverwaltung für Soziales mit. „Das bedeutet
für uns: Wenn Menschen aus Syrien aktuell in Berlin ankommen und Asyl
beantragen, haben sie ein Recht auf ein Asylverfahren, welches das Bamf
durchführt.“ Während dieser Zeit werde die Behörde die Menschen
unterbringen. „Durch das momentan festgelegte Aussetzen kann es allerdings
zu längeren Asylverfahren kommen“, sagte der Sprecher. Es sei derzeit
unklar, wie sich „dynamische Entwicklungen in Syrien“ auf Berlin auswirken
könnten.
„Ich finde die Debatte widerlich“, sagt Enad Altaweel, [3][Sprecher für
Vielfalt und Antidiskriminierung] der Berliner Grünen. „Wie unempathisch
und würdelos, einen Tag später von Abschiebungen zu sprechen. Das schürt
Angst und eine rassistische Stimmung.“ Altaweel ist selbst 2016 aus Syrien
nach Berlin gekommen und hat sich im vergangenen Juni einbürgern lassen.
„Es sieht derzeit auch nicht danach aus, dass die HTS die Minderheiten in
Syrien schützt. Im Gegenteil, die Nachrichten aus dem Nordosten von Syrien
sind sehr besorgniserregend“, sagt er. Die Debatte sei [4][ein fatales
Signal an die hier lebenden Syrer*innen – und die Deutschen mit
syrischem Hintergrund]. „Was macht das mit Kindern, wenn sie das hören?“,
fragt er. „Bei dieser Debatte schäme ich mich für meine neue Heimat. Ich
wünsche mir mehr Empathie und Menschlichkeit für Deutschland.“
## Sichere Fluchtwege gefordert
Altaweel fordert im Gegenteil, dass Berlin gerade jetzt das
Landesaufnahmeprogramm für Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und Irak
verlängern müsse. Regulär würde es Ende Dezember auslaufen. Mit dem
Landesaufnahmeprogramm können Menschen direkt nach Berlin einreisen, wenn
sie Verwandte in Berlin haben, die für ihren Unterhalt aufkommen. Das
Programm gibt es für Syrien bereits seit rund zehn Jahren. Altaweels
Schwester ist darüber vor zwei Jahren nach Berlin gekommen. „Sichere
Fluchtwege sind weiterhin absolut notwendig“, sagt er. „Das Landesprogramm
ist ein Weg, um sie zu ermöglichen.“
Der Flüchtlingsrat Berlin hatte den Bamf-Entscheidungsstopp bereits am
Montag kritisiert. Die Menschen bräuchten weiterhin Rechtssicherheit
bezüglich ihrer Verfahren. Die Initiative forderte die Senatsverwaltung für
Finanzen auf, die Aufnahmeregelung aus dem Landesprogramm für Menschen,
deren Verwandte in Berlin für sie bürgen könnten, endlich freizugeben.
Dieser Regelung hätten die Senatsverwaltungen für Inneres und für Soziales
bereits zugestimmt.
11 Dec 2024
## LINKS
[1] /Syrische-Gefluechtete-in-Deutschland/!6051576
[2] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2024/12/brandenburg-eisenhuettenstadt-…
[3] https://gruene.berlin/person/enad-altaweel_447
[4] /Syrische-Diaspora-in-Berlin/!6051597
## AUTOREN
Uta Schleiermacher
## TAGS
Schwerpunkt Syrien
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Asylverfahren
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Einbürgerung
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