# taz.de -- Sven-Åke Johansson im Interview: „Eine Schallplatte aus Gummi“ | |
> Auf dem JazzFest Berlin ist Sven-Åke Johansson Ehrengast. Der Komponist | |
> und Performer spricht über Salatgurken und Feuerlöscher in der Musik. | |
Bild: Sven-Ake Johansson 2017, bei der Arbeit am Klang von Karton | |
Es ist ein leuchtender Herbsttag, als Sven-Åke Johansson in der offenen | |
Wohnküche seines Studios in Berlin-Kreuzberg zum Interview empfängt. Auf | |
der Garderobenablage sein Hut, den er auch bei Konzerten trägt, an den | |
Wänden Zeichnungen von Bernd Koberling, Albert Oehlen und Martin | |
Kippenberger – am Fenster ein Ölbild einer schwedischen Winterlandschaft, | |
gemalt von seiner Tante: eine verschneite Baumallee neben brach liegenden | |
Feldern. | |
taz: Sven-Åke Johansson, Sie leben seit 1968 in Westberlin. Ihr bisher | |
einziger Auftritt beim Berliner JazzFest, damals noch Jazztage genannt, war | |
1972 mit Gunter Hampel. Heute, 50 Jahre später, widmet Ihnen das Festival | |
einen Schwerpunkt mit drei Konzerten, einem Film und mit einem | |
Künstlergespräch. Waren Sie von der Einladung überrascht? | |
Sven-Åke Johansson: Nun, ich habe mich natürlich gefreut. Meine Tätigkeit | |
ist ja im Grunde nicht der Jazz, sondern die Erforschung von Klängen. | |
Insofern entzieht sich meine Musik manchen Kategorisierungen. Jazz ist nur | |
ein kleiner Teil dessen, was ich tue. | |
Sie zählen dennoch zur ersten Generation des Europäischen Free Jazz. | |
Ja, aber im Verhältnis zu den späteren Jahren meiner künstlerischen Praxis | |
war das nur eine kurze Zeit. | |
Ihre Auftritte sind immer auch Performances, bei denen Sie stets Anzug | |
tragen, oft auch im Hut trommeln. | |
Das gehört zu meiner Bühnenfigur. Aber auch, weil ich mich wohl darin | |
fühle, und zu einem Gentleman – und ich meine, einer zu sein – gehört ein | |
Anzug. | |
Peter Brötzmann, auf dessen Signatur-Album „Machine Gun“ Sie zu hören sin… | |
wurde 1967 von den Jazztagen ausgeladen, weil er sich geweigert hatte, | |
einen Anzug zu tragen … | |
Ach diese alten Geschichten. Inzwischen trägt auch er topschicke | |
Tweed-Jacketts. | |
Von Ihren vielfältigen Projekten wird es beim JazzFest einen Auftritt Ihres | |
Trios Neuköllner Modelle geben sowie Aufführungen Ihrer Kompositionen | |
„Stumps“ und „MM schäumend – Ouvertüre für 15 Handfeuerlöscher“. … | |
man sich darunter vorstellen? | |
Die Komposition für 15 Feuerlöscher ist ein älteres Werk, wird aber zum | |
ersten Mal auf der Hauptbühne des Berliner Festspielhauses zu sehen sein. | |
Es ist ein kurzes Stück, das liegt an dem Inhalt der Geräte, der Laufzeit | |
des Materials. MM steht natürlich für die Feuerlöscher-Firma Mini-Max, also | |
mit kleinster Form maximale Wirkung erzielen. | |
Und „Stumps“? | |
Das sind Stümpfe, kurzgehauene Stücke, die ich für dieses Quintett in | |
signalhaften kurzen Figurationen zusammengestellt habe. | |
Sie haben schon für Windräder komponiert, für Kartonagen und Traktoren. | |
Eine Ihrer Kompositionen von 2020 trägt den Titel „Komposition für 10 + 1 | |
Eierschneider“. Dazu die präzise Spielanweisung, diese zu zupfen oder mit | |
einem Plektron zu spielen, während sie auf einem vorne geöffneten | |
Holzkasten zu platzieren seien. Wurde diese Komposition schon einmal | |
aufgeführt? | |
Nein, sie wird aber wahrscheinlich im April 2023 im Museum Hamburger | |
Bahnhof aufgeführt. Von welchem Ensemble weiß ich noch nicht. Es müssen | |
dann elf Spieler*innen sein. | |
Sie haben über sich gesagt, Sie stellen „nicht-hehre Klänge durch | |
nicht-musikalische Gerätschaften zusammen“. Welche sind das? | |
Manchmal verwende ich anstelle von Drumsticks Salatgurken oder als | |
Substitut für die klingenden Becken Schaumstoff, was das Gegenteil eines | |
klingenden Beckens ist. Aber das Visuelle bringt den Ton zum Klingen und | |
damit hinterfrage ich auch meine Tätigkeit als Batterist. Ich habe lange | |
Jahre das Schlagzeug als Instrument auseinandergenommen, verstellt und | |
umgedreht. Heute verwende ich wieder das Set im Originalzustand. Aber mit | |
einer Spielweise, die nicht mit der herkömmlichen zu vergleichen ist. | |
Wann haben Sie als Musiker begonnen? | |
Ich war ja seit den 1960ern Funktionsmusiker, habe in Tanzbands gearbeitet | |
und sogar bei Schlagern Schlagzeug gespielt. Daraus wurde dann mit der Zeit | |
eine konzertante Form. Es war die Zeit des Pop, der vereinfachten Form von | |
Harmonik und Rhythmik. Free Jazz war eine weitere, neue Form. Das änderte | |
sich jedoch für mich, als ich nach Berlin kam und viele Einflüsse aus der | |
bildenden Kunst bekam. Ich gründete dann meine Gruppe Moderne Norddeutsche | |
Dorfmusik mit den verstorbenen Kollegen Eisbrenner und Götz, die aus der | |
Kunst kamen. | |
Welche Rolle spielte das „Zodiak“? | |
[1][Das Zodiak Free Arts Lab war ein Ort in Westberlin], wo sich viele | |
Leute trafen, die mit Kunst zu tun hatten und aus verschiedenen | |
Musikrichtungen kamen, etwa auch die erste Generation der | |
Elektronik-Performance. Dort entstanden neue Aspekte, eine neue Einfachheit | |
und eine Form des Erlaubens von Geräuschmitteln mit der Idee, neue Musik zu | |
machen, die nicht unbedingt mit Notenschrift verbunden war. | |
Nach dem Ende des „Zodiak“ haben Sie längere Zeit in einer kommunalen | |
Künstler*innengruppe in einem Kloster in Mariental gelebt, dem | |
„Mariental – Kollektiv für künstlerische und ästhetische Forschung“. W… | |
war das? | |
Das war ein ehemaliges Zisterzienserkloster, das uns über die | |
Kunsthochschule in Braunschweig zur Verfügung gestellt worden war. Da haben | |
wir viele musikalische Experimente gemacht, man hört diese Bänder noch | |
heute mit Genuss. Für unseren Lebensunterhalt haben wir Kindern in einem | |
Kindergarten in Wolfsburg modernen Unterricht gegeben, wie man mit Rasseln | |
und alten Blecheimern Lärm macht. Es gab den Verdacht, im Kloster hätten | |
sich Mitglieder der RAF versteckt. Die Polizei stand immer wieder nachts | |
auf dem Hof. Das war die heiße Zeit im Deutschen Herbst, 1977 und 1978. | |
Wie lernten Sie die bildenden Künstler [2][Albert Oehlen] und Martin | |
Kippenberger kennen, mit denen Sie viel gearbeitet haben? | |
Ich lernte die Brüder Oehlen bei einem Konzert in Hamburg kennen und dann | |
in Berlin Martin Kippenberger, der an dieser Art des Musikmachens | |
interessiert war, weil er selbst eine Bühnengestalt war und in | |
verschiedenen Chimären agierte. | |
Sie haben auch mit Sonic Youth und Kim Gordon gespielt. | |
Das war für ein Konzert im Jahr 2000 in der schwedischen Kleinstadt Ystad | |
im Stadttheater. Da gab es verschiedene Workshops in den ganzen Räumen und | |
abends Konzerte mit verschiedenen Gästen. Da habe ich auch mit Sonic Youth | |
gespielt. Leider sind die Bänder eingefroren, in irgendeinem Keller, bis | |
jetzt wurden sie leider nicht zugänglich gemacht. | |
Wie sehen Sie die Szene um Jazz und Freie Musik im Moment? | |
Ich finde sie sehr lebendig. Allerdings gehe ich in meinem Alter nicht mehr | |
so viel aus, um mir etwas anzuhören. Das ist mir zu anstrengend. Ich finde | |
es aber außerordentlich interessant, heute noch mit Berlin verbunden zu | |
sein, diese vernarbte Stadt tagtäglich zu erleben. Ich habe hier meine | |
Ideen bekommen und weiterentwickelt, neue Wege und Sichten der Musik. | |
Ihre Vinyl-Editionen erscheinen in kleinen, teilweise nummerierten und | |
signierten Auflagen. Auch für das JazzFest haben Sie eine besondere Auflage | |
geplant. | |
Eine Edition von „Stumps“. Es wird mit einem von mir gezeichneten Cover | |
eine Schallplatte aus Gummi sein, ohne Rillen. Man kann sie zwar als | |
Kunstobjekt auf dem Plattenspieler rotieren lassen, aber die Musik dazu | |
kommt über einen aufgestanzten QR-Code. Es ist doch so, dass die neuen | |
Schallplatten zusätzlich mit einem Code kommen. Das ist dann doppelt | |
gemoppelt. Und hier ist es eben einfach gemoppelt. | |
1 Nov 2022 | |
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