# taz.de -- Streit über Mitbestimmung im Altenheim: Kein Betriebsrat ohne Gott | |
> Ein Bremer Altenheim-Betreiber ist aus dem Diakonischen Werk ausgetreten. | |
> Einen „weltlichen“ Betriebsrat will er trotzdem nicht wählen lassen. | |
Bild: Die Egestorff-Stiftungstricks: Ob das Gott gefällt (hier auf eine Gemäl… | |
BREMEN taz | Der Bremer Altenhilfe-Träger Egestorff-Stiftung (ES) gehört | |
nicht mehr zum Diakonischen Werk: Im Oktober 2017 erklärte er schriftlich | |
seinen Austritt zum ersten Januar. Damit ist sowohl für die Stiftung als | |
auch für ihre Tochtergesellschaften seit Jahresbeginn ihre rechtliche | |
Zuordnung zur Kirche beendet und somit auch der „Dritte Weg“, also das | |
kirchliche Arbeitsrecht. Die Stiftung sieht das allerdings anders und | |
widersetzt sich jetzt den Plänen zur Wahl eines Betriebsrates. | |
In einem anwaltlichen Schreiben an die zuständige Ver.di-Sekretärin | |
Kerstin Bringmann heißt es dazu: „Paragraf 118 Abs. 2 Betr.VG sieht für | |
Religionsgemeinschaften und ihre Einrichtungen einen vollständigen | |
Ausschluss von der Anwendung des BetrVG vor.“ Und durch den Austritt der ES | |
aus dem Diakonischen Werk habe „sich an dieser Situation nichts geändert“. | |
Die Durchführung einer Betriebsratswahl sei daher rechtswidrig. | |
Die Egestorff-Stiftung sieht sich also nach wie vor als kirchliche | |
Einrichtung, bei der die Mitbestimmung der Mitarbeitenden durch das | |
kirchliche Mitarbeitervertretungsgesetz (MAVG) geregelt wird und nicht | |
durch das weltliche Betriebsverfassungsgesetz (Betr.VG). | |
Der zuständige Kirchenausschuss der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) | |
sieht das freilich ganz anders. „Der Ausschuss hat entschieden, die | |
Zuordnung der Stiftung und ihrer Tochtergesellschaften aufzuheben und den | |
Stiftungsvorstand abzugeben“, sagt Siegbert Wesner, juristischer Referent | |
bei der BEK. Die ES habe im vergangenen Jahr schriftlich ihren Austritt aus | |
dem Diakonischen Werk erklärt. „Sie wusste auch, welche Konsequenzen aus | |
diesem Austritt folgen – darauf wurde sie von uns, ebenfalls schriftlich, | |
aufmerksam gemacht“, sagt Wesner. | |
Er vermutet, dass die ES aus dem Diakonischen Werk ausgetreten ist, um | |
Mitgliedsbeiträge zu sparen: „Es überrascht mich, dass sie nun offenbar | |
glaubt, dass trotzdem weiterhin das Mitarbeitervertretungsgesetz gilt“, | |
sagt Wesner. Die ES hat nicht nur der geplanten Betriebsratswahl | |
widersprochen, sondern auch bei der BEK Widerspruch gegen die Entscheidung | |
des Kirchenausschusses eingelegt. | |
## Tarifflucht-Vorwurf schon 2014 | |
Das hat für Ver.di-Rechtsanwalt Bernhard Baumann-Czichon keine Relevanz: | |
„Die Landeskirchen sind souverän und Träger der Rechte – und wenn die | |
bremische evangelische Kirche sagt, Egestorff ist raus, dann ist Egestorf | |
raus.“ Er sei sich sicher, dass die ES vom Diakonischen Werk angemahnt | |
worden sei, „weil die Stiftung und ihre Gesellschaften schon seit Jahren | |
alles versuchen, um ihre Mitarbeiter nicht nach den | |
Arbeitsvertrags-Richtlinien des Diakonischen Werks bezahlen zu müssen“. | |
In der Tat wurde der ES bereits 2014 Tarifflucht vorgeworfen und auch das | |
Diakonische Werk Bremen hatte damals eine [1][Stellungnahme] | |
veröffentlicht, in der es die Stiftung deutlich kritisiert. Damals hatte | |
das Unternehmen angekündigt, sich zum Jahresende insolvent zu melden – und | |
85 MitarbeiterInnen zu schlechteren Bedingungen in einem neuen Unternehmen | |
wieder einzustellen. | |
„Ich bin mir sicher, Egestorff ist auf Druck des Diakonischen Werks | |
ausgetreten – und wenn sie irgendwann wieder kirchengemäße Löhne zahlt, | |
darf sie bestimmt auch wieder dorthin zurück“, sagt Baumann-Czichon. Bis | |
dahin aber habe das Betriebsverfassungsgesetz zu gelten. | |
Ganz so einfach scheint es allerdings nicht zu sein: „Mit dem Widerspruch | |
der Egestorff-Stiftung-Altenheim müssen wir uns beschäftigen, wenngleich | |
ich davon ausgehe, dass der Kirchenausschuss bei seiner Meinung bleibt“, | |
sagt Siegbert Wesner. Dennoch habe die ES dann immer noch das Recht, vors | |
Kirchengericht zu ziehen. | |
„Mit eventueller Revision und allem, was dazu gehört, kann es lange dauern | |
bis es zu einer rechtskräftigen Entscheidung kommt“, schätzt Wesner. | |
Welches Recht in dieser Zeit für die Mitarbeitenden gilt, ist ungewiss: | |
Wesner vermutet, das kirchliche Mitarbeitervertretungsgesetz – aber da ihm | |
ein ähnlicher Fall nicht bekannt sei, könne er das nicht mit abschließender | |
Sicherheit sagen. | |
## Mitarbeiter halten an Wahltermin fest | |
Die Mitarbeitervertretung (MAV) der Egestorff-Stiftung glaubt indes daran, | |
dass es wie geplant im Mai eine Betriebsratswahl geben wird: „Ver.di hat | |
Mittwoch Flyer verteilt und zu einer Info-Veranstaltung eingeladen und die | |
Mitarbeitenden freuen sich sehr, wenn es zur Wahl kommt“, sagt | |
Mitarbeitervertreter Jörg Dröse. | |
Die Egestorff-Geschäftsführerin Melanie Löwemann habe zwar von dem | |
Widerspruch berichtet: „Sie sagte, erst einmal müsse das geklärt werden und | |
auch, dass das durchaus zwei bis drei Jahre dauern kann.“ Aber für Dröse | |
ist die Sache klar: „Seit Januar gilt für uns das | |
Betriebsverfassungsgesetz.“ | |
Seine MAV-Kollegin Marieta Weinkauf bezeichnet die | |
Egestorff-Mitarbeitenden als Bittsteller bei der Geschäftsführung: „Die | |
müssen dort betteln, wenn sie Lohnerhöhungen haben wollen – und bekommen | |
sie grundsätzlich nicht.“ Das Betriebsverfassungsgesetz räume auch ihnen | |
nun endlich ein Streikrecht ein. | |
Außerdem, sagt Weinkauf, sei die Wahl zur MAV undemokratisch: Von den | |
insgesamt rund 300 Mitarbeitenden seien nur rund 100 Mitglieder der Kirche. | |
„Das bedeutet, der größte Teil der Kollegen darf die MAV nur wählen, selbst | |
aber nicht kandidieren“, kritisiert Weinkauf. | |
Er hoffe, dass sich hinsichtlich der geplanten Betriebsratswahl „in | |
gegenseitigem Einvernehmen eine Lösung finden lässt“, sagt Detlef Nolte, | |
Sprecher der ES. Im Mai werde es ein Klärungsgespräch zwischen Egestorff | |
und dem Kirchenausschuss geben. Wenn es dort zu keiner Einigung komme, | |
müsse man weiterschauen. Ob damit der Gang vors Kirchengericht gemeint ist, | |
will er nicht kommentieren. | |
Für Rechtsanwalt Baumann-Czichon ist die Sache dennoch klar: „Wenn wir | |
nicht positiv feststellen können, dass Egestorff der Kirche zugeordnet ist, | |
kann sich Egestorff auf Paragraf 118 Absatz 2 Betriebverfassungsgesetz | |
nicht berufen, sodass dort ein Betriebsrat zu wählen ist.“ Was bedeutet: | |
Während die einen das Kirchenrecht bemühen, werden die anderen notfalls | |
vors Arbeitsgericht gehen. Vors weltliche, versteht sich. | |
25 Apr 2018 | |
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[1] https://www.diakonie-bremen.de/aktuelles/aktuelles-details/article/stellung… | |
## AUTOREN | |
Simone Schnase | |
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