| # taz.de -- Arbeitskampf in Thüringer Reha-Klinik: Wer aufmuckt, wird beurlaubt | |
| > Der Celenus-Konzern greift im Tarifkonflikt an einer seiner Kliniken zu | |
| > drastischen Mitteln. Die Betroffenen lassen sich aber nicht | |
| > einschüchtern. | |
| Bild: Entspannung könnten die Physiotherapeutinnen der Celenus-Klinik auch geb… | |
| Bad Langensalza taz | „Wir sind zu anständig erzogen für diese | |
| Gesellschaft“, macht sich die Physiotherapeutin Heike Schmidt Luft. Wie sie | |
| und ihre Betriebsratskolleginnen an der Celenus-Reha-Klinik im | |
| thüringischen Bad Langensalza im Tarifstreit behandelt werden, sprengt die | |
| Wertvorstellungen der 59-Jährigen. Schmidt und ihrer Kollegin Carmen Laue | |
| wurde im April fristlos gekündigt, weil sie wie bei vorangegangenen | |
| Warnstreiks ein Informationsblatt in die Patientenbriefkästen verteilt | |
| hatten. Am 7. Mai wurden dann noch weitere fünf Mitarbeiter auf unbestimmte | |
| Zeit beurlaubt. Eine davon ist im Betriebsrat. | |
| Viele der Masseurinnen und Physiotherapeutinnen arbeiten schon 20 Jahre an | |
| der heutigen Celenus-Klinik. „Das ist unser Baby, wir sind hier zu Hause“, | |
| sagt die ebenfalls auf unbestimmte Zeit beurlaubte Sandy Hase. 1998 war die | |
| Klinik an der Salza beim traditionellen Schwefelbad eröffnet worden. 2004 | |
| musste der Betreiber, die Klinikgruppe KTE, bereits Insolvenz anmelden. | |
| Übernommen wurde die Klinik von einem Finanzinvestor aus Montabaur und zwei | |
| ehemaligen Pflegedienstleitern. Hier wurden die niedrigsten Branchenlöhne | |
| in Thüringen gezahlt. 2013 begann sich die Belegschaft zu organisieren, im | |
| gleichen Jahr begannen Tarifverhandlungen. 43 Prozent der Mitarbeiter sind | |
| inzwischen Mitglieder der Gewerkschaft Verdi. | |
| 2015 übernahm der Klinikkonzern Celenus die relativ kleine Reha-Klinik in | |
| Bad Langensalza mit 206 Betten. Noch im gleichen Jahr wurde Celenus | |
| wiederum von der multinationalen französischen Orpea-Gruppe geschluckt. | |
| Seither sei der Ton deutlich rauer geworden, konstatieren die Mitarbeiter. | |
| Nun gehe es überhaupt nicht mehr um Menschen, sondern nur noch um Rendite. | |
| ## Berichte über Schikanen | |
| Im Arbeitskampf solle nun offenbar ein Exempel statuiert werden, um den | |
| Betriebsrat zu zerschlagen. Die Physiotherapeutinnen berichten von weiteren | |
| Schikanen. Ein bisher genutzter Pausen- und Aufenthaltsraum wurde ihnen | |
| entzogen und statt seiner ein „Funktionsraum“ für 25 Beschäftigte | |
| zugewiesen. Von „Psychoterror“ spricht die gekündigte Carmen Laue. Auf der | |
| Stelle musste sie nach mündlicher Mitteilung ihre Sachen packen. „Ich habe | |
| noch nie so etwas Unmenschliches erlebt wie in dieser Klinik“, sagt die | |
| 55-Jährige. Die abschreckende Wirkung auf den dringend benötigten | |
| Fachkräftenachwuchs scheint niemanden zu interessieren. | |
| Die Gewerkschaftsarbeit hatte begonnen, sich auszuzahlen: 2016 gelang ein | |
| Manteltarifvertrag, nicht aber der von den Arbeitgebern verweigerte | |
| Entgelttarifvertrag, der auch Lebensleistungen und Zusatzqualifikationen | |
| berücksichtigt hätte. Immerhin erhöhte die Geschäftsführung im Dezember des | |
| vorigen Jahres die extrem niedrigen Gehälter, so dass die Therapeutinnen | |
| jetzt auf 2.100 Euro brutto kommen. | |
| Warnstreiks und ein Erzwingungsstreik seit Mitte März konterte die | |
| Geschäftsführung, vertreten durch die Anwaltsgesellschaft Beiten Burkhardt. | |
| Mit einer „Störung des Betriebsfriedens“ begründen sie die Kündigungen. | |
| Celenus äußert sich auf taz-Nachfrage nicht. „Selbstverständlich | |
| akzeptieren wir jede Form von Streik, solange sich dieser im zulässigen | |
| Rahmen bewegt und sich an Recht und Gesetz hält“, zitiert das MDR-Magazin | |
| „Exakt“ aber aus einem Schreiben von Beiten Burkhardt. | |
| Genau das tue der Konzern aber nicht, meinen die Frauen und die | |
| Gewerkschaft Verdi und klagen gegen ihre Behandlung. Vom Erfolg ist | |
| Verdi-Fachbereichsleiter Bernd Becker zwar überzeugt, weiß aber, dass sich | |
| der Instanzenweg über Jahre hinziehen kann. | |
| Die temperamentvolle Heike Schmidt aber will sich nicht wegducken. Auch | |
| nicht bei einem Besuch des Thüringer Landtages und der SPD-Fraktion am | |
| vorigen Mittwoch gemeinsam mit sechs Kolleginnen. „Die Politik müsste mal | |
| was tun“, hatte sie zuvor gefordert. Nun erfahren sie in der Aktuellen | |
| Stunde des Landtags zumindest die Solidarität der Regierungskoalition von | |
| Linken, SPD und Grünen. Von der CDU kam sogar verhaltene Sympathie, während | |
| die AfD zwar „angemessene Bezahlung“ forderte, zugleich aber gegen die | |
| Gewerkschaft wetterte. | |
| Die Betriebsratsfrauen wissen, dass viele unorganisierte Kolleginnen | |
| indifferent reagieren und aus Angst schweigen. Aber ihre verschworene | |
| Truppe ist nicht so einfach zu knacken. Was die Klinikleitung von ihren | |
| Besuchen unter anderem bei Andrea Nahles und dem SPD-Gesundheitsexperten | |
| Karl Lauterbach hält, zitiert eine Mitarbeiterin: „Wir haben hier das | |
| Sagen, Politik kann da gar nichts machen“, soll einer der beiden Direktoren | |
| geäußert haben. | |
| Sozialministerin Heike Werner (Linke) will nun gemeinsam mit dem | |
| scheidenden Langensalzaer Oberbürgermeister Bernhard Schönau (FDP) einen | |
| Schlichtungsvorschlag unterbreiten. Der scheint nötig, denn für Heike | |
| Schmidt bricht nicht nur materiell der Boden weg. „Wir verlieren alles an | |
| Moral und Anstand – wo soll das noch hinführen?“, sagt sie. | |
| 30 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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