# taz.de -- Straßburger Urteil zu Racial Profiling: Von wegen geringfügig! | |
> Klare Ansage: Deutsche Gerichte müssen prüfen, wenn der Polizei | |
> vorgeworfen wird, dass sie Passant:innen nur wegen der Hautfarbe | |
> kontrolliert. | |
Bild: Wird schon lange gefordert: Plakat auf einer Demo gegen Polizeigewalt 202… | |
Das Straßburger Urteil ist nützlich, aber nicht revolutionär: Auf [1][Klage | |
des Berliner Polizeikritikers Biplab Basu] stellte der Europäische | |
Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Woche klar, dass [2][Vorwürfe | |
von Racial Profiling] so schwerwiegend sind, dass sie unabhängig untersucht | |
werden müssen. Eine interne Untersuchung durch die Polizei genügt nicht. | |
(Az.: 215/19) | |
In der Praxis werden dadurch vor allem die Verwaltungsgerichte in die | |
Pflicht genommen. Wenn jemand die Polizei nachvollziehbar beschuldigt, er | |
sei allein wegen seiner Hautfarbe kontrolliert worden, so müssen Gerichte | |
den Vorfall aufklären und bewerten. Die Gerichte können nicht mehr | |
argumentieren, eine Ausweiskontrolle sei doch nur ein geringer | |
Grundrechtseingriff, dessen Rechtmäßigkeit im Nachhinein nicht mehr geklärt | |
werden muss. | |
Konkret gerüffelt wurde damit das Verwaltungsgericht Dresden, das Basus | |
Klage 2013 mit diesem Argument als unzulässig ablehnte und deshalb | |
inhaltlich gar nicht prüfte. Zurecht wiesen die Straßburger Richter darauf | |
hin, dass nicht die Ausweiskontrolle an sich das Problem ist, sondern die | |
stigmatisierende Sonderbehandlung aufgrund der Hautfarbe. Dieser Vorwurf | |
sei auf jeden Fall schwerwiegend und müsse untersucht werden. | |
Die Dresdner Entscheidung ist kein Einzelfall. Laut Basus Anwältin Maren | |
Burkhardt drücken sich immer wieder Gerichte mit dem | |
Geringfügigkeits-Argument vor der Prüfung von Racial Profiling-Vorwürfen. | |
Andererseits ist die Drückebergerei aber auch nicht die Regel. Schließlich | |
gibt es ja regelmäßig Urteile, bei denen Gerichte inhaltlich entscheiden – | |
oft auch zugunsten der Kläger:innen. So hat just das Verwaltungsgericht | |
Dresden im Februar die Kontrolle eines Guineers im Chemnitzer Hauptbahnhof | |
als unzulässig beanstandet. | |
Doch eigentlich wollte Biplab Basu mehr. Er hatte auch die Vorschrift im | |
Bundespolizeigesetz angegriffen, die in Grenznähe verdachtsunabhängige | |
Kontrollen erlaubt. Sie ermögliche damit auch Racial Profiling, so Basu. | |
Darauf ging der EGMR jedoch nicht ein. Er stellte nur fest, dass die | |
Kontrolle auf gesetzlicher Grundlage erfolgte. Die Revolution blieb also | |
aus. | |
## Was genau gilt als Racial Profiling? | |
Tatsächlich ist Racial Profiling in Deutschland durchaus verboten. Streitig | |
ist aber, was als Racial Profiling gilt. So ist es zwar verboten, eine | |
Person allein aufgrund ihrer Hautfarbe oder anderer ethnisch gelesener | |
Merkmale zu kontrollieren. Wenn die Hautfarbe aber nur Teil eines | |
Motivbündels der kontrollierenden Polizei ist, darf sie durchaus | |
berücksichtigt werden. | |
Klassisches Beispiel ist der Drogenhandel, der an einem bestimmten Platz | |
von einer ethnisch homogenen – zum Beispiel afrikanischen – Gruppe | |
kontrolliert wird. Wenn hier alle Kontrollierten dunkle Hautfarbe haben, | |
wäre dies nach derzeitiger deutscher Rechtsprechung zulässig. Ziel des | |
Racial Profiling-Verbots ist es nicht, ethnisch homogene Straftätergruppen | |
vor Kontrollen zu bewahren. | |
Solche Orte sind aber selten. In der Regel ist die Hautfarbe eine:r | |
Passant:in völlig irrelevant für ihre Verwicklung in kriminelle | |
Geschäfte. Deshalb ist es nicht zu rechtfertigen, wenn Personen mit | |
nicht-mitteleuropäischem Aussehen im Alltag viel häufiger kontrolliert | |
werden als Gisela Normala. Dies einzudämmen ist auch Aufgabe der Gerichte – | |
die nach dem Straßburger Urteil kein Argument mehr haben, sich dieser | |
Aufgabe zu entziehen. | |
22 Oct 2022 | |
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[1] /Beschwerde-gegen-Racial-Profiling/!5889571 | |
[2] /Betroffene-gegen-Racial-Profiling/!5843913 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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