# taz.de -- Sportboykott als Mittel: Wandel durch Ablehnung | |
> Warum der Ausschluss von Nationen wie Russland aus dem Sport sinnvoll | |
> sein kann, illustriert der Umgang mit dem früheren Apartheidstaat | |
> Südafrika. | |
Bild: Südafrikanerin, die zur Britin wurde: Zola Budd (2.v.r.), die Barfußlä… | |
Südafrika gilt als das Beispiel schlechthin. Wann und wo auch immer jemand | |
sagt, beispielsweise zu dem aktuellen Thema der künftigen Rolle Russlands | |
im Weltsport, [1][Boykotte hätten keine Wirkung], ja, sie schadeten bloß | |
den Sportlern, meldet sich stets einer, der an die Geschichte des | |
Apartheidregimes erinnert, um damit zu beweisen, dass in bestimmten | |
historischen Konstellationen Boykott und internationaler Ausschluss sehr | |
wohl die gewünschte Wirkung haben können. | |
Haben sie. | |
Der Sportboykott half mit, das rassistische Regime zu überwinden. Anders | |
als in anderen Fällen von Sanktionen, etwa ganz aktuell gegen Russland und | |
Belarus, war der Sportboykott gegen Südafrika von der im Land tätigen | |
Oppositionsbewegung getragen. Der African National Congress (ANC) | |
unterstützte nicht nur, er forderte Sanktionen gegen das Land. Ganz anders | |
das Internationale Olympische Komitee (IOC) und die anderen Institutionen | |
des Weltsports: Die stützten das Apartheidregime, solange es irgend ging. | |
Ein anderer Unterschied ist der Zeitfaktor. Während die Sanktionen gegen | |
russische Sportler und Verbände nur wenige Tage nach der militärischen | |
Invasion in die Ukraine verhängt wurden, hatte es wesentlich länger | |
gedauert, die sportpolitische Reaktion auf den institutionalisierten | |
Rassismus Südafrikas zu installieren. Die Apartheid wurde per Gesetz schon | |
1947 eingeführt, doch da war das Land als Südafrikanische Union noch Teil | |
des Commonwealth. Erst als es das Dach des Vereinten Königreiches 1960 | |
verließ, fanden Boykottforderungen Gehör. Gegeben hatte es sie freilich | |
schon vorher: 1947/48 hatten Norwegen und die damals noch um ihre | |
IOC-Mitgliedschaft verhandelnde Sowjetunion den Ausschluss gefordert. | |
## Black-Power-Symbolik | |
Die UNO beschloss 1962 Sanktionen, das IOC reagierte erst 1963 auf | |
internationalen Druck und lud die südafrikanische Mannschaft für die Spiele | |
1964 in Tokio wieder aus. Ähnlich war es 1968 vor den Spielen in | |
Mexiko-Stadt. [2][Auch da baute sich eine internationale Bewegung gegen das | |
Apartheidregime auf]. Getragen war sie vor allem von afrikanischen Staaten, | |
die ihre Unabhängigkeit erlangt hatten. Zudem war auch die Forderung, | |
Südafrika und seinen Nachbarstaat Rhodesien auszuschließen, in der von | |
schwarzen US-Athleten getragenen Bewegung zentral. | |
Die führte zwar nicht zum Boykott, aber zu zahlreichen Protesten mit | |
Black-Power-Symbolik während der Spiele. Der Ausschluss Südafrikas war eine | |
ihrer Forderungen, eine andere der Rücktritt des IOC-Präsidenten Avery | |
Brundage aus den USA. Der, ein Millionär aus Chicago, war für seinen | |
offenen Hass auf Schwarze und Juden bekannt. In den dreißiger Jahren war | |
Brundage – Spitzname „Slavery“ – bekennendes Mitglied des rechtsextremen | |
„America First Committee“. Als dieser [3][Avery Brundage] die Entscheidung | |
verkünden musste, dass entgegen seinem Votum Südafrika nicht an den | |
Olympischen Spielen 1968 teilnimmt, hatte er Tränen in den Augen. Der | |
Entscheidung des IOC waren Boykottdrohungen von 32 Nationen vorausgegangen. | |
1970 schloss das IOC das Nationale Olympische Komitee Südafrikas formell | |
aus. Auch der Weltleichtathletikverband IAAF verbannte das Regime 1970. | |
Ähnlich, aber doch ein bisschen anders, war die Entwicklung im Weltfußball. | |
1964 wurde der südafrikanische Fußballverband von der Fifa zunächst | |
suspendiert, doch erst 1976 wurde er formell ausgeschlossen. Die | |
Wiederaufnahme erfolgte erst 1992, als das Apartheidregime gestürzt war und | |
das Land sich auf eine demokratische Zukunft vorbereitete. | |
Das IOC nahm Südafrika 1991 wieder auf und ließ es 1992 bei den Spielen in | |
Barcelona teilnehmen – mit einer 90-köpfigen Mannschaft, zu der nur acht | |
schwarze Sportler gehörten. Nelson Mandela war zu Eröffnungsfeier | |
angereist. Das NOK Rhodesiens durfte in den siebziger Jahren weiterhin | |
Mitglied der olympischen Familie bleiben. Auch hier sorgte erst | |
internationaler Druck, verbunden mit glaubwürdigen Boykottdrohungen, dafür, | |
dass Rhodesien wenigstens nicht zu den Olympischen Spielen 1972 in München | |
eingeladen wurde. | |
Als Brundage dort, nach dem Terrorüberfall auf die israelische Mannschaft, | |
bei der Trauerfeier seine Rede hielt, die in dem Satz „The Games must go | |
on!“ gipfelte, stellte er den Mord an jüdischen Sportlern mit dem | |
Ausschluss des Apartheidregimes gleich: „Die Spiele der 20. Olympiade waren | |
zwei grausamen Angriffen ausgesetzt. Wir haben bezüglich Rhodesien den | |
Kampf gegen nackte politische Erpressung verloren.“ 1975 wurde das NOK | |
Rhodesiens endlich ausgeschlossen, 1980 kehrte es als Simbabwe zurück. An | |
den Paralympics 1972 durfte Rhodesien allerdings teilnehmen. Die | |
Veranstalter wollten nicht als diejenigen gelten, die Rollstuhlfahrer vom | |
Sport ausschließen. | |
## „No normal sport“ | |
Wie konnte in den sechziger und siebziger Jahren die Republik Südafrika von | |
den Olympischen Spielen ausgeschlossen werden, obwohl doch das IOC offen | |
seine Sympathie mit dem Staat und seinem rassistischen Sportkonzept | |
bekundete? Der Sport hatte im Widerstand gegen die Apartheid stets eine | |
größere Rolle gespielt. „No normal sport in an abnormal society“, lautete | |
die Begründung, kein normaler Sport in einer anormalen Gesellschaft. 1958 | |
gründete der führende Aktivist Dennis Brutus SASA, die South African Sports | |
Association, die sehr schnell schon 60.000 Mitglieder hatte. | |
Ihr erster Erfolg: 1962 nahm Südafrika nicht an den Commonwealth Games | |
teil. Aus SASA wurde SANROC, das South African Non-Racial Olympic | |
Committee, ein Olympisches Komitee der schwarzen Mehrheitsgesellschaft. Das | |
IOC schäumte, Avery Brundage forderte SANROC auf, den Begriff „Olympic“ aus | |
dem Namen zu nehmen. Die Proteste gegen Südafrikas Auftritte im Weltsport | |
waren ganz wesentlich vom ANC getragen, der politischen Partei des | |
südafrikanischen Widerstands. Das Regime verfolgte das SANROC, sodass es ab | |
1965 im Untergrund agieren musste. | |
Dabei war der sportpolitische Ausgangspunkt der Anti-Apartheid-Bewegung gar | |
nicht das IOC gewesen, sondern der Rugby-Sport. Die „Springboks“ gerufene | |
Nationalmannschaft sollte schon seit Ende des 19. Jahrhunderts eine weiße | |
Überlegenheit symbolisieren. Formell ausgeschlossen aus dem Weltsport war | |
der südafrikanische Rugby-Verband auch in den Jahrzehnten der Apartheid | |
nicht, aber massive Proteste sorgten immer wieder dafür, dass die | |
Springboks nicht antreten durften. Die guten Rugby-Kontakte zwischen | |
Südafrika und Neuseeland waren der Grund, warum die Spiele 1976 in Montreal | |
von 30 Staaten, überwiegend aus Afrika, boykottiert wurden. Sie hatten | |
vergeblich den Ausschluss Neuseelands gefordert. Bei den | |
Weltmeisterschaften 1987 und 1991 war Südafrika immerhin nicht | |
teilnahmeberechtigt. | |
Nicht nur im Rugby blieben weiße südafrikanische Spitzensportler präsent. | |
Die Langstreckenläuferin Zola Budd, berühmt, weil sie ohne Schuhe lief, | |
nahm die britische Staatsbürgerschaft an und startete so bei den | |
Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles. Gegen ihren Start gab es massive | |
Proteste, aber sie trat an. Budd war auch Weltrekordlerin über 5.000 Meter, | |
allerdings wurde ihre Bestmarke nicht als Rekord gewertet, denn als sie die | |
aufstellte, war sie noch Südafrikanerin. Ein 5.000-Meter-Weltrekord im | |
Crosslauf, den sie 1986 aufstellte, wurde offiziell registriert, weil sie | |
da den britischen Pass besaß. | |
Ähnliche Auswirkungen hatte der Olympiaausschluss Südafrikas im | |
Schwimmsport. Bei den Spielen 1976 hatte der US-Amerikaner Jim Montgomery | |
ganz knapp mit 49,99 Sekunden als erster Mensch die 100 Meter Freistil | |
unter fünfzig Sekunden gekrault. Doch nur zwanzig Tage später brach der | |
weiße Südafrikaner Jonty Skinner mit 49,44 Sekunden Montgomerys Bestmarke | |
deutlich. Aber wie im Fall von Zola Budd wurde die Sensationszeit nicht als | |
Weltrekord gewertet. | |
Erreicht hatte Skinner seinen inoffiziellen Rekord übrigens bei den Amateur | |
Athletic Union National Championships in Philadelphia. Ein politischer | |
Versuch, ihm eine US-Staatsbürgerschaft zu verschaffen, damit er bei den | |
Spielen in Montreal hätte starten können, war gescheitert. Bis heute ist | |
übrigens Südafrika eine Schwimmnation, und zwar eine vorwiegend weiße: Im | |
15-köpfigen Schwimmteam, das Südafrika bei den Olympischen Spielen 2021 in | |
Tokio vertrat, war nur ein schwarzer Athlet dabei. Und der, Michael Houlie, | |
war der erste schwarze Olympiaschwimmer in der Geschichte des Landes | |
überhaupt. | |
Südafrika ist tatsächlich ein Beweis, dass politische Sanktionen bis hin zu | |
Boykott und Ausschluss etwas bewirken können. Genauer hingeschaut lehrt es | |
jedoch, dass die Boykottforderungen eher dann die gewünschte politische | |
Wirkung entfalten, wenn sie von der Opposition im sanktionierenden Land | |
selbst getragen werden. | |
Ein Beweis dafür, dass Rassismus oder andere Unterdrückungsideologien so | |
gut und nachhaltig überwunden werden können, ist das Beispiel Südafrika | |
allerdings nicht. Der Ausschluss aus dem Weltsport konnte Anfang der | |
neunziger Jahre schnell aufgehoben werden. Der Rassismus im Sport wirkt | |
allerdings weiter nach. | |
12 Mar 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.bundestag.de/resource/blob/840014/6e4de3e033a99a0209b15daa365e0… | |
[2] https://zeithistorische-forschungen.de/2-2016/5370 | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Avery_Brundage | |
## AUTOREN | |
Martin Krauss | |
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