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# taz.de -- Emanzipation durch Sport: Ein befreiender Lauf
> Als erste schwarze Frau aus Afrika gewinnt die Äthiopierin Derartu Tulu
> bei Olympia 1992 in Barcelona Gold über 10.000 Meter. Wie es dazu kam.
Bild: Episches Laufduell: Derartu Tulu und Elana Meyer 1992 in Barcelona
Zwei Frauen laufen die Ehrenrunde auf der Tartanbahn in Barcelona. Es ist
brütend heiß und feucht, sie haben ein dramatisches olympisches Duell über
10.000 Meter in den Knochen. Dann feiern die schwarze Äthiopierin Derartu
Tulu und die unterlegene weiße Südafrikanerin Elana Meyer ihre Medaillen
Hand in Hand.
Es ist ein Foto, das Derartu Tulu noch berühmter machen wird als ihr Lauf
selbst. Denn alles daran ist ein Politikum. Elana Meyer ist als weiße
Sportlerin Profiteurin der südafrikanischen Apartheid gewesen, die gerade
erst offiziell endete. Nach jahrzehntelanger Sperre ist Südafrika 1992
zurück [1][auf der olympischen Bühne].
Und auch Äthiopien ist nach über einem Jahrzehnt zurück. Das Land hatte
Olympia [2][zunächst im Kampf gegen die Apartheid], dann aus Gründen
sozialistischer Solidarität mit andren boykottiert. Derartu Tulu und Elana
Meyer sind Außenseiter:innen, keine von beiden geht als Favoritin ins
Rennen. Aber sie dominieren diesen Lauf.
Wie die beiden ihre Länder danach Hand in Hand versöhnen, das lesen viele
als Versprechen auf eine bessere Zukunft Afrikas. Es sind Bilder, die den
olympischen Funktionären gefallen. Eins gerät da fast in Vergessenheit:
Derartu Tulu ist die erste schwarze Afrikanerin, die olympisches Gold holt.
Es hat bis 1992 gedauert.
## Eindrückliches Symbol
Das hat koloniale, patriarchale und rassistische Gründe. Weiße
Afrikaner:innen feiern sehr wohl ganz große Erfolge: Schon 1932 holt
die südafrikanische Hürdenläuferin Marjorie Clark die erste olympische
Medaille. Von 1908 bis 1952 gehen ausnahmslos alle Medaillen des
afrikanischen Kontinents an weiße Südafrikaner:innen.
Es gibt kaum ein eindrücklicheres Symbolbild für Unterdrückung. Erst 1960
durchbricht der Äthiopier Abebe Bikila in einem legendären Marathon barfuß
die unsichtbare Grenze. Bikila begründet den Hype um Ausdauerlauf in
Äthiopien – aber es wird bis in die Siebzigerjahre dauern, bis auch Frauen
dort trainieren dürfen.
Derartu Tulu, geboren 1972, profitiert vom Kulturwandel. Dennoch trägt ihr
Weg an die Spitze eher Züge einer Fabel. Die Frau aus der Volksgruppe der
Oromo wächst in einem abgelegenen Dorf als Viehhirtin auf. Sport ist für
sie nicht vorgesehen. Erst als Teenagerin nimmt sie auf Empfehlung eines
Lehrers an Laufwettbewerben teil – heimlich und gegen den Willen der
Mutter. Ernsthaft aufs Laufen fokussiert sie sich ab 1988, als sie einen
Job bei der Polizei bekommt und nach Addis Abeba zieht.
## Vorbild für Generationen
Vier Jahre später ist sie Olympiasiegerin. „Stellen Sie sich ein junges,
schwarzes afrikanisches Mädchen in diesem Meer von Hitze und Feuchtigkeit
vor, das in so einer unglaublichen Atmosphäre Gold holt“, erinnert sich
Tulu später. „Es war unvergesslich.“ Unvergesslich wird ihr Triumph auch
für viele äthiopische Mädchen. [3][Generationen von
Spitzenläufer:innen] werden Derartu Tulu als ihre Inspiration nennen.
Die Fabelzeiten mancher Nachfolger:innen stehen allerdings zunehmend im
Schatten von Dopingskandalen.
Derartu Tulu wird kein One-Hit-Wonder bleiben. Sie gewinnt in ihrer
Karriere zahlreiche WM-Titel und Marathons. 2000 wiederholt sie ihren
großen Triumph: In Sydney holt sie noch einmal Gold über 10.000 Meter.
Damit ist sie die erste Frau überhaupt, der das im Langstreckenlauf
gelingt. Der zweite Titel ist mindestens so erstaunlich wie der erste. Denn
Derartu Tulu kommt da gerade aus einer Babypause, sie ist 1998 Mutter
geworden. Damals ist das noch kein Thema. Wieder ist sie ihrer Zeit voraus.
Ihr meist erinnerter internationaler Moment blieb der Hand-in-Hand-Jubel
mit Elana Meyer. Tulu bestätigte später, dass die Gefühle echt waren: „Sie
verhielt sich, als ob wir frühere Freundinnen wären. Das war für mich eine
große Überraschung. Wir hatten die beste Umarmung ever. Wir haben nie
vergessen, dass wir beide aus Afrika waren.“
Zunehmend findet ihr Sieg aber auch Beachtung als Akt schwarzer
Emanzipation: Derartu Tulu zerlegte öffentlich das rassistische Klischee
der unterwürfigen Hausfrau mit Kinderschar. Und machte Langstreckentriumphe
für Äthiopier:innen vorstellbar. Ihre Gabe für die richtigen Gesten zur
rechten Zeit hat sie noch weit getragen: Heute ist Derartu Tulu Präsidentin
des äthiopischen Leichtathletikverbandes.
26 Sep 2024
## LINKS
[1] /Olympia-in-Paris/!6023596
[2] /Sportboykott-als-Mittel/!5839647
[3] /Olympia--Marathon/!5087308
## AUTOREN
Alina Schwermer
## TAGS
Kolumne Erste Frauen
Leichtathletik
Äthiopien
Feminismus
Olympischer Sport
Schwerpunkt Femizide
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
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