| # taz.de -- Spielfilm „Der Hauptmann“ über 1945: Ein kalter Blick auf die … | |
| > Ein verstörender Actionfilm über deutsche Kriegsverbrechen im April 1945: | |
| > „Der Hauptmann“ von Robert Schwentke. | |
| Bild: Einer im Gefolge des „Hauptmanns“: Kipinski (Frederick Lau) | |
| Die „unschuldige“ Begründung für das Tragen einer Uniform ist die | |
| Ordnungsfunktion. Als Willi Herford (Max Hubacher) zum ersten Mal die | |
| Hauptmannsuniform überstreift, zieht für einen Moment Ruhe ein in das Chaos | |
| von Kriegsszenen, die den Anfang von Robert Schwentkes Film „Der Hauptmann“ | |
| ausmachen. Die Dinge scheinen wieder eine Ordnung zu haben, wie man so | |
| sagt. | |
| Der junge Mann, den man bis dahin als gehetzten und gejagten Deserteur | |
| erlebt hat, dem Erschießungstod mehrfach nur knapp entgangen, betrachtet | |
| sich im Spiegel und wischt sich die Dreckspuren aus dem Gesicht. Die | |
| Uniform, sauber, steif und schnittig, steht ihm. Aber mehr noch: sie lässt | |
| im potenziellen Opfer den potenziellen Täter aufscheinen. | |
| Mit Szenen, wie sie direkt aus Hieronymus Boschs Skizzenblock stammen | |
| könnten, lässt Schwentke den Film beginnen. Man schreibt April 1945, der | |
| Krieg ist verloren. Während die zukünftigen Besatzer näher rücken, treiben | |
| versprengte deutsche Truppen hinter der Front ihr Unwesen, flüchtend und | |
| plündernd, immer auf der Suche nach Proviant. Wer erwischt wird, dem droht | |
| der „kurze Prozess“ durch sofortiges Erschießen. Auch die Bauern, die einen | |
| Dieb im Stall erwischen, fackeln nicht lange und stechen mit Mistgabeln zu. | |
| Der einfache Soldat Herford ist desertiert und seinen Verfolgern entkommen. | |
| Dann findet er besagte Hauptmannsuniform. Und kaum, dass er sie anhat, | |
| tritt ein anderer versprengter Soldat (gespielt von Milan Peschel) an ihn | |
| heran mit der Bitte „sich ihm unterstellen zu dürfen“. So beginnt nicht | |
| etwa eine wunderbare Freundschaft, sondern der Inbegriff einer | |
| Schreckensherrschaft. | |
| Die Uniform macht’s möglich: Durch sein schneidiges Auftreten bringt Herold | |
| weitere Versprengte in seine Befehlsgewalt. Gemeinsam marschiert man in ein | |
| Strafgefangenenlager, wo Herold schließlich vorgibt, „im Auftrag von ganz | |
| oben“ für Ordnung sorgen zu wollen. Kurz vor Kriegsende bedeutet das: | |
| Massenerschießungen. Es ist nicht so, als ob das Auftreten des Soldaten so | |
| überzeugend wäre, der Film inszeniert das sehr genau: Viel eher sind es die | |
| völlig erlahmten zivilisatorischen Reflexe, das Mitläufertum und die | |
| allgemeine Verrohung der ihn umgebenden Zeitgenossen, die Herolds | |
| mörderische Taten sanktionieren. | |
| ## Ursprung in einer wahren Begebenheit | |
| Schwentke erzählt hier keine „Köpenickiade“ nach, jenen Vorfall um den | |
| ostpreußischen Schuhmacher, der 1906 die Überzeugungskraft der | |
| Hauptmannsuniform dazu nutzte, die Stadtkasse in Köpenick zu | |
| „beschlagnahmen“. Ein Vorfall, der die Welt über die Uniformgläubigkeit d… | |
| Deutschen lachen ließ und Carl Zuckmayer zu einem viel verfilmten | |
| Theaterstück inspirierte. Zwar hat auch Schwentkes Titelfigur ihren | |
| Ursprung in einer wahren Begebenheit, aber statt um einen launigen | |
| „Streich“ geht es um Kriegsverbrechen. | |
| Schwentkes „Hauptmann“ ist keine Farce, sondern ein düsterer und | |
| verstörender Action-Film. Statt wie üblich in Historiendramen auf | |
| Einfühlung und Identifikation zu setzen, arbeitet Schwentke mit dem kalten, | |
| berechnenden Blick des Genrekinos. Für den Stoff erweist sich das als | |
| unangenehme, aber genau deshalb ungeheuer passende Methode. Selten wurde | |
| der absolut mörderische Wahnsinn der letzten Kriegstage, wissenschaftlich | |
| so schön entlastend „Endphaseverbrechen“ getauft, so klar auf den Punkt | |
| gebracht. | |
| Schwentke hat lange in den USA gedreht, nachdem er mit seinem Debütfilm | |
| „Tattoo“ 2002 als Hoffnung des deutschen Genrefilms entdeckt worden war. | |
| Sein „Hauptmann“ belegt nun, wie wirkungsvoll man die Welt des handwerklich | |
| versierten Actionfilms à la „R.E.D.: Älter. Härter. Besser“ mit einem in | |
| Schwarz-Weiß gedrehten „kunstigen“ Film über gewöhnlichen deutschen | |
| Faschismus zusammenbringen kann. | |
| 15 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Barbara Schweizerhof | |
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