# taz.de -- Sozialistische Tageszeitung „nd“: Armes Deutschland | |
> Die Tageszeitung „neues deutschland“ steht seit Jahren immer wieder vor | |
> der Pleite. Jetzt könnte es tatsächlich bald zu Ende gehen. | |
Bild: Bereits an der Tür bekommt man einen Eindruck von der DDR-Geschichte der… | |
BERLIN/GRÜNHEIDE taz | Es gibt niemanden, der Ingeborg Schimmelpfennig so | |
lange begleitet wie ihre Zeitung. „Mein nd“, sagt sie, wenn sie über das | |
neue deutschland spricht. | |
Schimmelpfennig ist 89 Jahre alt, Witwe und lebt allein in ihrem Haus am | |
Rand des Dorfs Grünheide in Ostbrandenburg. Es ist dunkel in dem Haus. Die | |
hohen Nadelbäume, unter denen es steht, nehmen ihm das Licht. Wenn | |
Schimmelpfennig morgens aufsteht, schmiert sie sich eine Scheibe Brot und | |
setzt sich an den Computer. Sie liest E-Mails und Onlinenachrichten. Dann | |
nimmt sie sich die Zeitung und setzt sich in ihren roten Sessel. Eineinhalb | |
Stunden braucht sie täglich für die Lektüre, inklusive Rätsel. | |
Schimmelpfennig liest das nd seit der ersten Ausgabe, seit 1946. Was würde | |
es für sie bedeuten, wenn die Zeitung Insolvenz anmelden müsste? „Das will | |
ich nicht mehr erleben“, sagt sie. | |
72 Jahre nach der ersten Ausgabe ist das nd in einer tiefen Krise. Die | |
Auflage sinkt, online nimmt es kaum Geld ein, vor einem Jahr stand die | |
Insolvenz unmittelbar bevor. Die Linkspartei, die Gesellschafterin der | |
Zeitung ist, gab ihr nochmal einen Kredit, angeblich 1 Million Euro. Ein | |
Jahr später stellt sich wieder die Frage: Ist das nd am Ende? Und was macht | |
die Linkspartei? | |
Zu DDR-Zeiten, als das nd noch Propagandaorgan war, arbeiteten dort mehr | |
als 500 Menschen, eine Million Exemplare wurden täglich verkauft, | |
überregionale Konkurrenz gab es praktisch nicht. Heute sind es bei 100 | |
Mitarbeitern noch gut 22.000 Exemplare, Tendenz sinkend. | |
Alle Tageszeitungen kennen diese Entwicklung. Nur läuft sie beim nd | |
schneller ab, weil die Leserschaft älter ist und stirbt. Der Großteil der | |
nd-Leser sind alte Ostdeutsche. Manche in der Linkspartei sagen, dass die | |
Zeitung vor allem in Ostberliner Altenheimen stark sei. Wenn das so ist, | |
dann ist das Ende der „sozialistischen Tageszeitung“ absehbar. „Lieber | |
verzichte ich drei Tage auf Essen als auf mein nd“, sagt Ingeborg | |
Schimmelpfennig. | |
## „SED-Duktus in der Zeitung“ | |
Sie erzählt von ihrem Leben mit der Zeitung: 1929 wird sie in Halle | |
geboren. Die Mutter sitzt im Krieg im Gefängnis, weil sie für die KPD | |
arbeitet. Kurz nach Kriegsende wird die Mutter erschossen. Von wem, wird | |
nie aufgeklärt. Schimmelpfennig wächst bei ihren Großeltern auf, zwei | |
überzeugte Kommunisten. Ihre erste Kommunismusschulung erhält sie von den | |
beiden als kleines Kind. | |
Am 23. April 1946, da ist Schimmelpfennig 17 Jahre alt, erscheint die erste | |
nd-Ausgabe. „Das größte Ereignis für unser Volk nach der faschistischen | |
Tragödie: Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands ist geschaffen“, | |
lautet der erste Satz im SED-Zentralorgan. | |
Schimmelpfennig tritt in die SED ein und lernt Margot Honecker kennen, die | |
da noch Feist heißt. Schimmelpfennig und sie bauen in Halle den | |
Jugendverbund FDJ auf. Dann geht Schimmelpfennig nach Leipzig, um zu | |
studieren, sie will Lehrerin für Marxismus-Leninismus werden. „Den | |
SED-Duktus in der Zeitung“, sagt sie heute, „fanden wir ganz normal.“ | |
„Das Herz des größten Menschen unserer Epoche, des Genossen J. W. Stalin, | |
hat aufgehört zu schlagen“, titelt das nd etwa am 7. März 1953. | |
„Leipzig fördert den friedlichen Welthandel zum Nutzen der Völker“, | |
schreibt die Redaktion am 16. März 1987 zur Eröffnung der Leipziger Messe | |
und druckt in einer Ausgabe 43 Fotos des SED-Generalsekretärs Erich | |
Honecker. | |
Dann fällt die Mauer, die Treuhand soll einen Käufer für die Zeitung finden | |
und scheitert. „Zum Glück“, sagt Ingeborg Schimmelpfennig. Denn dass die | |
Zeitung bis heute in der Hand der Linkspartei ist, der | |
Nachfolgeorganisation der SED, findet sie wichtig für die Identität des | |
Blatts. Die Linkspartei hat inhaltlich aber keinen direkten Einfluss mehr. | |
Aber ob das nd überleben wird oder nicht, hängt von Entscheidungen der | |
Partei ab. | |
## Zu links für die taz | |
Es gibt auch einen Teil der Leserschaft, der nicht mit der DDR-Geschichte | |
der Zeitung verknüpft ist. Leute wie Ralf Hoffrogge. Mit seinen 38 Jahren | |
ist Hoffrogge einer der jüngeren Abonnenten des nd. Und er hat zwei | |
Antworten darauf gefunden, wie er seiner kriselnden Zeitung helfen will. | |
Die erste: Wenn er in Bochum aus dem Zug steigt, wo er an der Universität | |
Geschichte lehrt, lässt er sein nd im Bahnhof auf einer Bank liegen. „Damit | |
noch ein Westdeutscher das nd für sich entdeckt.“ | |
Die zweite: Er schreibt Leserbriefe, wie die Zeitung aus der Krise kommen | |
könnte. Sie solle an den Universitäten präsenter sein, solle sich auf ihren | |
Kern besinnen. Weniger linksliberaler Mainstream, öfter die Klassenfrage | |
stellen. | |
Hoffrogge ist in Westdeutschland geboren, wurde an der Universität in den | |
Bildungsstreiks politisiert. Er hat verschiedene Blätter durchprobiert. Er | |
hat die Süddeutsche gelesen, aber bei der fände er kaum noch linke | |
Positionen. Mit der taz wurde er schon als Student nie richtig warm, weil | |
der damalige Bildungsredakteur immer wieder für Studiengebühren plädierte. | |
Dass die taz [1][2014 eine Anzeige der AfD druckte], bestärkte ihn in | |
seiner Sicht: „Dieses postmoderne anything goes würde das nd nicht machen.“ | |
Ingeborg Schimmelpfennig und Ralf Hoffrogge stehen für die zwei Pole der | |
nd-Leser und für zwei Strömungen der deutschen Linken. Sie: ostdeutsch, | |
Kriegsgeneration, DDR, Vergangenheit. Er: westdeutsch, an der Universität | |
politisiert, zu links für die taz. Beiden ist das nd ein publizistisches | |
Zuhause. Das Ende der Zeitung, sagen sie, wäre ein massiver Verlust für die | |
Meinungsvielfalt in Deutschland. | |
Wäre es das wirklich? | |
Zum ersten Mal [2][seit dem Ende der Financial Times Deutschland] und | |
[3][der Insolvenz der Frankfurter Rundschau Ende 2012] steht mit dem neuen | |
deutschland wieder eine Tageszeitung auf der Kippe. Und wie bei der FR, die | |
zum Teil der SPD gehörte, ist auch beim nd mit der Linken wieder eine | |
Partei involviert. | |
## Vielfältiges linkes Spektrum | |
An einem Mittwoch im Oktober versammeln sich im Konferenzraum des neuen | |
deutschland elf Redakteure, um die nächste Ausgabe zu planen. Der Raum ist | |
so klein, dass die Redakteure gerade so um den Tisch passen. Die breiten | |
Stühle haben Armlehnen und sind mit braunem Kord bezogen. An der Wand hängt | |
ein Foto mit Peter Sodann, er sitzt in einem Strandkorb und liest das nd. | |
Peter Sodann ist für die Zeitung, was Helmut Schmidt für die Zeit und Rudi | |
Dutschke für die taz ist. | |
Nacheinander stellen die Redakteure ihre Themen vor: In Berlin steht die | |
#unteilbar-Demo an, in der Türkei ein Deutscher vor Gericht, [4][ein Film | |
über schwule Fußballer startet in den Kinos,] in Bamberg, Koblenz und | |
Potsdam beginnen Prozesse gegen Neonazis, ein großer Text soll die | |
Hintergründe zu dem in einer Gefängniszelle in Kleve verbrannten Syrer | |
beleuchten. | |
Besprochen werden auch Kommentarthemen. „Hartz IV ist doch unser Thema“, | |
sagt eine Redakteurin. „Aber dazu haben wir alles schon tausendmal | |
geschrieben“, sagt Chefredakteur Wolfgang Hübner. | |
Am nächsten Tag wird ein Kommentar über die Hartz-IV-Sanktionen auf der | |
Meinungsseite stehen, ein Kommentar zu den höheren Pflegebeiträgen auf | |
Seite eins. Keine andere Tageszeitung in Deutschland hat an diesem Tag so | |
viele Texte über Neonazis, Geflüchtete und soziale Themen im Blatt wie das | |
nd. | |
Das linke Spektrum der deutschen Presselandschaft ist vielfältig. Von der | |
orthodoxen Jungen Welt über die taz bis zur Süddeutschen Zeitung erscheinen | |
täglich mehrere mehr oder weniger linke Tageszeitungen. Dazu wöchentlich | |
der Freitag [5][und die Jungle World, und wer will,] findet auch in der | |
Zeit linke Positionen. Da drängt sich die Frage auf, ob für das nd | |
überhaupt noch Platz ist. | |
Ingeborg Schimmelpfennig, die Altleserin, sagt: „Das nd hält wie keine | |
andere die Verbindung zum Sozialismus. An allem, was gut war in der DDR, | |
halten die fest: Genossenschaften, Kindergärten, die Idee der | |
Vergesellschaftung von Arbeit.“ | |
## Von materiellem Wert | |
Ralf Hoffrogge, der Jungleser, sagt: „Das nd ist das zentrale | |
Referenzmedium für die linke Bewegung in Deutschland.“ | |
Der Parteivorstand der Linkspartei sagt: „Gerade angesichts der | |
Rechtsentwicklung darf eine linke Gegenöffentlichkeit wie das nd nicht | |
verschwinden.“ | |
So steht es in einem Antrag, den der Linken-Vorstand beim Parteitag im Juni | |
2018 in Leipzig angenommen hat. Zähneknirschend von manchen, heißt es dazu | |
aus Vorstandskreisen. Denn die Frage, wie die Linke ihrer Verantwortung als | |
Gesellschafterin der Zeitung nachkommt, ist umstritten. | |
Den Antrag für den Parteitag hatten Genossen auch im Namen der Redaktion | |
des nd eingebracht. Sie wehrt sich dagegen, dass die Partei der Zeitung das | |
Letzte nehmen könnte, das noch von materiellem Wert ist: das Grundstück des | |
Verlags am Berliner Ostbahnhof. So hatte es der Parteivorsitzende Bernd | |
Riexinger im April vergangenen Jahres der nd-Belegschaft angekündigt. Die | |
Redaktion fürchtet, dass das ihr Todesstoß sein könnte. | |
Das Verlagsgebäude des nd befindet sich in bester Berliner Lage. 25.000 | |
Quadratmeter ist das Grundstück groß, zweieinhalb Fußballfelder, eine | |
Goldgrube. In einer Akte im Grundbuchamt von Berlin-Kreuzberg findet sich | |
ein Vermerk von 2004, in dem der Wert auf knapp 5 Millionen Euro geschätzt | |
wird. Er dürfte sich mittlerweile vervielfacht haben. In Parteikreisen | |
schätzt man einen zweistelligen Millionenbetrag. | |
Das Gebäude darauf ist hoffnungslos veraltet. Die Gardinen, die in einigen | |
Fenstern hängen, sehen aus, als seien sie vor der Wende aufgehängt worden. | |
Ein Paternoster bringt die nd-Mitarbeiter auf ihr Stockwerk. Redaktion und | |
Verlag nehmen heute nur noch eine Etage ein. Auf den anderen sitzen die | |
Rosa-Luxemburg-Stiftung, die DKP und diverse Vereine. Sie alle sind Mieter | |
in dem Gebäude. Müsste das nd die ortsübliche Miete zahlen, gäbe es die | |
Zeitung wohl längst nicht mehr. | |
## Niemand wolle das Grundstück verkaufen | |
Das Eigentümergeflecht von Grundstück und Verlag ist kompliziert: Der | |
Verlag Neues Deutschland gehört je zur Hälfte der Partei Die Linke und | |
einer Beteiligungsgenossenschaft, der Communio eG, die der Partei nahe | |
steht. Ihr Vorsitzender und Mehrheitseigner, Matthias Schindler, ist seit | |
Ende vergangenen Jahres auch Geschäftsführer des nd. Er war hoher | |
Mitarbeiter bei der Stasi und ist seit Anfang der 1990er Jahre im Umfeld | |
des nd und der Vermögensverwaltung der Linken aktiv. | |
2006, als die westdeutsche WASG und die ostdeutsche PDS dabei waren, zur | |
Linkspartei zu fusionieren, erhielt Schindler die Anteile am nd. Angeblich, | |
so heißt es aus Parteikreisen, weil Dietmar Bartsch, der damalige | |
Geschäftsführer und heutige Fraktionsvorsitzende, verhindern wollte, dass | |
der Lafontaine-Flügel Zugriff auf die Zeitung bekäme. Offiziell bestätigen | |
will das niemand. | |
Das Grundstück, auf dem das Verlagsgebäude steht, gehört mehrheitlich dem | |
Verlag Neues Deutschland. Das wollen Linkspartei und die Communio ändern, | |
so dass sie beide künftig direkt mehr Anteile an der | |
Grundstücksgesellschaft besitzen würden. Passiert ist das bis heute nicht. | |
Die Gesellschafter seien gerade in der Diskussion über eine Neuausrichtung | |
der Grundstücksgesellschaft, sagt der heutige Linkspartei-Schatzmeister | |
Harald Wolf der taz. | |
Die Redaktion glaubt, die Partei wolle mit diesem Schritt ihr Vermögen | |
sichern. Im Falle einer Insolvenz der Zeitung würde das Grundstück wohl in | |
die Insolvenzmasse fallen. Für die Partei wäre es damit verloren. | |
Harald Wolf, Schatzmeister der Linkspartei, bestreitet das. „Alle | |
Maßnahmen, die wir gegenwärtig diskutieren, dienen der Existenzsicherung | |
des nd.“ Er beteuert: Niemand wolle das Grundstück verkaufen oder die | |
Zeitung abwickeln. | |
Denn was auch stimmt: Keine Bank, niemand, gibt einem Unternehmen Kredite, | |
das wie das nd gerade kurz vor der Insolvenz steht. Einer GmbH, der nur das | |
Grundstück gehört, dagegen schon. Aus Sicht der Linkspartei kann es also | |
durchaus sinnvoll sein, das Grundstück aus den finanziellen Schwierigkeiten | |
des Verlags herauszuhalten. | |
## Verantwortung der Linkspartei | |
Die Partei argumentiert gegenüber den Mitarbeitern des nd: Ihr müsst Wege | |
finden, euch selbst zu finanzieren, den Auflagenrückgang zu stoppen, neue, | |
junge Leser zu gewinnen. Eine Rettung von oben, durch die Partei, kann es | |
nicht geben. | |
Die nd-Belegschaft argumentiert: Die Linkspartei hat Verantwortung für uns. | |
Um die Zeitung weiterzuentwickeln, brauchen wir finanzielle Sicherheit. Die | |
darf uns über das Grundstück nicht entzogen werden. | |
Als die Frankfurter Rundschau im Jahr 2012 Insolvenz anmelden musste, warf | |
die Linkspartei der SPD „Verrat an der Arbeiterbewegung“ vor. Nun steht sie | |
selbst vor der Frage: Agiert sie nach ihrem politischen Selbstverständnis | |
als Kämpferin für ArbeitnehmerInnen und rettet die 100 Arbeitsplätze in der | |
Zeitung? Oder agiert sie als kühl kalkulierende Unternehmerin, die Kosten | |
und Nutzen abwägt? | |
Bisher entschied sie sich für Ersteres. Seit Jahren schon gibt die Partei | |
immer wieder Kredite oder schießt Geld zu. Zuletzt Ende 2017, als sie | |
zusammen mit dem zweiten Gesellschafter noch einmal ein Darlehen von einer | |
Million Euro gab, um die drohende Insolvenz abzuwenden. Im Frühjahr 2018 | |
schlug Geschäftsführer Schindler den nd-Beschäftigten vor, ihr 13. und 14. | |
Monatsgehalts zu kürzen und dafür auf betriebsbedingte Kündigungen zu | |
verzichten. Die Linkspartei wollte das damals nicht kommentieren. Laut | |
Verdi sind diese Pläne aber erst mal wieder vom Tisch. | |
Bis Sommer 2020 bestünde erst einmal eine gesicherte Grundlage für das nd, | |
sagt Geschäftsführer Matthias Schindler. Und dann? | |
Ein Teil der Mitarbeiter würde die Zeitung am liebsten von einer | |
Genossenschaft getragen sehen, so wie bei der taz. Matthias Schindler | |
hingegen, der Genossenschaftsprofi, hält nichts davon. „Die Zeitung kann | |
nur überleben, wenn sie sich aus den Erlösen ihres Verkaufs wirtschaftlich | |
trägt.“ | |
## Mehr Platz für Analysen | |
Eine Idee für die Zukunft, die die Redaktion schon jetzt gestemmt hat, ist | |
die neue Wochenendausgabe. Seit Ende Oktober erscheint das nd samstags in | |
neuer Form: mehr Seiten, mehr Platz für Analysen, Hintergründiges und | |
eigene Geschichten. Dafür ist die Ausgabe unter der Woche dünner geworden. | |
[6][Eine erste Bilanz zeigt:] Die Wochenzeitung läuft nicht so schlecht. | |
2.000 neue LeserInnen hat das nd damit gewonnen, fast die Hälfte davon | |
jünger als 40, mehr Westdeutsche als Ostdeutsche. | |
Die jungen RedakteurInnen versuchen mittlerweile, im Netz auch mit den | |
großen Verlagen mitzuhalten: Während der G20-Proteste in Hamburg | |
berichteten sie live über mehrere Tage, [7][gerade haben sie mit Supernova | |
ein linkes Onlinemagazin gegründet,] einen Videoredakteur und | |
Datenjournalist eingestellt. | |
Doch auf dem Weg in die Zukunft steht dem nd wohl auch seine Vergangenheit | |
im Weg. Der Name neues deutschland schrecke viele ab, sagt Chefredakteur | |
Wolfgang Hübner. Die einen denken bei dem Klang noch immer an DDR-Zeiten, | |
und die anderen, junge Linke, vermuten bei dem Wort „Deutschland“ eine | |
Rechtspostille. Deswegen heißt die neue Wochenendausgabe auch nur noch nd | |
Woche. | |
Wolfgang Hübner kam 1985 zum neuen deutschland. Er hatte bei der | |
Sächsischen Zeitung volontiert und in Leipzig, am sogenannten Roten | |
Kloster, Journalismus studiert. An das Arbeiten im damaligen Zentralorgan | |
habe er sich erst gewöhnen müssen. Die Seite eins wurde nachmittags an die | |
Parteiführung geschickt. Oft schaute Erich Honecker persönlich drüber. | |
„Heute ist das alles anders“, sagt Wolfgang Hübner. Die Redaktion der | |
Zeitung ist jünger und diverser geworden. Viele Redakteure haben kaum | |
Erinnerungen an die DDR, weil sie beim Fall der Mauer zu jung waren oder in | |
der BRD geboren wurden. Es sind vor allem junge Redakteure, die im Laufe | |
dieser Recherche immer wieder bitten, man möge nicht mehr auf der | |
SED-Vergangenheit des Blatts herumreiten. | |
Ein Hauch von Kaltem Krieg weht gelegentlich noch durch die | |
Auslandsberichterstattung. Da werden Putin und seine „Großmacht im Osten“ | |
hofiert. Aus Syrien berichtet Karin Leukefeld, die einzige deutsche | |
Journalistin, die in den Kriegsjahren eine offizielle Akkreditierung vom | |
Regime erhielt. Entsprechend Assad-freundlich lesen sich ihre Texte. Sie | |
hat ihre Fans unter den nd-Lesern, genau wie der prorussische Kurs einiger | |
Altredakteure. Das kann man in den Leserbriefen nachlesen. | |
## Als Erneuerer gekommen | |
Ingeborg Schimmelpfennig überfliegt den Politikteil nur. Am meisten | |
interessiert sie der Kulturteil. Sie kommt ins Schwärmen, wenn sie davon | |
spricht. | |
Regelmäßig fährt Schimmelpfennig auch auf Leserreisen, die die Zeitung | |
anbietet. Im Mai diesen Jahres war sie bei einer nd-Exkursion nach | |
Schulzenhof dabei, einem Ort im Norden Brandenburgs, wo die | |
DDR-Schriftsteller Erwin und Eva Strittmatter lebten. | |
Weil es so schlecht um das nd steht, wirbt Schimmelpfennig in ihrem | |
Freundeskreis für Abos. Nur wird der Freundeskreis immer kleiner. | |
Die Linke hat in den vergangenen Jahren im Westen viele neue Wähler | |
gewonnen. Vor allem in einem urbanen, akademischen, exgrünen Milieu. Es | |
ist, in Parteiflügeln gesprochen, das Milieu von Katja Kipping. | |
Kipping ist seit dem Jahr 2012 Bundesvorsitzende der Linken. Ebenfalls 2012 | |
bekam das nd einen neuen Chef: Tom Strohschneider. Er hatte beim nd | |
volontiert, arbeitet dann beim Freitag und bei der taz und kehrte als | |
Chefredakteur zum nd zurück. | |
Beide Personalien passierten unabhängig voneinander. Aber es gibt | |
Parallelen: Kipping und Strohschneider kamen als Erneuerer. Sie war 34, er | |
38 Jahre alt, als sie ihre Posten antraten. | |
Kipping hat es geschafft, der Linken ein neues Image zu geben: jünger, | |
hipper, kosmopolitischer. Strohschneider hat das nd von altem Muff befreit. | |
Er ließ ein frisches Layout entwickeln, riss Wände ein, um Ressorts | |
umzubauen. Er verstärkte die Onlineredaktion und stellte junge Redakteure | |
ein. | |
Die Frage ist, warum es die Partei geschafft hat, eine neue Klientel zu | |
gewinnen, die Zeitung aber nicht. Vielleicht, weil Wähler nicht dasselbe | |
sind wie Leser. Junge Leute haben noch nie viel Geld für Journalismus | |
bezahlt. | |
Ralf Hoffrogge beobachtet in seinem Freundeskreis, dass viele | |
ausschließlich online „für lau“ lesen. Er selbst hat ein Print- und | |
Digitalabo des nd, liest aber vor allem die gedruckte Zeitung. Hoffrogge | |
wünscht sich eine FAZ von links: „Die sind meinungsstark, setzen Themen und | |
stehen zu ihrem bürgerlich konservativen Image.“ So eine Geradlinigkeit für | |
den Sozialismus sähe er gern beim nd. | |
## Kampagne unterstellt | |
Das sind hohe Ansprüche an eine schrumpfende Zeitung. Ende 2017 gab Tom | |
Strohschneider aus gesundheitlichen Gründen das Amt des Chefredakteurs auf. | |
Das war ein harter Schlag für die Belegschaft. Den Tausendsassa, der dem nd | |
neues Leben eingehaucht hatte, könne niemand ersetzen, erzählen Redakteure | |
noch heute. | |
Sein Stellvertreter, Wolfgang Hübner, rückte auf. Vorübergehend, sagte er | |
damals. Jetzt, ein Jahr später, stellt sich Hübner darauf ein, den Job noch | |
eine Weile machen zu müssen. Er ist 59 Jahre alt, eigentlich würde er sich | |
für sich und das Wohl der Zeitung wünschen, dass jemand Jüngeres übernehmen | |
würde. | |
2019 wollen die beiden Gesellschafter einen neuen Chefredakteur einsetzen. | |
Den zu finden, dürfte schwierig werden. Wer will schon ein Blatt im | |
Krisenmodus übernehmen? In den vergangenen Monaten sind auch mehrere | |
Redakteure gegangen, weil ihnen die Perspektive zu unsicher war. | |
Hinter vorgehaltener Hand erzählen nd-Mitarbeiter auch, wie einige | |
Linken-Politiker hartnäckig versuchten, ihre Beiträge in die Zeitung zu | |
bringen. Im Parteivorstand wiederum bemängeln einige, dass das nd nicht nah | |
genug dran sei an Entwicklungen in der Partei, Flügelkämpfe nicht gerecht | |
abbilde. | |
Sahra Wagenknecht machte das publik, [8][als sie in einem offenen Brief | |
ihren Rücktritt als Fraktionschefin androhte] und dem nd indirekt | |
unterstellte, eine Kampagne gegen sie zu fahren. Das zeigt, welches | |
Konfliktpotenzial dieses Gesellschaftermodell birgt. | |
Und über allem schwebt die Frage, wie lange die Gesellschafter noch bereit | |
sind, in das neue deutschland zu investieren. Harald Wolf, der | |
Schatzmeister der Linken, hatte sich in seiner Bewerbungsrede auf dem | |
Parteitag im vergangenen Juli zum nd bekannt. Das zeigt: Der Erhalt des nd | |
ist nicht in erster Linie eine wirtschaftliche, sondern eine politische | |
Frage: Spätestens 2021 sind wieder Bundestagswahlen. Bis dahin muss die | |
Partei einen Wahlkampf stemmen und finanzieren. Wie viel bleibt da für die | |
Rettung einer Zeitung? | |
16 Jan 2019 | |
## LINKS | |
[1] https://meedia.de/2014/05/20/wir-sind-eben-kaeuflich-taz-muss-sich-wegen-af… | |
[2] /Berufliche-Zukunft-fuer-Journalisten/!5049084 | |
[3] /Frankfurter-Rundschau-insolvent/!5079538 | |
[4] /Film-zur-Homosexualitaet-im-Profi-Fussball/!5541610 | |
[5] /20-Jahre-Jungle-World/!5415924 | |
[6] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1108610.nd-diewoche-eine-erste-bil… | |
[7] /Linkes-Debatten-Magazin/!5529772 | |
[8] https://www.berliner-zeitung.de/politik/brief-im-wortlaut-so-begruendet-sah… | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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