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# taz.de -- Sozialer Wohnungsbau: 4,78 Euro pro Quadratmeter
> In Deutschland gilt sozialer Wohnungsbau als zu teuer. Ein Modell aus
> Österreich zeigt, dass es geht: nachhaltig niedrige Mieten, ohne Banken,
> mit Balkon.
Bild: Das Neubauviertel in Salzburg liegt nur einen Kilometer vom Hauptbahnhof …
BERLIN taz | Das neue Quartier steht mitten in Salzburg. Im Erdgeschoss des
architektonisch anspruchsvollen und nach neusten Kriterien für
Energieeffizienz errichteten Viertels ist Platz für „Kunst, Kultur und
Soziales“. Der Clou aber ist, dass hier in den oberen Stockwerken keine
Luxuswohnungen für Gutverdiener, sondern 292 Mietwohnungen im sozialen
Wohnungsbau errichtet wurden.
„Die Nettokaltmiete für eine 77-Quadratmeter-Wohnung beträgt 368,24 Euro“,
rechnet Alexander Tempelmayr, Sprecher der gemeinnützigen Salzburger
Wohnbaugesellschaft (gswb), vor. Das ergibt eine Quadratmetermiete von nur
4,78 Euro.
In Deutschland wäre das ein unglaublich niedriger Preis. Auch hierzulande
würden dringend Wohnungen gebraucht. Erst im August hatte das
Pestel-Institut im Auftrag des Deutschen Mieterbundes festgestellt, dass
derzeit „mindestens vier Millionen Wohnungen“ fehlen. Doch Neubau gilt
nicht als Lösung für Niedrigverdiener. Städtische Wohnungsbaugesellschaften
rechnen bei Neubauten mit einer Nettokaltmiete von kaum unter 8 Euro pro
Quadratmeter.
Der Bau von Sozialwohnungen gilt in Deutschland als gescheitert. Zu teuer.
Ohne lang anhaltenden Effekt. Die Sozialbindung der mit Milliarden
geförderten Wohnungen läuft meist nach 30 Jahren aus. Bundesweit fallen so
pro Jahr rund 100.000 günstige Wohnungen weg.
## Sozialbau für die Abschreibung
Besonders absurd ist die Situation in Berlin. In den 60er und 70er Jahren
wurden dort viele Sozialbauten errichtet. Aber sie waren vor allem
Steuerabschreibungsmodelle für betuchte Westdeutsche. Wer mehr als 150.000
Mark im Jahr verdiente, konnte seine Einlage innerhalb von fünf Jahren über
Steuerersparnisse wieder zurückholen.
Gleichzeitig konnten die Baukosten nicht hoch genug sein, denn nach diesen
richtete sich die sogenannte „Kostenmiete“, die in einigen Häusern 14 Euro
pro Quadratmeter erreichte. Die Differenz zu den niedrigen Sozialmieten
zahlte jahrelang die Berliner Landesregierung. Mittlerweile hat der
Berliner Senat diese Dauersubvention gestoppt. Damit entfällt aber auch die
Sozialbindung. Künftige Eigentümer dürfen ihre Mieten an den fiktiven
„Kosten“ ausrichten.
Allein seit 1990 wurden in Berlin rund 21 Milliarden Euro in den sozialen
Wohnungsbau gesteckt. Die befinden sich heute in den Taschen der Eigentümer
und Banken. Die Mieten aber steigen. Das Gegenmodell aus Österreich heißt
„Salzburger Wohnbaufonds“. Er beruht im Kern auf drei Säulen: staatliche
Förderung; gemeinnützige Bauträger; und vollständiger Verzicht auf
Bankkredite.
Üblicherweise werden Neubauten von Banken vorfinanziert; der Eigentümer
zahlt den Kredit über 25 bis 30 Jahre zurück. Die Geldgeber wollen dafür
eine entsprechende Rendite. Das kann im Laufe der Jahrzehnte die
Gesamtkosten fast verdoppeln. Ein Effekt, der auch in Österreich nicht
unbekannt ist.
## Keine Finanzierung über private Banken
„Im Jahr 2005 stand das Land Salzburg mit 1,5 Milliarden Euro Schulden in
der Wohnbauförderung da“, erklärt Walter Blachfellner, der im Bundesland
Salzburg der für die Wohnbauförderung zuständige sozialdemokratische
Landrat. „Deshalb haben wir uns seit 2006 komplett von der Finanzierung
über private Banken verabschiedet.“
Die Kredite kommen nun aus dem eigens gegründeten Salzburger Fonds. Auch
der nimmt Zinsen. Aber er berechnet je nach Förderart für Mietwohnungen
oder selbst genutzte Eigenheime nur 1 bis 2,5 Prozent – festgelegt auf die
gesamte, im Schnitt 30-jährige Laufzeit.
So konnten in Salzburg bei einer typischen Beispielwohnung die Bruttokosten
von knapp 1.000 Euro auf knapp 600 Euro gesenkt werden. „Was bisher die
Banken verdient haben, fließt nun in billigere Mieten und mehr Bauvolumen“,
sagt der Landrat.
Das Geld zum Aufbau des Fonds stammt unter anderem aus zweckgebundenen
Zuschüssen des Bundes von jährlich 113 Millionen Euro und aus Mitteln der
EU für umweltrelevante Investitionen. Vor allem aber kann der Wohnbaufonds
„als staatlicher Fonds mit gemeinnütziger Zielsetzung Gelder von der
Bundesbank für zur Zeit niedrigste Zinssätze zu bekommen“, so Blachfellner.
## Der unerschöpfliche Topf
Langfristig aber wird keine Förderung mehr gebraucht. „In spätestens 15
Jahren kommen wir ohne einen Cent Steuergelder aus“, sagt Blachfellner mit
hörbarem Stolz in der Stimme. Denn das Geld zahlen die Bauherren nicht an
die Banken, sondern an den Fonds zurück.
So kann es zur Finanzierung weiterer Projekte genutzt werden: ein
„revolvierender“ Fonds, der sich nicht erschöpft. Auch der Effekt auf die
Mieten ist nachhaltig. Die gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften in
Österreich sind nicht gewinnorientiert. Daher soll selbst nach voller
Rückzahlung aller Darlehen die Nettokaltmiete nahezu stabil bleiben.
Inzwischen hat der Salzburger Wohnbaufonds höhere Weihen bekommen. Rund 20
ExpertInnen des European Housing Forum der Europäischen Union kürten ihn
vor Kurzem zum „Best-Practice-Beispiel für EU-Regionen“. Sie lobten das
„hervorragende Modell, das nachhaltige Investitionen in den Neubau und die
Sanierung von Wohnraum mit dem klaren Ziel der Senkung der Wohnkosten für
die Bewohner verbindet“.
Barbara Steenbergen, Leiterin des Verbindungsbüros der International Union
of Tenants (Internationale Mieterunion) zur EU in Brüssel, war mit in
Salzburg. „Wo gibt es das noch in Europa, dass bezahlbare Neubauwohnungen,
überwiegend zur Miete und sogar schön, in der Innenstadt von der
öffentlichen Hand angeboten werden?“ Dabei sei doch allgemein bekannt, „was
für ein Standortnachteil es etwa für Paris ist, dass alle dort arbeiten
wollen, aber keiner eine Wohnung zu moderaten Preisen findet“.
Landrat Blachfellner ist sich sicher, etwas Nachhaltiges geschaffen zu
haben: „Mit unserem Modell überlassen wir der nächsten Generation nicht
Schulden, sondern stellen ihnen Geld zur Verfügung.“
11 Nov 2012
## AUTOREN
Christoph Villinger
## TAGS
Sozialwohnungen
Sozialer Wohnungsbau
Österreich
Wohnungsnot
Miete
Wasserversorgung
Österreich
Protest
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
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