# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: "Ein zweites Kreuzberg hinstellen" | |
> Das Tempelhofer Feld sollte weitgehend mit Wohnungen zugebaut werden, | |
> fordert der Ökonom Kristof Dascher. Das würde die Gentrifizierung | |
> bremsen. | |
Bild: Diese Weite auf dem Tempelhofer Feld... | |
taz: Herr Dascher, wann waren Sie zuletzt auf dem Tempelhofer Feld? | |
Kristof Dascher: Das ist schon länger her. Vor gut einem Jahr? | |
Es hat Ihnen dort nicht gefallen? | |
Doch. Aber ich habe nicht genügend Zeit, dorthin zu gehen. | |
Welchen Spirit haben Sie dort gespürt? | |
Es ist ein interessanter Ort, eine so große Fläche innerhalb der Stadt hat | |
Seltenheitswert. Es gibt keine Bäume, man kann weit schauen. | |
Und das wollen Sie den Berlinern wieder nehmen. | |
Es ist einfach so, dass der Vorteil des Parks mit vielen Nachteilen | |
einhergeht, die man sich so nicht bewusst macht. | |
Welche Nachteile denn? | |
Als Ökonom interessiere ich mich für die Ökonomie von Städten. Und da gibt | |
es den deutschen Wirtschaftsgeografen Johann Heinrich von Thünen, der schon | |
im 19. Jahrhundert argumentiert hat, dass sich ein Standortvorteil in der | |
Stadt niederschlägt in steigenden Mieten. Das zeigt sich zum Beispiel im | |
Neuköllner Schillerkiez, der unmittelbar ans Tempelhofer Feld grenzt. | |
Aber gerade die Bewohner der angrenzenden Gebiete sind vehemente | |
Befürworter der Initiative „100 Prozent Tempelhof“, die eben keine Bebauung | |
will. Erkennen die ihre gefährliche Lage angesichts der Mietpreise nicht? | |
Ja, vielleicht erkennen sie die nicht. Und ich weiß nicht, ob die | |
Unterstützung des Parks auch bei den angestammten Bewohnern dort wirklich | |
so groß ist. Bei der Volksabstimmung über die Schließung des Flughafens | |
Tempelhof gab es in der Umgebung ja eine Mehrheit für den Weiterbetrieb. | |
Dass die neu hinzuziehenden Anwohner für den Park sind, das ist klar. Sonst | |
würden viele von ihnen ja gar nicht kommen. Sie verursachen | |
Verdrängungsprozesse. | |
Ihre Lösung ist, das Tempelhofer Feld zu zwei Dritteln zu bebauen und | |
100.000 Wohnungen zu errichten. Was hätten die Bewohner, die von | |
Gentrifizierung bedroht sind, davon? | |
Wenn die Berliner beschließen, den Park einzutauschen gegen eine | |
weitgehende Wohnbebauung, dann verlieren die Anwohner in der Summe nichts: | |
Ihre Mieten bleiben niedriger. Denn die Gewinner des Parks sind auch auf | |
mittlere Frist nur die Immobilienbesitzer, deren Wohnungen etwa in der | |
Oderstraße wertvoller und wertvoller werden. Die Allgemeinheit hat davon | |
nichts. | |
Woher nehmen Sie die Sicherheit, dass die Bebauung des Parks die Mietpreise | |
sinken lässt? | |
Wenn der Park die Mieten steigen lässt, dann ist es doch nur logisch, dass | |
seine Bebauung, also das Fehlen des Parks, dies nicht zur Folge hat. | |
Das gilt aber doch nur, wenn die Mieten auf dem Parkgelände höchstens so | |
hoch sind wie in den umliegenden Vierteln – sonst werden doch die Mieten | |
dort hochgezogen. | |
Ich glaube, es handelt sich hier um einen Konflikt, der in der gesamten | |
Stadt existiert: Mieter gegen Vermieter. Das ist in vielen Städten so, auch | |
in London und New York. Da geht es um den Streit: Wird Neubebauung | |
zugelassen? Es gibt eine große angelsächsische Tradition, Neubebauung zu | |
verhindern. Und zwar mit Hinweis auf die Natur – in London gibt es den | |
Green Belt, in New York auch das Urban Gardening. Dahinter stecken die | |
Partikularinteressen der Wohnungsbesitzer, der Vermieter. Jeder Vermieter | |
in Berlin müsste gegen die Bebauung des Feldes sein … | |
… weil dies Ihrer Ansicht nach die Mieten in der Stadt senken würde. | |
Wenn das Feld massiv und dicht bebaut wird, würde das das Mietniveau in der | |
gesamten Stadt beeinflussen. Das kann der Vermieter im Kreuzberger | |
Bergmannkiez genauso wenig wollen wie der Vermieter im Schillerkiez. Er | |
muss befürchten, dass ihm die Mieter wegziehen – zumal, wenn es sich um | |
architektonisch ansprechende Viertel handelt. Von einer Bebauung würden | |
alle in Berlin profitieren – außer die Vermieter! | |
Das ist Marktgläubigkeit pur! | |
Es ist ein ganz einfaches Modell. Und für mich ist – aus einer | |
gesamtstädtischen Perspektive – völlig klar: Es sollte bebaut werden. | |
Immerhin sorgt das freie Feld für ein besseres Klima in immer heißer | |
werdenden Sommern: Die heiße Luft kann sich da abkühlen. | |
Für Berlin ist es besser – da fällt die Temperatur ein bisschen. Aber | |
global gesehen ist es nicht besser. Da wäre es sinnvoller, wenn wir die | |
Wohnflächen verdichten würden. Das Feld ist perfekt an den öffentlichen | |
Nahverkehr angebunden, die Bewohner der neuen Wohnungen müssten nicht in | |
die Stadt pendeln, es würde weniger Auto gefahren. Das spart massig | |
Kohlendioxid. | |
Reichen denn die 100.000 Wohnungen – das entspricht etwa fünf Prozent des | |
Wohnungsbestands der Stadt –, um die Mieten derart zu beeinflussen? | |
Schließlich gehen viele Studien von einem weiteren Wachstum Berlins aus. | |
Das ist eine gute Frage. Es wird sicherlich nicht die Mieten steigen | |
lassen. Und wir hätten die Chance, etwas Neues zu gestalten, jene Urbanität | |
zu gestalten, die wir alle schätzen und suchen – also etwa Kreuzberg. Bei | |
Städten geht es ja um Verdichtung, um Spezialisierung, um Subkulturen. Das | |
geht nur, weil Berlin groß ist. | |
Sie argumentieren mit dem sogenannten Sickereffekt – dass jene Leute, die | |
in eine teure Neubauwohnung ziehen, eine billige freimachen. Das ist aber | |
bisher nicht belegt. Meist steigen die Preise der preiswerteren Wohnung bei | |
Neuvermietung deutlich. | |
Das sind jetzt die Niederungen des Mietrechts. Ich sehe hier eine | |
Möglichkeit, den Mietanstieg zu bremsen. Und ich glaube, dass so ein | |
massives neues Angebot einen Effekt hat. | |
Aber durchgerechnet haben Sie das noch nicht? | |
Nein. Sie können natürlich eine Unterfütterung durch eine konkrete | |
Kosten-Nutzen-Analyse starten. Es gibt eine Studie der Firma empirica, die | |
dies gegenwärtig auch tut [siehe auch Kasten, d. Red.]. Aber das Besondere | |
hier ist, dass meiner Ansicht nach auch ohne eine solche Analyse die | |
Vorteile der Bebauung klar überwiegen. | |
Wer soll Ihrer Ansicht nach bauen? | |
Die Grundstücke sollen nicht verkauft, sondern verpachtet werden; private | |
Investoren sollen dafür auch relativ saftige Preise zahlen. Die Einnahmen | |
daraus können – nach grobem Überschlagen – mehrere hundert Millionen Euro | |
im Jahr betragen. Geld, dass man durchaus zweckgebunden verwenden könnte, | |
über dessen Verwendung gerne die Bürger abstimmen dürften. Man könnte sie | |
zum Beispiel für die Subventionierung von Sozialwohnungen auf dem Feld | |
nutzen. | |
Die aktuelle Diskussion über die geplanten 5.000 Wohnungen auf dem Feld | |
geht in eine andere Richtung: Hier sollen die landeseigenen Gesellschaften | |
bauen. | |
Das ist auch in Ordnung. Wie das im Detail gemacht würde, ist völlig offen! | |
Auch was man da hinstellt: sozialer Wohnungsbau mit spektakulärer | |
Architektur, wie die Holländer es vormachen. Oder Lofts. Man könnte | |
Vorteile dadurch haben, dass man sozial Schwache da wohnen lässt, oder den | |
Gentrifizierungshaushalten für teure Wohnungen ordentlich Geld abnimmt. | |
Die Gentrifizierung in der Innenstadt läuft rasend schnell. Kommt eine | |
Bebauung des Feldes wie Sie sie vorschlagen, überhaupt noch rechtzeitig, um | |
die Folgen zu mildern? In Neukölln sind die Preise bei Neuvermietung | |
innerhalb von drei Jahren um 30 Prozent gestiegen. | |
Ich sage ja nicht, dass die Bebauung alle innerstädtischen Probleme löst. | |
Die nächste Frage wäre dann: Was wird denn als nächstes zugebaut? Der | |
Tiergarten? Der Viktoriapark? | |
Das Tempelhofer Feld war kein Park, sondern ein Rollfeld. Beim Viktoriapark | |
würden da Denkmalschutzaspekte dem entgegensprechen. | |
Kleingartenkolonien? | |
Da gibt es ja schon Beispiele dafür. | |
Würden Sie auf das Feld ziehen, wenn es so bebaut würde, wie Sie | |
vorschlagen? | |
Ich wohne in Kreuzberg. Und einer meiner Ausgangspunkte war: Warum kann man | |
nicht ein zweites Kreuzberg da hinstellen? Und alle wollen nach Kreuzberg. | |
2 Nov 2012 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada Bert Schulz | |
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