| # taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Die Kunstschule: Pioniere der Bürgerlichke… | |
| > Seit zwei Jahren bringen junge Akademikereltern ihre Kinder in die | |
| > Kunstschule Weisestraße. Ein Besuch. | |
| Bild: Hier darf geschnitten, geklebt und gemalt werden: die Kunstschule in der … | |
| Ein sonniger Samstagmorgen im Neuköllner Schillerkiez. Noch ist nicht viel | |
| los in der Weisestraße. In den Kneipen „Syndikat“ und „Lange Nacht“ we… | |
| gerade die Reste der vergangenen Nacht weggeputzt. Nur die Rollos in der | |
| 58, in der Kunstschule Weisestraße, sind schon oben. Ein kleiner Laden mit | |
| Schaufenster, der – das merkt man gleich – nach jedem Kurs ein wenig anders | |
| aussieht. | |
| Tamara Trölsch, die kleine, schmale Kursleiterin, die ihre Zeichnungen und | |
| Druckgrafiken regelmäßig in Galerien wie dem Künstlerhaus Bethanien | |
| ausstellt, hat große Augen wie Giulietta Masina. Sie sortiert gerade | |
| energisch die Plakatfarben, den Glitzerstaub und die Pinsel. Dann werden | |
| die ersten Kinder abgegeben. Oft geht es gleich raus, aufs Tempelhofer Feld | |
| oder in die Hasenheide, aber an diesem Samstag bleiben sie lieber drin. | |
| „Wir wollen heute Aquarien basteln“, ruft sie den ersten beiden Kindern zu, | |
| noch während die eine ihrem Vater einen gelangweilten Kuss auf die Wange | |
| drückt und die andere ihren Parka in die Ecke pfeffert. | |
| Kurz darauf ist Ella, fünf Jahre alt, voll bei der Sache. Sie sucht sich | |
| einen Stuhl am kunterbunt bemalten Tisch. Tamara Trölsch fragt fordernd in | |
| die Runde, was man denn so alles finden kann in einem tollen Aquarium. | |
| Ideen fliegen durch den Raum. Ella hört nicht zu. Sie legt gleich los, malt | |
| einen großen Fisch, dann einen kleinen, bald darauf einen Seestern, später | |
| eine Schatztruhe und einen alten Schuh. | |
| Ella ist eines von sieben Kindern, die bei diesem Kindermalkurs mitmachen. | |
| Tamara Trölsch hat Kartons mitgebracht und zeigt den Kindern, wie sie sie | |
| ausmalen und bekleben können. Sie hängt die ausgeschnittenen Meeresbewohner | |
| an lange Fäden, sodass man sie durchs Aquarium bewegen kann. | |
| ## Viel Papier vollgemalt | |
| Ein Kind ist erst drei, es malt lieber viele Bögen Paper mit Wasserfarben | |
| voll. Seine ältere Schwester ist fünf: Sie malt eine Nixe nach der anderen, | |
| hilft aber auch der Kleinen. Nach einer Stunde fangen die Ersten an, sich | |
| um den Tisch zu jagen. Tamara Trölsch läutet die Pause ein. | |
| Im hinteren Raum des hellen, kargen Ladens, in dem sich die Kunstschule | |
| befindet, steht ein zweiter großer Tisch. Es gibt Saft und Schokokekse, ein | |
| paar Kinder sausen herum, andere erzählen sich vom letzten Ausflug zum | |
| Bauernhof. Tamara Trölsch erklärt, warum sie so gern hier arbeitet, im | |
| Schillerkiez, auch wenn sie dafür weit fahren muss. Denn Trölsch lebt in | |
| Prenzlauer Berg. Dort geht auch ihre Tochter zur Schule. Sie kennt sie also | |
| gut, die Eltern von Prenzlauer Berg, die so oft als Feindbild herhalten | |
| müssen. „Hier sind die Eltern oft jünger und nicht so reich“, erzählt si… | |
| Sie gehörten zur gebildeten Mittelschicht, seien aber noch nicht | |
| bürgerlich, oft prekär beschäftigt und weit davon entfernt, sich auf einem | |
| gut bezahlten, unbefristeten Arbeitsvertrag ausruhen zu können. | |
| Eine der Mütter, so stellt sich später raus, hangelt sich seit ihrem | |
| Master-Abschluss von einem schlecht bezahlten Lehrauftrag zum nächsten. | |
| Eine andere ist Künstlerin, aber auf Hartz IV, und schult zur Erzieherin | |
| um. Fast alle brauchen zwei Einkommen, um einigermaßen durchzukommen. Die | |
| 45 Euro, die die Kunstschule im Monat kostet, können Leute wie diese gerade | |
| noch aufbringen, berichtet Trölsch. Das, was ähnliche Schulen in Bezirken | |
| wie Schöneberg oder Prenzlauer Berg verlangen – nämlich oft das Doppelte – | |
| könnten sie nicht mehr stemmen. | |
| Der Malkurs dauert eine weitere Stunde, die Aquarien werden fertig. Dann | |
| kommen die ersten Eltern, um ihre Kinder abzuholen. Ellas Mutter, Susann, | |
| kennt jeden hier. Sie engagiert sich sehr für ihren Kiez, für die | |
| gewachsene Sozialstruktur, wie sie sagt. Es steckt viel Euphorie, viel | |
| Pioniergeist in der Art, wie sie es sagt. Aber auch ein wenig Unsicherheit. | |
| Susann engagiert sich auch in einer Elterninitiative für eine Kiez-Schule | |
| für alle (siehe taz vom 22. 1. 2011). Wie die meisten hier ist sie Ende der | |
| 90er-Jahre in den Kiez gekommen. Sie zahlt noch immer dieselbe Miete wie | |
| damals, hat aber gehört, dass ihr Hausbesitzer bei der Neuvermietung einer | |
| Wohnung derselben Größe vor wenigen Wochen knapp das Doppelte verlangt hat. | |
| Susann hat Angst, dass auch sie sich eines Tages die Mieten im Viertel | |
| nicht mehr wird leisten können – andererseits weiß sie genau, dass Leute | |
| wie sie, die ihre Kinder in Kunstkurse schicken und Schulen gründen, Teil | |
| der immer gleichen Geschichte sind: Zuerst kommen die Kreativen, dann die | |
| Hipster, dann die Bürger und am Ende ist nichts mehr, wie es war. Nur: Soll | |
| deshalb alles so bleiben, wie es ist? | |
| ## Brotlose Kunst | |
| Es ist Mittag geworden, und Rüdiger Schöll, der Besitzer der Kunstschule, | |
| ein freundlicher Mann in den Fünfzigern mit winziger schwäbischer | |
| Klangfärbung in der Stimme, lädt ein zu einem gemächlichen Spaziergang | |
| durch seinen Kiez. Schöll ist in den Achtzigern nach Berlin gekommen, hat | |
| Kunst studiert an der Hochschule der Künste. Dann kamen Ausstellungen, | |
| Lehraufträge und Gastprofessuren. Brotlose Kunst, muss man wohl sagen. 1998 | |
| zog er in den Schillerkiez. „Damals erklärten mich alle für verrückt, als | |
| ich hierhin wollte“, sagt er. Damals gab es noch den Fluglärm, Neukölln | |
| galt als „Bronx von Berlin“. | |
| Im April 2010 machte er die Kunstschule auf. „Noch bleibt monatlich wenig | |
| übrig“, sagt er, ist aber zuversichtlich, dass er eines Tages davon wird | |
| leben können. Nicht, dass er den Preis anziehen will: Schöll liebt das | |
| Milieu, in dem er lebt. Er könnte nie in schicken Bezirken wie Prenzlauer | |
| Berg wohnen und arbeiten, sagt er. | |
| Es geht vorbei an der Karl-Weise-Grundschule, eine der beiden Schulen Im | |
| Kiez, an der gut 80 Prozent der Kinder nichtdeutsche Muttersprachler sind, | |
| vorbei am kleinen Wochenmarkt auf dem Herrfurthplatz, an der | |
| Genezareth-Kirche, über die schöne Schiller-Promenade. Wir landen einen | |
| Block entfernt vom Tempelhofer Feld, wo die ersten ihre Drachen steigen | |
| lassen. Im Café Engels in der Herrfurthstraße, Ecke Lichtenrader, wird man | |
| von einem Aufkleber „Nein zur Gentrifizierung“ begrüßt. Doch das | |
| sympathische Café, wo alles noch improvisiert scheint, ist natürlich längst | |
| Teil derselben. | |
| Rüdiger Schöll erzählt, wie wenig es in seiner Schule gelingt, Kinder mit | |
| Migrationshintergrund ins Boot zu holen. 45 Euro – das mag bezahlbar für | |
| unterbezahlte Akademiker sein. Für Hartz-IV-Empfänger ist es das natürlich | |
| nicht. Deshalb hat Schöll mit seiner Frau einen Verein gegründet. Sie | |
| wollen Kinder aus einkommensschwachen Familien mit Stipendien unterstützen. | |
| Dazu suchen sie Paten und Förderer. | |
| ## Die Schattenseite | |
| Die Sonne steht hoch über den Häusern, wir können froh sein, dass das Café | |
| auf der Schattenseite liegt. Eine sehr junge, schlanke Frau mit löchrigen | |
| Turnschuhen schiebt mit hocherhobenem Kopf einen uralten Kinderwagen vor | |
| sich her. Rüdiger, Tamara und Susann sind Pioniere hier, sie bringen Farbe | |
| in den Schillerkiez. Sie wissen aber auch, dass sie ihren Teil dazu | |
| beigetragen haben, wenn es im Viertel eines Tages so aussehen sollte wie in | |
| Kreuzberg oder Prenzlauer Berg. | |
| 6 Jun 2012 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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