| # taz.de -- Sondierungen für Ampel-Koalition: Besser geht’s nicht | |
| > Grüne und FDP entscheiden sich für Sondierungen mit der SPD. | |
| > Liberalen-Chef Christian Lindner geht damit das größte Risiko ein. | |
| Bild: Stimmige Choreografie: Baerbock und Habeck verkünden im Reichstag ihre E… | |
| Berlin taz | Annalena Baerbock und Robert Habeck haben sich eine | |
| staatstragende Kulisse ausgesucht, um den Aufbruch zur Ampel zu verkünden. | |
| Die beiden Grünen-Vorsitzenden treten am Mittwochmorgen auf der | |
| Fraktionsebene im Reichstag vor zwei Mikrofone, hinter ihnen die gläserne | |
| Kuppel, durch die man hinunter in den Plenarsaal schauen kann. | |
| Die Grünen schlügen der FDP vor, jetzt vertieft mit der SPD zu sprechen, | |
| sagt Baerbock. Das Land könne sich „keine lange Hängepartie“ leisten, daf… | |
| trügen alle demokratischen Parteien eine Verantwortung. Nach ihr redet | |
| Habeck. „Die Gespräche der letzten Woche haben gezeigt, dass dort die | |
| größten inhaltlichen Schnittmengen denkbar sind.“ Denkbar heiße aber | |
| ausdrücklich, „dass der Keks noch lange nicht gegessen ist“. Es gebe auch | |
| in dieser Variante erhebliche Differenzen. | |
| Das ist, wenn auch vorsichtig formuliert, nichts anderes als eine | |
| [1][Vorentscheidung für die Ampel]. Baerbock und Habeck haben sich im | |
| zehnköpfigen Sondierungsteam und den Gremien besprochen, die Präferenz bei | |
| den Grünen ist klar: Ob es die Steuer-, die Sozial- oder die | |
| Gesellschaftspolitik ist – oft sind die Vorstellungen der SPD sehr ähnlich. | |
| Auch in der Grünen-Basis gebe es angesichts der desolaten Lage der Union | |
| die Erwartung, dass die Ampel verhandelt werde, heißt es. | |
| Schwieriger ist die Sache für die FDP. Der Vorsitzende Christian Lindner | |
| hatte stets die Unterschiede zu SPD und Grünen betont, wissend, dass ein | |
| Lagerwechsel bei seiner eigenen Klientel schlecht ankommt. Noch im August | |
| hatte er den Grünen vorgeworfen, „linke Vorstellungen des | |
| Gesellschaftsumbaus“ zu vertreten. In der Gedankenwelt mancher | |
| FDP-WählerInnen sind SPD und Grüne verbotsfixierte Ökosozialisten, die mit | |
| Tempolimit und Vermögensteuer ihre Freiheit beschneiden wollen. | |
| Und mit denen soll er jetzt verhandeln? | |
| Lindner tritt knapp eineinhalb Stunden nach den Grünen vor die Presse – im | |
| Hans-Dietrich-Genscher-Haus in Berlin-Mitte. Lindner betont, dass die FDP | |
| mit der Union die größten inhaltlichen Überschneidungen sehe, was sich in | |
| den Gesprächen bestätigt habe. „Für uns bleibt [2][eine Jamaika-Koalition] | |
| eine inhaltlich tragfähige Option.“ Allerdings, sagt er dann, werde in der | |
| Öffentlichkeit „Regierungswille und Geschlossenheit“ der Unionsparteien | |
| diskutiert. | |
| Das ist ein deutlicher Wink: Lindner kann angesichts der desolaten Lage der | |
| Union, des wankenden CDU-Chefs Armin Laschet und der Sticheleien aus der | |
| CSU eigentlich kaum noch begründen, warum Jamaika eine stabile Regierung | |
| wäre. Die Macht des Faktischen ist stärker als die Präferenz der FDP. | |
| Dann kommt Lindner zu dem entscheidenden Punkt: Die FDP habe den Vorschlag | |
| der Grünen eines Gesprächs mit der SPD angenommen, „um Gemeinsamkeiten zu | |
| prüfen, die unser Land nach vorne bringen“. Lindner fügt hinzu, er habe dem | |
| SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz in Abstimmung mit den Grünen angeboten, | |
| sich am Donnerstag zu treffen. Grüne und FDP sähen viele Dinge sehr | |
| unterschiedlich. Man habe aber erfahren, dass, wenn man sich bemühe, „eine | |
| Art fortschrittsfreundliches Zentrum gebildet werden kann. Daraus ergibt | |
| sich viel Fantasie.“ | |
| ## Keine Parallelgespräche | |
| Eigentlich will die FDP-Sprecherin die Pressekonferenz beenden, aber | |
| Lindner fällt ihr ins Wort, weil er wegen falscher Medienspekulationen noch | |
| etwas sagen will: „Es gibt keine Parallelgespräche.“ Das heißt: Die Union | |
| ist also raus, erst einmal, auch wenn Lindner die Tür zu Jamaika offen | |
| lässt. Das halten übrigens die Grünen ähnlich. Robert Habeck betont im | |
| Reichstag extra, dass es nicht um eine Komplettabsage an Jamaika gehe. „Wir | |
| haben gesehen, dass die Union sich wirklich bemüht hat.“ Sie sei den Grünen | |
| „weit und sortiert“ entgegengekommen. | |
| Was Grüne und FDP an diesem Mittwoch vorführen, ist eine perfekt | |
| abgestimmte, gut durchdachte Inszenierung. Die beiden kleinen Partner in | |
| einem möglichen Dreierbündnis hatten nach der Wahl darauf bestanden, | |
| zunächst zu zweit zu sprechen, bevor sie mit den „Großen“ redeten. Der Pa… | |
| hält, zumindest bisher. Nach taz-Informationen war auch die Bekanntgabe der | |
| Ampelsondierung am Mittwoch eng zwischen beiden Parteien abgestimmt. Sie | |
| folgte einer stimmigen Choreografie. | |
| Die Grünen durften die Nachricht als erste kommunizieren. Dies wäre für | |
| FDP-Chef Lindner schwer möglich gewesen, der seine Leute vorsichtig auf die | |
| ungeliebte Variante vorbereiten muss. An ihm war es dann, die Abstimmung | |
| mit Scholz und den Zeitplan zu verkünden – so blieb das Kräfteverhältnis | |
| gewahrt. | |
| Selbst die Wertschätzung, mit der Lindner und Habeck über die | |
| Jamaika-Option sprachen, wirkte penibel abgestimmt. Eine Sache dürfte | |
| Lindner den Gang über die Brücke zur Ampel erleichtert haben: Sowohl aus | |
| dem Gespräch zwischen CDU, CSU und FDP als auch aus dem Gespräch zwischen | |
| CDU, CSU und Grünen waren am Montag und Dienstag Interna an die | |
| Bild-Zeitung durchgestochen worden. Aus den Vorabsondierungen zwischen SPD, | |
| Grünen und FDP war hingegen kein Wort nach draußen gedrungen. Führende | |
| FDP-Politiker vermuteten danach, dass Leute aus der Union die | |
| Vertraulichkeit gebrochen hatten. | |
| Bei den Grünen wird nun die allgemeine Geschlossenheit betont. | |
| Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der in Baden-Württemberg mit der | |
| CDU koaliert, hatte im Vorfeld mit einer Jamaika-Koalition geliebäugelt. Am | |
| Mittwoch hieß es aus seinem Umfeld, er trage die Entscheidung und die | |
| Aussagen Habecks und Baerbocks mit, eine Ampel zu sondieren, ohne jedoch | |
| Jamaika damit schon auszuschließen. Auch Lindner betonte, es gebe im | |
| Bundesvorstand seiner Partei und in der Fraktion „große Unterstützung“ f�… | |
| die Art und Weise der Gesprächsführung der vergangenen Tage. Was er | |
| dargelegt habe, hätten beide Gremien „einmütig“ begrüßt. | |
| Auch bei der SPD bemüht man sich sehr, nichts falsch zu machen. Anders als | |
| in der Vergangenheit üblich gab es keine Querschüsse, keine Indiskretionen, | |
| wenig Interviews. Seit 18.01 Uhr am Wahlsonntag hat die Sozialdemokratie | |
| recht konsequent den Kurs verfolgt, den Olaf Scholz vorgegeben hat: Spiel | |
| auf Zeit. Nur keine Nachrichten sind gute Nachrichten. Man hielt sich | |
| vornehm zurück und wartete ab, dass die Risse in der Union für alle | |
| sichtbar werden. | |
| Genauso kam es dann ja auch. Die Durchstechereien aus den Sondierungen | |
| passten in das wirre Bild von CDU und CSU. Dabei hatte die SPD auch etwas | |
| Glück. Denn im Newsletter des Onlinemediums Pioneer war auch, allerdings | |
| ohne Namensnennung, eine unfreundliche Charakterisierung des früheren | |
| SPD-Mannes und jetzigen Bundesschatzmeisters der FDP, Harald Christ, zu | |
| lesen. Der sei in den Gesprächen zwischen SPD und FDP besonders hart | |
| aufgetreten, weil er mit den Sozialdemokraten „noch eine Rechnung“ offen | |
| habe. Auch aus der SPD wurden also wohl Infos an das Onlinemedium gespielt. | |
| Doch das blieb unterhalb der öffentlichen Wahrnehmungsschwelle. Das | |
| Gesamtbild war so ähnlich wie schon im Wahlkampf: Die SPD wirkte klar, | |
| sortiert und zielstrebig, die Union flatterhaft. | |
| Mittwochmittag steht Olaf Scholz, etwas müde wirkend, in einem Vorraum im | |
| Willy-Brandt-Haus. Im großen Atrium, wo sonst die Pressekonferenzen | |
| stattfinden, ist eine Fotoausstellung zu sehen. Auch in der | |
| SPD-Parteizentrale hatte man offenbar nicht damit gerechnet, dass der, wenn | |
| es nach der SPD geht, künftige Kanzler improvisierte Pressekonferenzen | |
| würde geben müssen. | |
| ## Es wird noch rumpeln | |
| Scholz rahmen wie immer Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ein. Scholz | |
| lobt FDP und Grüne für ihre „professionelle Art“. Man habe von den | |
| BürgerInnen den Auftrag für eine gemeinsame Regierung erhalten. „Morgen | |
| geht es dann los“, sagt Scholz. Scholz inszeniert sich als Mediator, als | |
| Kopf und Mitte der Regierung in spe, der FDP und Grüne zur Geltung kommen | |
| lässt. Er betont unablässig das Gemeinsame. | |
| Der FDP muss Scholz ohnehin goldene Brücken für den Lagerwechsel bauen – | |
| und bei den Grünen erinnern sich ein paar Ältere noch an die Zeit vor 2005, | |
| als SPD-Kanzler Gerhard Schröder die Grünen wie Kellner behandelte. | |
| Der Auftritt der drei dauert keine drei Minuten. Er wirkt schnell, | |
| geschäftsmäßig und ruppig. Zum ersten Mal nach Statements zu den | |
| Sondierungen sind keine Fragen von JournalistInnen zugelassen. Esken redet | |
| knapp von Zuversicht, Aufbruch und Hoffnung, Walter-Borjans glaubt, dass | |
| SPD, Grüne und FDP „eine gemeinsame Vorstellung für dieses Land haben“. D… | |
| Zielrichtung stimme, auch „wenn es im Einzelnen viel zu klären gibt“. | |
| Das ist der einzige zarte Hinweis, dass es zwischen SPD, Grünen und FDP | |
| noch ziemlich rumpeln wird. Ein erster Schritt in Richtung Ampel ist | |
| gemacht, aber Illusionen macht sich keiner. | |
| 6 Oct 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
| Stefan Reinecke | |
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