# taz.de -- Sondierungsgespräche der Parteien: Strategisches Getue | |
> In den Gesprächen um eine mögliche Koalition geht es zwischen SPD, FDP | |
> und Grünen nicht ohne Kompromisse. Doch die muss man sich leisten können. | |
Bild: Schrauben spielen bei den Sondierungsgesprächen merkwürdigerweise eine … | |
Die Sondierungsgespräche zwischen SPD, FDP und Grünen beginnen. Nach dem | |
kommunikativ und ästhetisch [1][amüsanten Selfie-Vorpreschen] geht es jetzt | |
ganz schnell – weil sich das Land [2][„keine lange Hängepartie“] leisten | |
könne, so Annalena Baerbock. | |
Damit geht auch das große strategische Getue so richtig los, bei den | |
Beteiligten und bei den Kommentierenden: Wer gibt wem was und bekommt was | |
dafür? Wer kann wen wie unter Druck setzen, um das zu bekommen, was sie | |
oder er vor der Wahl versprochen hat? Wer kann dann das Bekommene wie an | |
Wähler:innen verkaufen, um diese bei Laune zu halten? | |
Unsere parlamentarische Demokratie zeigt sich jetzt in Höchstform. Denn | |
jetzt wird wieder Politik gemacht wie auf dem Hamburger Fischmarkt: Wenn | |
Sie diesen Obstkorb kaufen, dann lege ich diese Kiste Erdbeeren drauf! | |
Vor allem ist jetzt die Zeit der Kompromisse. Das Wort Kompromiss kommt vom | |
lateinischen „compromittere“ und bedeutet übereinkommen, oder, wie der | |
Duden schreibt: die gegenseitige Übereinkunft vor Gericht, sich einem | |
Schiedsspruch zu unterwerfen. Wenn man diese Definition auf das 21. | |
Jahrhundert überträgt, dann müsste das heißen: die gegenseitige | |
Übereinkunft, sich dem Marktmechanismus zu unterwerfen. Denn eines ist | |
sicher: Die bevorstehenden Kompromisse von SPD, FDP und Grünen werden sich | |
innerhalb dieses Rahmens aufhalten, egal, wie sie am Ende konkret | |
ausfallen. Naiv und selbstgerecht wäre es deshalb, für diesen Rahmen allein | |
die FDP, deren Marktgläubigkeit besonders religiös daherkommt, | |
verantwortlich zu machen. | |
## Macht ermöglichen | |
Deshalb ist es auch angemessenen, von mehr oder weniger Markt statt von | |
mehr oder weniger Staat zu sprechen, wenn man die Positionen der Parteien | |
beschreibt. Am Ende werden dann nicht 20 Ellen Leinwand und ein Rock | |
getauscht, was Marx im „Kapital“ als Beispiel einführt, um die Entfaltung | |
der Warenform zu beschreiben, sondern der von Olaf Scholz versprochene | |
12-Euro-Mindestlohn gegen die von Christian Lindner versprochene | |
Verhinderung einer Vermögensteuer. Für die Beteiligten ist das eine | |
Win-win-Situation, denn der Kompromiss ermöglicht ihnen Macht. Weil der | |
Kapitalismus am Ende trotzdem ein Nullsummenspiel ist, haben diejenigen das | |
Nachsehen, die auf dem gesellschaftlichen Marktplatz nicht so gut dastehen. | |
Man sollte sich deshalb nicht einlullen lassen, wenn von [3][Brücken über | |
Trennendes und gerade eingesetzten Schrauben] geschwafelt wird. Und wenn | |
jemand gesellschaftskundemäßig mit der demokratiepolitischen Wichtigkeit | |
von Kompromissen um die Ecke kommt, als wäre ein Kompromiss ein Wert für | |
sich – dann sollte man diesen Streber zurechtweisen. Denn Kompromisse sind | |
etwas für diejenigen, die sie sich leisten können. Die anderen können nicht | |
so tun, als wäre die Frage von Arm und Reich so wie die Frage, was es zum | |
Abendbrot gibt. | |
7 Oct 2021 | |
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## AUTOREN | |
Volkan Ağar | |
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