# taz.de -- Sinti- und Roma-Mahnmal in Berlin: Baumgroße Erinnerungslücken | |
> Der S-Bahn-Bau unter dem Tiergarten bedeutet Rodungen am Mahnmal für die | |
> von den Nazis ermordeten Sinti und Roma. Organisationen wehren sich. | |
Bild: Stein des Anstoßes: das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma im Ti… | |
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma liegt | |
zentral und abgeschieden zugleich. Zentral, weil es vom Brandenburger Tor | |
und vom Reichstagsgebäude nur wenige Schritte bis zu seinem Eingang sind. | |
Abgeschieden, weil das Mahnmal am nordöstlichsten Zipfel des Tiergartens | |
von Bäumen und Büschen umschlossen ist. | |
Es kann Tourist*innen, die von einer Sehenswürdigkeit zur nächsten | |
hasten, also durchaus passieren, dass sie diesen Erinnerungsort links | |
liegen lassen. Doch auch der Berliner Senat hat das Mahnmal in seiner | |
Verkehrsplanung achtlos übergangen – so jedenfalls der Vorwurf zahlreicher | |
Initiativen. Die wehren sich seit mehreren Jahren dagegen, dass das Denkmal | |
durch den Ausbau einer S-Bahn-Verbindung zwischen Norden und Süden | |
zumindest stark beeinträchtigt, oder, je nach Sichtweise, stark beschädigt | |
wird. | |
Denn der Senat hat sich [1][Ende Dezember auf einen Plan für den 2. | |
Bauabschnitt der S21 festgelegt]: die sogenannte Variante 12h. Dieser | |
zufolge wird die S-Bahn unterirdisch am Brandenburger Tor und dem | |
Reichstagsgebäude vorbeigeführt. Der Tunnel teilt sich in zwei Teile, um | |
den Reichstag rechts und links zu passieren. Die Röhren werden unterirdisch | |
gebohrt. So könne ein Abstand zu den Gebäuden eingehalten werden, der | |
politische Betrieb werde nicht beeinträchtigt, hieß es bei der Vorstellung. | |
Doch am Brandenburger Tor wird es jahrelang mehrere Baugruben und | |
Baustellenflächen geben – eine davon auch auf dem Gelände des Denkmals. | |
[2][Dafür müssten auch Bäume gefällt werden], darunter sieben Bäume und | |
fünf Büsche, die direkt zum Mahnmal gehören – in dessen „östlichem | |
Randbereich“. Außerdem müssten zahlreiche weitere Bäume in unmittelbarer | |
Nähe weichen. [3][Eine breite Lücke würde im Baumbestand rund um das | |
Denkmal] klaffen. Die Bahn habe die Auflage, die gefällten Bäume „so weit | |
wie möglich an Ort und Stelle zu ersetzen oder zu kompensieren“, so die | |
Senatsverwaltung auf Anfrage. Langfristig sei „die Vegetation | |
wiederherzustellen und zu erhalten“. | |
Noch umschließen Bäume das Mahnmal von mehreren Seiten. Wer vom Simsonweg | |
aus das Gelände durch die Lücke zwischen den Glasplatten betritt, die das | |
Denkmal dort begrenzen, der wird umfangen von Musik und sieht vor sich eine | |
kreisrunde Wasserfläche mit dunklem Grund, etwa 12 Meter im Durchmesser. In | |
ihrer Mitte befindet sich ein flacher, dreieckiger Stein, auf dem liegt | |
eine frische Blume liegt. Die Blume wird regelmäßig erneuert, dafür | |
versinkt der Stein täglich einmal unter der Wasseroberfläche und taucht | |
frisch bestückt wieder auf. | |
## „Einzigartige Atmosphäre zerstört“ | |
Die Initiativen, die sich für den Erhalt einsetzen, [4][lehnen die Rodungen | |
ab] – auch die im Umfeld des Mahnmals. „Ohne diese Bäume wären die | |
einzigartige Atmosphäre und die Ruhe der Gedenkstätte zwischen | |
Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor dauerhaft zerstört“, schreiben die | |
VerfasserInnen [5][eines offenen Briefs] an Verkehrssenatorin Manja | |
Schreiner und Kultursenator Joe Chialo (beide CDU). Mit dem Brief wandten | |
sich die Unterzeichner*innen bereits im vergangenen Oktober gegen die | |
Trassenplanung. Den Brief unterzeichneten unter anderem Angehörige des | |
verstorbenen Künstlers Dani Karavan, der das Mahnmal entworfen hatte. Auch | |
er hatte bis zu seinem Tod gefordert, das Mahnmal müsse in seiner Gänze | |
bewahrt bleiben. | |
„Es erinnert nicht umsonst an eine Waldlichtung“, sagt Roxanna-Lorraine | |
Witt. „Wälder waren in der Geschichte und der Kultur der Sinti und Roma | |
sehr oft wichtige Schutzräume.“ Witt ist 2. Vorsitzende und | |
Geschäftsführerin von Save Space. Der Verein unterstützt Gruppen dabei, | |
sich geschützte Räume zu schaffen, und berät Menschen, die marginalisiert | |
und von mehrfacher Diskriminierung betroffen sind. „Meine eigene Familie | |
hat überlebt, weil sie sich im Wald versteckt hat“, sagt Witt. „Es darf | |
kein einziger Baum am Mahnmal oder im direkten Umfeld gefällt werden.“ Beim | |
Holocaust-Mahnmal wäre es auch undenkbar, wenn einfach eine Stele abgesägt | |
würde, sagt sie. | |
Von der Senatsverwaltung heißt es, es habe „ein intensiver Dialog mit den | |
Vertreter:innen der Sinti und Roma stattgefunden“, auch aus sehr | |
verschiedenen Gruppen. Im Resultat seien die Planungen für die Variante 12h | |
im Randbereich des Denkmals immer weiter optimiert worden. „Die Variante | |
12h rückt so weit wie möglich vom Denkmal ab.“ | |
Kelly Laubinger ist eine von den Vertreter*innen aus der Community, die | |
der Kultursenator und die Verkehrssenatorin im September zum Gespräch | |
eingeladen hatten. [6][Sie ist Vorsitzende der Bundesvereinigung Sinti und | |
Roma]. In deren Namen fordert auch sie die vollständige Unantastbarkeit des | |
Denkmals. „Es kam mir vor, als ob sie über eine Rutsche auf einem | |
Spielplatz sprechen“, sagt sie über das Gespräch. „Das war sehr | |
schmerzhaft, das so zu hören.“ Der Kultursenator habe sich über die | |
verschiedenen Vertreter*innen gewundert. „Er dachte, der Zentralrat | |
spricht für alle“, sagt Laubinger. „Ich habe erstmal erklärt, wie viele | |
verschiedene Gruppen es gibt und dass die meisten gar nicht im Zentralrat | |
organisiert sind.“ | |
Alles in allem gebe es knapp 130 Selbstorganisationen und Initiativen aus | |
der Sinti- und Roma-Community. Etwa 20 von ihnen seien im Zentralrat der | |
Sinti und Roma organisiert, ebenfalls 20 in der 2021 gegründeten | |
Bundesvereinigung. 11 seien [7][Mitglied in der Sinti-Allianz]. „Die | |
meisten Gruppen sind also gar nicht Teil von einem Dachverband“, sagt | |
Laubinger. „Wir sind sehr divers, und das ist auch gut so: Wir brauchen | |
noch mehr Stimmen, die sich öffentlich äußern.“ | |
Das Problem sei, dass der Zentralrat oft von der Politik als alleiniger | |
Vertreter der Sinti und Roma angesehen werde – und auch so auftrete. Der | |
Vorsitzende des Zentralrats, Romani Rose, hatte sich nach anfänglichem | |
Protest [8][gegenüber der Politik kompromissbereit gezeigt]. Die | |
Bundesvereinigung gründete sich daraufhin auch mit dem Ziel, das Denkmal zu | |
schützen. „Der Zentralrat ist nicht demokratisch legitimiert, im Namen | |
aller Sinti und Roma zu sprechen. Es ist ein Verein, und der spricht eben | |
auch nur für seine Mitglieder“, sagt Laubinger. „Das muss man aushalten.“ | |
## Miteinander sprechen, ohne zuzuhören | |
Dass Berlin sich mit der Bahn nun auf die 12h-Variante geeinigt habe, das | |
habe sie aus der Presse erfahren, so Laubinger. „Ich bin darüber sehr | |
wütend“, sagt sie. „Das Denkmal ist unser Ort. [9][Nicht jede*r hat die | |
Kraft, eine KZ-Gedenkstätte zu besuchen]. Aber hier kommen Menschen hin, um | |
zu erinnern und zu trauern.“ Letztlich bleibe das Gefühl, dass die Politik | |
zwar das Gespräch suche, [10][aber am Ende nicht wirklich zuhöre]. | |
„Das Mahnmal ist keine reine Berliner Angelegenheit“, betont | |
Roxanna-Lorraine Witt. Es sei international für alle Sinti und Roma. Für | |
viele habe es die Bedeutung einer Grabstätte für diejenigen, die in den KZs | |
umkamen und nie beerdigt werden konnten. „Es darf nicht angetastet werden.“ | |
Gerade in Zeiten, in denen die Rechte erstarke, sei das wichtig. „Wenn sie | |
schon unser Denkmal nicht schützen, werden sie sich dann für uns einsetzen, | |
wenn wir es brauchen?“, fragt sie. | |
So wie andere Initiativen erhielten sie derzeit Anrufe von verängstigten | |
Sinte*zze und Rom*nja mit Fragen und Gedanken zu Widerstand und Flucht. | |
Witt erinnert daran, dass der Künstler Dani Karavan mehrmals gesagt hatte, | |
er würde das [11][Denkmal zur Not mit seinem eigenen Körper] schützen. | |
„Auch wir werden uns an Bäume ketten und weiter protestieren, wenn die | |
Politik und die Bahn an den Plänen festhalten“, sagt Witt. | |
8 Apr 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Denkmal-fuer-ermordete-Sinti-und-Roma/!5977942 | |
[2] /Angriff-auf-Gedenken/!5969451 | |
[3] https://romatrial.org/aktuell/rettet-das-denkmal-fuer-die-ermordeten-sinti-… | |
[4] /50-Jahre-Roma-Emanzipationsbewegung/!5759110 | |
[5] https://save-sinti-roma-memorial.org/rettet-das-berliner-denkmal-fuer-die-e… | |
[6] /Kelly-Laubinger-ueber-Diskriminierung/!5972181 | |
[7] /Sinti-und-Roma-Verbaende-einigen-sich/!5947150 | |
[8] https://zentralrat.sintiundroma.de/stellungnahme-des-zentralrats-zur-geplan… | |
[9] /Historiker-ueber-Deportationen-im-Norden/!5876226 | |
[10] /Antiziganismusbeauftragter-ueber-sein-Amt/!5840059 | |
[11] /Angriff-auf-Gedenken/!5969451 | |
## AUTOREN | |
Uta Schleiermacher | |
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