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# taz.de -- Sicherheitsgesetze in der Türkei: Auf dem Weg zum Polizeistaat
> Das Demonstrationsrecht wird in der Türkei faktisch abgeschafft.
> Gleichzeitig werden die Möglichkeiten der Internetzensur ausgebaut.
Bild: Auch ohne Gesetzesänderung zeigt sich die türkische Polizei nicht sonde…
ISTANBUL taz | In der Nacht von Donnerstag auf Freitag hat das türkische
Parlament zwei Gesetze verabschiedet, die das Land nach Auffassung der
Opposition einen entscheidenden Schritt näher an einen autoritären
Polizeistaat bringt.
Nach mehrwöchigen heftigen, teils mit den Fäusten ausgetragenen
Auseinandersetzungen im Parlament, wurde in den frühen Morgenstunden des
Freitag ein sogenanntes neues Sicherheitsgesetz verabschiedet. Noch nie in
dieser Legislaturperiode hat sich die gesamte Opposition, angefangen von
den Ultranationalisten der MHP bis zur kurdischen HDP so vehement gegen die
Verabschiedung eines Gesetzes gewehrt, wie gegen dieses Sicherheitsgesetz.
Die jetzt verabschiedete Neuregelung erweitert die Befugnisse der Polizei,
insbesondere bei Demonstrationen, so erheblich, dass etliche Abgeordnete
von der de facto Abschaffung des Demonstrationsrechts sprechen. Zukünftig
darf die Polizei bei Demonstrationen scharf schießen, jedwede Vermummung,
insbesondere bei Tränengaseinsatz ist illegal.
Festgenommene Demonstranten können von der Polizei 48 Stunden festgehalten
werden, ohne Kontakt mit einem Anwalt und ohne einem Haftrichter vorgeführt
zu werden. Eine ähnliche Regelung in der Zeit nach dem Putsch 1980, hatte
dazu geführt, dass insbesondere während dieser Polizeihaft häufig brutal
gefoltert worden war.
## Mehr Macht für Gouverneure
Die bisher dem Militär zugeordnete Gendarmerie wird zukünftig dem
Innenministerium unterstellt und kann nun ebenfalls gegen Demonstranten
eingesetzt werden. Die von der Regierung eingesetzten Provinzgouverneure
können zukünftig eigenmächtig den Notstand in ihrer Provinz ausrufen und so
jede öffentliche Versammlung unterbinden.
Das Gesetz ist eine Konsequenz aus den Gezi-Protesten im Sommer 2013, zielt
aber auch auf die Unterdrückung von Demonstrationen in den kurdischen
Gebieten, wo es zuletzt im Oktober letzten Jahres anlässlich der Kämpfe im
syrischen Kobani zu heftigen Auseinandersetzungen mit mehr als zehn
Todesopfern gekommen war.
Um die Gespräche mit der PKK nicht über Gebühr zu belasten, hatte die
Regierung die Verabschiedung des Gesetzes Ende Februar verschoben und es
erneut in den zuständigen Ausschuss des Parlaments überwiesen. Nachdem der
inhaftierte PKK-Führer Abdullah Öcalan aber nun zum kurdischen Neujahrsfest
Newroz am 21. März wunschgemäß die PKK aufgefordert hat, den bewaffneten
Kampf gegen den türkischen Staat einzustellen, wurde das Gesetz nun ohne
weitere Änderungen verabschiedet.
## Kontrolle im Netz
Das zweite am frühen Freitagmorgen verabschiedete Gesetz betrifft die
Kontrolle des Internet. Seit das Fernsehen und die Printmedien weitgehend
von der Regierung kontrolliert werden, weichen immer mehr Menschen in der
Türkei auf das Internet aus, um sich informieren. Das hat bereits zu
etlichen Versuchen der Regierung geführt, auch die Kontrolle auf das
Internet auszudehnen, was aber bislang regelmäßig vor dem obersten
türkischen Gericht gescheitert war.
Das Parlament hat nun entschieden, dass die Regierung ermächtigt wird,
Websites sofort und ohne richterlichen Beschluss eigenmächtig zu sperren.
Eine juristische Überprüfung soll dann erst später erfolgen.
Beide Gesetze werden von der Opposition sicher vor das Verfassungsgericht
gebracht. Allerdings ist die Erfolgsaussicht seit einigen Wochen wesentlich
geringer als zuvor, weil der kritische Präsident des Gerichts in den
Ruhestand gegangen ist und durch einen Anhänger Erdogans ersetzt wurde.
27 Mar 2015
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Internetzensur
Schwerpunkt Polizeigewalt und Rassismus
Gezi-Park
Demonstrationsrecht
Recep Tayyip Erdoğan
Schwerpunkt Türkei
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