| # taz.de -- Serienkolumne Die Couchreporter: Rückkehr in die Krimi-Provinz | |
| > Voll 90er? Von wegen! „Twin Peaks“ fesselt auch 27 Jahre nach Serienstart | |
| > an den Bildschirm. Am Donnerstag geht die dritte Staffel los. | |
| Bild: Neues aus Twin Peaks: Agent Dale Cooper ermittelt wieder | |
| Auch nicht schön: Während wir in den letzten 27 Jahren erwachsen und weise | |
| wurden, Handys und Kinder horteten, das Internet an- und das lineare | |
| Fernsehen ausknipsten, saß Agent Dale Cooper mit Menschen, deren Sprache | |
| rückwärts aufgenommen und vorwärts abgespielt wurde, im roten Raum fest. | |
| Laura Palmer, das „Twin Peaks“-Mordopfer, prophezeite ihm dort einst, dass | |
| es irgendwann weitergehen würde. Und das tut es jetzt. | |
| David Lynchs psychedelisches Serienexperiment von 1990 hat es nach | |
| Budgetproblemen und transzendentalen Abschweifungen des Regisseurs in die | |
| Moderne geschafft. Und muss nun mit den vielen visuell außerordentlichen | |
| und erzählerisch mutigen Serien darum konkurrieren, nicht aus | |
| Peak-TV-Gründen einfach hintüber zu fallen. | |
| Denn Kleinstadtmorde, skurrile ErmittlerInnen und visuelle Wildheit gibt’s | |
| im überfüllten Serienuniversum galore: „Top Of The Lake“. „Fargo“. | |
| „Sherlock“. „Lost“. Bin gestern Abend trotzdem wieder in Twin Peaks und | |
| Umgebung hängengeblieben. Vielleicht nur, weil ich es so gern wollte, aber | |
| man kann sich Lynchs entschleunigten, mit brummenden Raumatmos aufgeladenen | |
| Bildern eben schwer entziehen. | |
| Dazu beschert die dritte Staffel das, was auch die ersten beiden boten: | |
| fast das gesamte Originalpersonal (Kyle McLachlan als Cooper, Lynch als | |
| schwerhöriger, schreiender Commander Cole, Sheryl Lee als Laura Palmer, | |
| David Duchowny als FBI-Agentin Denise Bryson), allerdings hat Lynch sich | |
| für eine komplett erratische Erzählweise entschieden. Und lässt seine | |
| Protagonisten mal auf- und mal wieder abtauchen, bis man sie nach ein paar | |
| Folgen fast vergessen hat und sich erschreckt, wenn sie wiederkommen. | |
| ## Alternde Männer und halbnackte Frauen | |
| Wenn man sich jedoch darauf einlässt, nicht die logische Weiterführung der | |
| Sub- und Hauptplots sucht, sondern sich einfach auf ein neues Erlebnis mit | |
| Lynchs Fantasie freut, macht das Spaß. Allerdings war mir früher aus | |
| jugendlich-mangelnder Sensibilität gegenüber dem Thema nicht aufgefallen, | |
| wie stark der 71-Jährige trotz seines Einfallsreichtums in den klischierten | |
| Strukturen des Business festhängt: Alternde Männer (Cooper, Cole, Deputy | |
| Chief Hawk) handeln, junge, halbnackte Frauen werden misshandelt. | |
| Das alles begleiten weitere Randfiguren – zum Glück wirklich tolle wie die | |
| tüddelige Hundebesitzerin, die in der ersten Folge den grausamen Tod einer | |
| Nachbarin meldet, aber sich am Telefon nicht an die eigene Adresse erinnern | |
| kann. Oder der Sohn der piepsigen Polizeisekretärin Lucy Moran, der Wally | |
| Brando heißt und auch so aussieht: wie eine „Twin Peaks“-Version von Brando | |
| in „The Wild One“, Mütze und Motorbike stimmen, der Rest ist mickrig. | |
| Fast trotzig erscheint Lynchs Weigerung, sich gewohnten horizontalen | |
| Erzählstrukturen (Cliffhanger am Ende der Episode, sinnvolle Verteilung der | |
| verschiedenen Parallelstränge) zu beugen. Lynch hat sich stattdessen | |
| größtmögliche Freiheiten ausgebeten, zu der auch die Freiheit der Redundanz | |
| gehört: Vor allem Cooper, der nach dem als ewiges, surreales | |
| 80er-Jahre-Trick-Video ausgespielten Entkommen aus der merkwürdigen | |
| Zwischenzeit und eine Reise durch die Stromleitungen (übrigens ein | |
| klassisches Bild aus den Wahnvorstellungen von ParanoikerInnen, die sich | |
| von Wellen aus Stromleitungen bedroht fühlen) wie ein Zombie durch Las | |
| Vegas läuft, lässt Lynch alle Zeit der Welt und inszeniert ihn mit großen | |
| Pausen wieder und wieder in ähnlichen, statischen Situationen. | |
| ## Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs | |
| Lynch scheint es nicht um Binge-Fesseln zu gehen, sondern um das Wecken der | |
| Neugier durch Überraschung. Er sieht seine Serie nicht als | |
| Aneinanderreihung von 18 Folgen, sondern als einen einzigen, langen, in | |
| Teilen altmodischen, aber unberechenbaren Film, für den man entweder das | |
| Sitzfleisch mitbringt oder mit der Anmutung leben muss, die | |
| Aufmerksamkeitsspanne eines Goldfischs zu haben. | |
| Wieso zum Beispiel der grausame Mord an einer Büchereiangestellten in South | |
| Dakota, der in der ersten Folge wie ein Startschuss wirkt, in den weiteren | |
| Folgen kaum noch thematisiert wird, könnte ein Hinweis darauf sein, dass | |
| wir uns gefälligst zu gedulden haben. Oder ein Reality Check: In | |
| Wirklichkeit arbeitet die Polizei schließlich auch langsam. Immerhin ist | |
| sie (hoffentlich) technisch up to date. Und kippt nicht gleich wie Moran | |
| vom Stuhl, weil jemand mit einem Handy telefoniert. | |
| 24 May 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Jenni Zylka | |
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