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# taz.de -- Serie über Journalismus und Mafia: Das Wort, das es nicht gibt
> Die Serie „L'Ora“ erzählt die Geschichte der gleichnamigen
> Antimafiazeitung aus Palermo. Sie erinnert daran, was Journalismus kann
> und was er kostet.
Bild: Sizilien, 1958: „L'Ora“-Chefredakteur Nicastro macht eine Ansage
Es ist kein ganz unblutiger Witz, dass eine Produktion der Firma Mediaset
über eine Antimafiazeitung ausgerechnet in dem Moment auf den
internationalen Markt kommt, da sich der Mediaset-Eigner anschickt,
Staatspräsident Italiens zu werden.
[1][Über Silvio Berlusconis] Verbindungen zum Mob, die einen Höhepunkt in
der Verurteilung seines engsten Vertrauten Marcello dell'Utri wegen aktiver
Unterstützung der [2][sizilianischen Cosa Nostra erlebte], sind viele
Seiten beschrieben und viele Filmrollen belichtet worden. Gebracht hat es,
in einem konkret politischen Sinn, nichts. Berlusconi wird nicht deswegen
nicht das höchste Amt in Italien ergattern, weil er mit der Mafia
verbandelt war, dieses Thema spielt überhaupt keine Rolle in der
italienischen Öffentlichkeit.
Die Mafia gilt nicht mehr als politisches Problem, sondern als eines der
öffentlichen Ordnung, um das sich der Staat eben recht und schlecht kümmert
– ganz ähnlich wie die Behörden hierzulande über Jahrzehnte den
Rechtsextremismus behandelt haben, bis seine terroristische Seite nicht
mehr länger zu leugnen war.
Mit der Geschichte der Tageszeitung L'Ora (Die Stunde) aus Palermo tauchen
wir in die [3][heroischen Zeiten der Antimafia] ein, der
Eine-gegen-alle-Epoche. Mitte der 1950er Jahre wird Vittorio Nisticò (in
der Serie als Antonio Nicastro) zum Chefredakteur der im Eigentum der
kommunistischen Partei Italiens befindlichen Zeitung. Er macht aus dem
betulichen Funktionärsblättchen ein unabhängiges linkes Organ, ein
Vorgehen, das einem nicht unzeitgemäß vorkommt.
## Kammerspiel in der Redaktion
Von nun an spricht L'Ora aus, wovon niemand spricht: Das Wort Mafia, das es
offiziell nicht gibt, das aber für ein System von Politik, Wirtschaft und
Staat steht, welches Sizilien und seine Hauptstadt fest im Griff hat. Wie
der Neofaschismus im Norden die Industriearbeiterbewegung einschüchtern
soll, so übernimmt die Mafia im Süden die Drecksarbeit gegenüber dem
ländlichen Proletariat, meist im Bündnis mit der Polizei.
Die Redaktion muss für ihren Mut einen hohen Preis bezahlen, das
Bombenattentat der Mafia auf das Redaktionsgebäude vom 19. Oktober 1958
eröffnet die 10-teilige Serie. Leider ist gerade diese Exposition
schrecklich langatmig geraten und es bedarf einigen guten Willens, der
Serie nach Folge 1 noch eine Chance zu geben. Das liegt nicht zuletzt
daran, dass ein beträchtlicher Teil der Geschichte als Kammerspiel in der
Redaktion abgebildet wird.
Der Doyen des Antimafiajournalismus in Italien, Attilio Bolzoni, begann
seine Karriere Ende der 70er Jahre bei L'Ora und beschrieb diesen Raum in
einem Gedenkartikel als im Sommer glühend heißen, im Winter eiskalten
Wartesaal. Hier habe er sein Handwerk gelernt, aber gerade dieses
journalistische Handwerk ist filmisch nicht einfach abzubilden. Dazu kommt
die in Italien nicht unübliche Unart der folkloristischen Betonung alles
Sizilianischen, nicht zuletzt durch die Musik – ganz so als müsste in einem
Film über Bayern ständig gejodelt werden.
Die Serie gewinnt aber mit der Zeit an Rhythmus und Spannung und hat einen
starken Cast, angeführt von Claudio Santamaria als Chefredakteur Nicastro
(wer Santamaria nicht kennt, sollte sich auf Netflix den Film „Vergib uns
unsere Schuld“ ansehen – danach vergisst man sein Gesicht nicht mehr) und
Silvia D’Amico. Zeitgemäß fokussiert die Serie nicht ausschließlich auf die
männlichen Protagonisten, sondern gibt auch den Schauspielerinnen Material,
ihre Charaktere zu entwickeln.
Mit der weltberühmten Journalistin und Fotografin Letizia Battaglia gibt
die Geschichte von L'Ora das auch ganz konkret her. Und es ist gut, daran
zu erinnern, was Journalismus kann, was er diejenigen, die ihn machen, ganz
konkret kostet und was eine Gesellschaft riskiert, wenn niemand den Mut
aufbringt, ihr den Spiegel vorzuhalten.
18 Jan 2022
## LINKS
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## AUTOREN
Ambros Waibel
## TAGS
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