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# taz.de -- Berlusconi und die Präsidentschaftswahl: In Italien lacht niemand
> Silvio Berlusconi möchte sich ab Montag zum Staatspräsidenten Italiens
> wählen lassen. Das gilt als unwahrscheinlich, doch ein Sieg ist es
> trotzdem.
Bild: Da war er noch fresh: Berlusconi 1984 in Tunesien
Rom taz | Ein sehr alter, sehr kranker Mann – das ist Silvio Berlusconi
heute, wenigstens auf den ersten Blick. Ständig war der 1936 Geborene im
vergangenen Jahr im Krankenhaus, laborierte angeblich an Long Covid,
nachdem er sich im 2020 das Virus eingefangen hatte. Es wäre ein guter
Grund für den 85-Jährigen, sich nur noch um die 15 Enkel und den einen
Urenkel zu kümmern und ansonsten den Lebensabend zu genießen.
Aber dann gibt es da auch noch einen ganz anderen Silvio Berlusconi. Und
diesem Doppelgänger geht es blendend. Er musste bloß immer dann ins
Krankenhaus, wenn gerade mal wieder ein Prozesstermin in Mailand oder in
Siena gegen ihn anstand. Jener Berlusconi denkt gar nicht daran, sich zur
Ruhe zu setzen. Im Gegenteil – nichts weniger als Italiens Staatspräsident
will er jetzt werden, inthronisiert von der Wahlversammlung, die am 24.
Januar in Rom zusammentritt.
Eigentlich wäre Berlusconis Versuch ein Schenkelklopfer, doch in Italien
lacht niemand. Seit Wochen diskutiert die Presse ernsthaft seine
Wahlchancen, und am letzten Freitag trugen die in Berlusconis römischem
Wohnsitz „Villa Grande“ versammelten Parteichef*innen des
Mitte-rechts-Lagers ihm offiziell die Kandidatur an. [1][Matteo Salvini,
Chef der Lega,] Giorgia Meloni, Vorsitzende der postfaschistischen Fratelli
d’Italia, und diverse andere Anführer von konservativen Kleinparteien
befinden, Berlusconi habe einfach „die Autorität und die Erfahrung, die das
Land verdient und die die Italiener erwarten“.
Erfahrung bringt der Mann gewiss mit, aus seinem ersten Leben erst als
Bauunternehmer und dann als [2][größter Medientycoon des Landes],
anschließend aus seinem Leben als Politiker, der 1994 die Partei Forza
Italia gründete, die Parlamentswahlen gewann und erstmals Ministerpräsident
wurde.
## Offene Fragen
Im Detail jedoch interessiert jener reiche Erfahrungsschatz Italiens Medien
kaum. Ungeklärt ist bis heute die Frage, warum genau der junge
Bauunternehmer seit 1973 in seiner Villa vor den Toren Mailands für gut
zwei Jahre den Mafiaboss Vittorio Mangano beherbergte, angeblich als
„Stallknecht“. Ebenfalls ungeklärt ist, woher die Hunderte von Millionen
Euro stammten, mit denen Berlusconi erst seine Bauprojekte, dann seine
Expansion im Privat-TV-Markt so wie in den Printmedien finanzierte und die
er bar im Diplomatenköfferchen in die Bank trug.
Klar dagegen ist, dass der damalige aufstrebende Mailänder Unternehmer in
den 70er und 80er Jahren hervorragenden Schutz genoss. Schutz von der
Freimaurer-Geheimloge P2, in die er sich eingeschrieben hatte und die ihm
mit großzügigen Krediten aus von ihren Mitgliedern kontrollierten Banken
zur Seite stand. Schutz von Politikern wie Sozialistenchef Bettino Craxi,
die ihm mit maßgeschneiderten Mediengesetzen gestatteten, ein Quasimonopol
im privaten TV-Markt Italiens zu errichten.
1994 sattelte er notgedrungen plötzlich zur Politik um. Berlusconi waren
plötzlich seine politischen Paten abhandengekommen, denn ausgedehnte
Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft Mailands hatten zum
Zusammenbruch von Craxis Sozialistischer Partei und der Christdemokraten
geführt – und die Linke drohte die Wahlen zu gewinnen. Wenn Berlusconi
nicht in die Politik gegangen wäre, „schliefen wir heute unter Brücken oder
säßen im Gefängnis“, sagte einer seiner wichtigsten Manager.
Denn es drohten neue, schärfere Mediengesetze, es drohten Ermittlungen
wegen illegaler Parteispenden, es drohte die Fälligstellung der Kredite der
mit damals umgerechnet vier Milliarden D-Mark heillos überschuldeten
Medienholding.
## Ein Spalter
Von einem Tag auf den anderen zog Berlusconi seine Partei Forza Italia
hoch, aus dem Stand gewann er an der Spitze einer Allianz mit der
rechtspopulistischen Lega Nord und der postfaschistischen Alleanza
Nazionale die Wahlen, regierte 1994, dann in den Jahren 2001 bis 2006 und
2008 bis 2011.
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass er jetzt seine politische
Laufbahn mit der Wahl zum Staatspräsidenten, sprich zum Repräsentanten der
„Einheit der Nation“ – so die Verfassung – krönen will.
Denn vor allem spaltete er das Land. Lange vor Donald Trump oder Nigel
Farage spielte er auf der rechtspopulistischen Klaviatur, hetzte gegen die
„Roten“, die „Kommunisten“, die Italien angeblich in eine Diktatur
verwandeln wollten, gegen „die roten Roben“ auch, jene Staatsanwälte, die
ihm aus vorgeblich politischen Gründen nachstellten, mit unzähligen
Verfahren wegen illegaler Parteienfinanzierung, Korruption, Bilanzfälschung
und auch wegen seiner Mafiakontakte, später dann wegen Stimmenkaufs im
Parlament, als er einen Senator des Mitte-links-Lagers mit der Zahlung von
drei Millionen Euro zum Seitenwechsel bewegte.
An den für ihn wichtigen Fronten nutzte er seine neue Rolle als Politiker
kreativ, bastelte sich ein passendes Mediengesetz, grätschte mit
zahlreichen „Reformen“ immer wieder der Justiz rein, zum Beispiel mit der
Herabstufung von Bilanzfälschung von einer Straftat zu einem bloß mit
Bußgeld bestraften Vergehen oder mit der Verkürzung von Verjährungsfristen.
Millionen Menschen demonstrierten gegen seine Politik, doch er machte
ungerührt weiter.
Das Gros seiner Prozesse endete denn auch mit Freisprüchen nicht wegen
Unschuld des Angeklagten, sondern wegen Verjährung. Dennoch könnte
Berlusconi, sollte er am Ende zum Staatsoberhaupt gewählt werden, ein
Primat beanspruchen: Er wäre der erste vorbestrafte Präsident Italiens.
2013 nämlich wurde er wegen Steuerbetrugs zu vier Jahren Haft verurteilt.
Die musste er zwar nie absitzen, kam er doch mit einem Jahr Sozialdienst
davon, der darin bestand, dass er einmal pro Woche in einem Altenheim
Alzheimer-Patient*innen betreuen musste.
## Prozess wegen Amtsmissbrauch
Doch die politische Karriere schien definitiv vorbei, Berlusconi verlor
seinen Sitz im Senat, wurde mit Schimpf und Schande aus dem Parlament
gejagt. Und dann gab es auch noch den Skandal, der als Rubygate
Schlagzeilen machte. Die damals noch minderjährige Karima El-Mahroug, die
unter dem Künstlernamen Ruby Rubacuori arbeitete, soll mehrmals in
Berlusconis Mailänder Villa bei Orgien zu Gast gewesen sein.
Der Fall war Anlass für einen Prozess gegen Berlusconi wegen Amtsmissbrauch
und [3][Förderung der Prostitution mit Minderjährigen]. Letztlich wurde er
freigesprochen, doch bis heute laufen in Bari, Mailand und Siena noch
Prozesse wegen Zeugenbestechung, weil er diverse junge Frauen geschmiert
haben soll, damit sie dichthalten.
Berlusconi aber dachte gar nicht daran, sich aus der Politik
zurückzuziehen, sondern setzte auf die in Italien ausgeprägte Bereitschaft
zum Vergeben und Vergessen. Sein Rechtsblock kommt in der Wahlversammlung
auf etwa 450 der 1.008 Stimmen, den Rest will er offensiv bei
Unentschlossenen einsammeln, mit großzügigen Versprechen ebenso wie mit
Geschenken, zum Beispiel Bildern aus seiner privaten Gemäldesammlung. Würde
er tatsächlich gewählt, so würde für ihn ein Traum wahr: Denn künftig
müssten in Zukunft alle Richter*innen und Staatsanwält*innen Italien
sein Konterfei in ihren Amtsstuben hängen haben.
Noch gilt seine Wahl als eher unwahrscheinlich, doch gewonnen hat
Berlusconi schon jetzt – durch die Tatsache allein, dass ein ganzes Land
seine Kandidatur völlig ernsthaft diskutiert, statt in Gelächter
auszubrechen. Das nennt man wohl gelungene Resozialisierung.
20 Jan 2022
## LINKS
[1] /Matteo-Salvini-droht-Haftstrafe/!5806599
[2] /Serie-ueber-Journalismus-und-Mafia/!5828708
[3] /Prozess-gegen-Silvio-Berlusconi/!5126650
## AUTOREN
Michael Braun
## TAGS
Italien
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