# taz.de -- Wahl zum Staatspräsidenten in Italien: Berlusconi wirft hin | |
> Ab morgen wird gewählt. Doch noch am Vortag ist völlig unklar, wer | |
> gewinnen könnte. Nur Berlusconi hatte sich offiziell zum Kandidaten | |
> erklärt | |
Bild: Sein letzter Coup ist ausgefallen: Berlusconi gibt vor der Präsidentenwa… | |
ROM taz | Am Montag um 15 Uhr tritt im Abgeordnetenhaus in Rom die | |
Wahlversammlung zusammen, um den neuen Staatspräsidenten zu küren. 1.009 | |
Wahlleute – 630 Abgeordnete, 321 Senator*innen, 58 Delegierte der Regionen | |
– sind aufgerufen, den Nachfolger des bisherigen Staatsoberhaupts Sergio | |
Mattarella zu bestimmen. | |
Doch noch am Sonntag war völlig unklar, wer am Ende siegen würde. Ist | |
Ministerpräsident Mario Draghi wirklich der Favorit, als der er in den | |
Medien gehandelt wird? Lässt sich Mattarella womöglich doch noch zum | |
Weitermachen überreden, sodass Italiens Stabilität mit dem unverändert | |
weiterarbeitenden Team Mattarella-Draghi keine Gefahr droht? Oder wird am | |
Ende ein ganz anderer das Rennen machen, vielleicht sogar – erstmals in | |
Italiens Geschichte – eine Frau wie die Senatsvorsitzende Maria Elisabetta | |
Casellati? | |
Stolze sieben Seiten widmet La Repubblica in ihrer Sonntagsausgabe dem | |
Thema, sieben Seiten ebenfalls der Corriere della Sera. Doch auch die | |
beiden größten Tageszeitungen des Landes bieten keine Antworten. Nur eine | |
Tatsache wissen sie sicher zu berichten: Silvio Berlusconi ist nicht mehr | |
im Rennen. | |
Er war der bisher einzige, [1][der offiziell seine Kandidatur angemeldet | |
hatte], doch am Samstag warf er das Handtuch. Ausgerechnet der 85-Jährige, | |
der weltweit wegen seiner Vorstrafe als Steuerbetrüger und [2][wegen seiner | |
Sexskandale] in Erinnerung geblieben ist, hatte sich den Wahlleuten und dem | |
Land als Stabilitätsanker verkaufen wollen. | |
## Berlusconi hat begriffen, dass ihm die Stimmen fehlen | |
Medienberichten zufolge hatten ihm Familienmitglieder geraten, auch wegen | |
seiner Gesundheit einen Schritt zurück zu machen. Nach einer Herzoperation | |
2016 und einer Corona-Infektion 2020 ist der 85-Jährige regelmäßig in | |
ärztlicher Behandlung. Vor allem hat Berlusconi begriffen, dass ihm die | |
notwendigen Stimmen fehlen. | |
Nur auf etwa 450 von 1.009 Stimmen kommt nämlich der Rechtsblock aus | |
Berlusconis Forza Italia, aus Matteo Salvinis Lega, aus den | |
postfaschistischen Fratelli d’Italia (Brüder Italiens) unter Giorgia Meloni | |
und diversen kleinen Parteien der rechten Mitte. Salvini beansprucht nach | |
Berlusconis Rückzug jetzt dennoch ein Vorschlagsrecht für das Rechtslager, | |
das „im Land und in der Wahlversammlung“ die Mehrheit habe. | |
Dies stimmt schlicht nicht: Auch das Lager der Mitte-links-Parteien | |
bestehend aus dem Moviemnto5Stelle (M5S – 5-Sterne-Bewegung), aus der | |
gemäßigt linken Partito Democratico (PD), aus Matteo Renzis Kleinpartei | |
Italia Viva und der radikal linken Liste Liberi e Uguali (LeU – Freie und | |
Gleiche) kommt auf etwa 460 Wahlleute. | |
Die Wahrheit ist, dass keines der politischen Lager in Italien eine eigene | |
Mehrheit hat. Außerdem sind 100 Wahlmänner und –frauen, vorneweg ehemalige | |
Mitglieder des M5S, parteilos. Aus eben diesem Grund regiert Mario Draghi | |
seit Februar vergangenen Jahres an der Spitze eine Notstandskoalition, die | |
sich auf fast alle Parteien von links bis rechts, von der Lega bis zur LeU | |
stützt. | |
Und aus eben diesem Grund fürchten viele Parlamentarier*innen die | |
Wahl Draghis zum Staatspräsidenten: Mit dem dann automatisch erfolgenden | |
Ende seiner Regierung droht auch das vorgezogene Ende der | |
Legislaturperiode. Eine Horrorvorstellung für viele Volksvertreter*innen, | |
denn das nächste Parlament wird deutlich kleiner sein: Nur noch 400 statt | |
630 Abgeordnete, nur noch 200 statt 315 Senator*innen wird es zählen. | |
Schlimmer noch für sie: Jene Volksvertreter*innen, die 2018 zum ersten Mal | |
gewählt wurden, können nur dann Pensionsansprüche geltend machen, wenn das | |
gegenwärtige Parlament bis zum Oktober 2022 überlebt. | |
## Ab Montag wird gewählt | |
Über die politisch-ideologischen Lagergrenzen hinweg arbeitet deshalb das | |
Gros der Parteiführer*innen jetzt in Hinterzimmertreffen und | |
Telefonaten hektisch an einer Paketlösung, an deren Ende nicht nur der Name | |
des neuen Präsidenten, sondern auch die Formel für die kommende Regierung | |
stehen soll. Sofortige Neuwahlen will eigentlich nur Giorgia Meloni, die | |
sich für ihre Fratelli d’Italia kräftige Stimmengewinne erhofft. | |
Nur mit einer solchen Paketlösung nämlich lassen sich die Parteien sowie | |
ihre Allianzen auf der Rechten wie der Linken zusammenhalten. Das kann auf | |
Draghi als neuen Präsidenten hinauslaufen, wenn sich die Parteien zugleich | |
auf seine*n Nachfolger*in als Regierungschef*in einigen, es kann | |
aber auch zur Wahl einer dritten, breit akzeptierten Person führen, unter | |
der dann Draghi als Regierungschef Italiens weiterzumachen bereit wäre. | |
Ob und wenn ja, wann eine solche Lösung zustande kommt, weiß allerdings | |
niemand. Sicher ist nur: Ab Montag wird gewählt, und in den ersten drei | |
Wahlgängen bis zum Mittwoch bedarf es der Zweidrittelmehrheit von 673 | |
Stimmen. In den weiteren Wahlgängen ab Donnerstag genügt die absolute | |
Mehrheit von 505 Wahlleuten. | |
Und sicher ist ebenfalls, dass auch die etwa 30 covidpositiven Wahlleute | |
mitwählen können. Für sie ist ein Drive-in auf dem Parkplatz des | |
Abgeordnetenhauses eingerichtet. | |
23 Jan 2022 | |
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## AUTOREN | |
Michael Braun | |
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