# taz.de -- Schnitzlers „Traumnovelle“ in Frankfurt: Von der Einsamkeit der… | |
> Theaterregisseur Sebastian Hartmann inszeniert Schnitzlers „Traumnovelle“ | |
> in Frankfurt. Das ist weniger von Lust als von Endzeitstimmung getrieben. | |
Bild: Schick in Anzug und Glitzerkleidern: Das Ensemble der „Traumnovelle“ | |
Wer den [1][Inszenierungsstil von Sebastian Hartmann] beschreiben möchte, | |
findet in Arthur Schnitzlers „Traumnovelle“ das passende Vokabular: | |
gespensterhaft unwirklich, trunken, delirierend, traumverloren. Das | |
Traumhafte charakterisiert Hartmanns Arbeiten. Auch diesmal stellt er Edgar | |
Allan Poes „All that we see or seem is but a dream within a dream“ als | |
Motto voran. | |
Schnitzlers Erzählung „Traumnovelle“ scheint ohnehin wie gemacht für | |
diesen Regisseur. Die riesige Drehbühne des Frankfurter Schauspielhauses | |
verwandelt er in einen Traumbunker, der unser Unterbewusstsein schluckt wie | |
Müll. In der Mitte eine Kiesgrube, in die eine Traverse mit einer Art | |
Messer daran Muster schneidet. Ein ebenso düsterer wie verlockender | |
Zen-Garten, in dem die Figuren später baden wie in einem Sündenpfuhl. | |
Schnitzler erzählt in seiner Novelle vom Arzt Fridolin und seiner Gattin | |
Albertine, deren Ehe auf Sand läuft. Erst offenbaren sie sich ihre geheimen | |
Gelüste, dann erlebt er eine obskure Nacht an der Schnittstelle von Traum | |
und Wirklichkeit. Mittlerweile ist das Ganze als Film bekannter durch | |
Stanley Kubricks „Eyes Wide Shut“. | |
## Keine klare Rollenverteilung, alle spielen alles | |
Hartmann nähert sich Schnitzler in konzentrischen Kreisen. Dass der | |
Begierde die Gier eingeschrieben ist, lehren Kubrick wie Schnitzler. Wie | |
immer erzählt Hartmann keine chronologisch geordnete Geschichte, nimmt | |
keine klare Rollenverteilung vor, alle spielen alles, und der Gang der | |
Handlung folgt einer Traumlogik. | |
Bei Schnitzler sagt Albertine einmal über ihre Träume: „In Worten lassen | |
sich diese Dinge eigentlich kaum ausdrücken.“ Wohl wahr. In Frankfurt | |
tragen die Männer Frack und Zylinder, die Frauen erscheinen als glitzernde | |
Fabelwesen. Kostümbildnerin Adriana Braga Peretzki hat sie richtig Schale | |
geworfen. | |
Die Schauspielerin Heidi Ecks etwa sieht aus wie ein zarter Schmetterling. | |
Wie überhaupt Verpuppungen an diesem Abend eine zentrale Rolle spielen. Das | |
neunköpfige Ensemble, darunter die Gäste Christian Kuchenbuch und Holger | |
Stockhaus, mimt Traumgestalten. | |
## In Sekundenschnelle von Horror auf Liebreiz | |
Fixstern ist Annie Nowak, die sich mutig in die Szenen schmeißt, in | |
Sekundenschnelle von Horror auf Liebreiz schaltet, weite Passagen des | |
Schnitzler-Textes in atemlosem Schnellsprech abspult und dabei lustige, | |
selbstgewisse und überspannte Akzente setzt. Die nervige Dringlichkeit der | |
Inszenierung mit ihren abrupten Ton- und Stimmungswechseln verkörpert sie | |
perfekt. | |
Immer wieder rottet sich das Ensemble zusammen, oft wird gesungen, Musik | |
gemacht und eingespielt, von Bowie über die Milliarden bis Bach. Nicht | |
konsequent, sondern assoziativ. Manchmal nimmt das Ensemble vorn an der | |
Rampe Platz, lässt die Beine in die erste Reihe baumeln und spricht leider | |
sehr leise vor sich hin, während dahinter ein weißer mondhafter Ballon | |
erscheint, bei dem es sich um den Planeten Melancholia handeln könnte. | |
Schnitzlers Novelle scheint in Frankfurt weniger lustgetrieben als ein | |
wirklich trauriger Text, der Endzeitstimmung verbreitet und von der | |
Einsamkeit der Menschen kündet und von Dekadenz. Eros prallt bei Hartmann | |
nicht nur auf Thanatos (Gott des Todes), sondern auch auf Zeitgeschichte. | |
Womöglich ist es kein Zufall, dass die Masken, unter denen das Ensemble | |
Totentänze tanzt, an die zerschossenen Gesichter der Soldaten im Ersten | |
Weltkrieg erinnern. Die Grube in der Mitte könnte demnach auch ein | |
Bombenkrater sein. So oder so, der Krieg scheint anwesend an diesem dunklen | |
Abend. | |
## Wenig Applaus, gar Buhs waren zu hören | |
Gut ankommen tut das nicht, so wenig Applaus ist selten bei einer | |
Frankfurter Premiere, Buhs und Bravos waren auch zu hören. Die Reaktionen | |
erweisen sich als ebenso over the top wie manches an der zuweilen | |
enervierenden Inszenierung: wieder Trockennebel, wieder im Kreis rasen, | |
noch ein Lied und noch einmal vorne an der Rampe sitzen. | |
Dazwischen aber funkeln irrsinnig tolle Theatermomente: Einer erklärt | |
Einsteins Teilchentheorie der spukhaften Fernwirkung wie einen Witz, | |
Christoph Pütthoff fällt sagenhaft und immer wieder aus der Rolle, Caroline | |
Dietrich triumphiert eiskalt als Femme fatale, und ja, schon wieder, Annie | |
Nowak tanzt hinreißend Charleston oder was sie dafür hält. Gegen Ende | |
stolpert, tanzt, ergibt und bäumt sich Holger Stockhaus im knallroten Anzug | |
auf, was aussieht, als kämpfe er mit Dämonen. | |
Beim Zusehen birgt das lange Weile, am nächsten Morgen indes kommt es einem | |
sofort wie geträumt in den Sinn. Hartmann inszeniert Schnitzlers Novelle in | |
solchen Traumfetzen. Am Ende ergibt das zwar keinen großen Wurf, von der | |
Konsistenz des Traums versteht man aber einmal mehr. | |
6 Mar 2023 | |
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## AUTOREN | |
Shirin Sojitrawalla | |
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