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# taz.de -- Scannen von Nummernschildern: „Nutzloses Sicherheitstheater“
> Kfz-Kennzeichen automatisch abzugleichen ist teils verfassungswidrig.
> Drei Bundesländer müssen jetzt ihr Gesetz anpassen.
Bild: Nummernschild versteckt unter Schnee: auch ein Weg, unerkannt zu fahren
Freiburg taz | Der automatische Abgleich von Auto-Nummernschildern mit
Fahndungsdateien ist doch ein Grundrechtseingriff. Das entschied jetzt das
Bundesverfassungsgericht und korrigierte ein [1][eigenes Urteil von 2008].
Die Landespolizeigesetze in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen müssen nun
punktuell nachgebessert werden.
Das Gericht setzte sich vor allem mit dem [2][bayerischen Gesetz]
auseinander. In Bayern bestehen 22 stationäre Anlagen zum
Kennzeichen-Abgleich (vor allem an Autobahnen) und drei fahrende Systeme,
die pro Jahr viele Millionen Nummernschilder scannen. Dabei werden die
Nummernschilder abfotografiert, von einer Software in digitale
Informationen übersetzt und mit Fahndungsdateien abgeglichen. Wenn kein
Treffer vorliegt, wird die Information sofort gelöscht.
Allerdings arbeitet die Software fehlerhaft und kann wohl die Zahlen O und
1 nicht von den Buchstaben O und I unterscheiden. Deshalb muss jeder
„Treffer“ von einem Polizisten kontrolliert werden. Über 90 Prozent der
Treffer entpuppen sich dabei als „unechte Treffer“ und werden ebenfalls
sofort wieder gelöscht. Mit den echten Treffern werden vor allem Fahrzeuge
erkannt, deren Halter die Versicherung nicht bezahlt haben.
Anlass war eine Klage des Informatikers Benjamin Erhart gegen den
Kfz-Kennzeichenabgleich in Bayern. Es handele sich um „nutzloses
Sicherheitstheater“, das aber geeignet sei, die Bevölkerung
einzuschüchtern. Er klagte sich durch die Instanzen, bisher ohne Erfolg. Da
er nicht in Fahndungsdateien registriert sei, liege kein Eingriff in
Grundrechte vor, so das Bundesverwaltungsgericht, nicht einmal bei
„unechten Treffern“. Tatsächlich hatte das Bundesverfassungsgericht schon
2008 entschieden, dass nur im Fall eines Treffers ein Eingriff vorliege.
## Staatlicher Eingriff in informelle Selbstbestimmung
Dies hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts nun mit fünf zu zwei
Richterstimmen korrigiert. Es handele sich schon bei der Erfassung der
Nummernschilder und erst recht beim Abgleich mit Fahndungsdateien um die
Verarbeitung personenbezogener Daten und damit um einen staatlichen
Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung.
Die Folge: Zur Rechtfertigung des Eingriffs ist ein Gesetz erforderlich,
das verhältnismäßig sein muss – was wiederum vom Bundesverfassungsgericht
kontrolliert wird. Diese neue Definition des Eingriffs hat auch Folgen für
Maßnahmen der Gesichtserkennung.
Hauptanwendungsfall des Kfz-Kennzeichenabgleichs ist in Bayern die im
Polizeiaufgabengesetz (PAG) geregelte Schleierfahndung. Die Richter
akzeptierten die Schleierfahndung, die anlasslose Kontrollen mit
Grenzbezug erlaubt, grundsätzlich. Sie sei gerechtfertigt, weil der Staat
bei fehlenden Grenzkontrollen auf ein wirksames Kontrollinstrument
verzichtet habe.
Die Richter halten die Schleierfahndung sowohl in einem
30-Kilometer-Korridor an der Grenze für zulässig als auch beispielsweise an
Flughäfen. Zu unbestimmt sei aber die Erlaubnis zur Schleierfahndung an
„Durchgangsstraßen“. Hier muss der Bayerische Landtag nachbessern.
## Regelung zur Schleierfahndung nachbessern
Auch mit Blick auf EU-rechtliche Anforderungen erklärte Karlsruhe die
Schleierfahndung für verhältnismäßig. Danach muss es klare Regelungen
geben, die verhindern, dass anlasslose Kontrollen im Inland die gleiche
Intensität wie die alten Grenzkontrollen annehmen. Dem werden deutsche
Gesetze bisher nicht gerecht, stellte im Februar 2018 der
Verwaltungsgerichtshof Mannheim fest, auf den sich die Verfassungsrichter
nun positiv beziehen. Hier dürfte eine der stärksten praktischen Wirkungen
des Karlsruher Urteils liegen.
Bayern muss nun die Regelung zur Schleierfahndung bis zum Jahresende im PAG
nachbessern. Das Gleiche gilt für eine Handvoll weiterer Detailkritikpunkte
der Verfassungsrichter. Auf die jüngst vorgenommene Verschärfung des PAG,
das Polizeimaßnahmen wie den Kfz-Kennzeichenabgleich schon bei einer
„drohenden Gefahr“ zulässt, gingen die Richter in diesem Urteil noch nicht
ein. Sie dürften dies aber eher kritisch sehen, da sie auch nicht jede
„konkrete Gefahr“ als Rechtfertigung akzeptierten, sondern nur Gefahren für
Leib, Leben und Freiheit von Menschen oder ähnlich wichtige Rechtsgüter.
Auch in den Polizeigesetzen von Baden-Württemberg und Hessen beanstandeten
die Richter mehrere Details. Weitere gesetzliche Regelungen zum
Kfz-Kennzeichenabgleich gibt es in Niedersachsen und Sachsen. Auch dort
muss man sich die Karlsruher Entscheidungen jetzt genau ansehen. Eine
Verfassungsklage von Piraten-Politiker Patrick Breyer gegen das
Bundespolizeigesetz liegt bereits vor.
5 Feb 2019
## LINKS
[1] https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/20…
[2] /Neues-Polizeigesetz-in-Bayern/!5529642
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
Bundesverfassungsgericht
Grundrechte
Polizeigesetz
Bayern
Baden-Württemberg
Hessen
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Flughafen
Dieselskandal
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