Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Russische Söldnerarmee Wagner: Privat nur auf dem Papier
> Söldner sind in Russland eigentlich verboten, trotzdem wurde die
> Wagner-Gruppe vom Staat gegründet. Was steckt hinter dem „privaten“
> Militärgeschäft?
Bild: Wagner-Söldner ziehen sich am Samstagabend aus der südrussischen Stadt …
Rund 24 Stunden lang dauerte der von Jewgeni Prigoschin ausgerufene „Marsch
für Gerechtigkeit“ der Wagner-Gruppe Richtung Moskau. Prigoschin, Chef der
Privatarmee, [1][erklärte am späten Samstagabend, seine Kämpfer
zurückzuziehen], und ging offenbar nach Weißrussland ins Exil.
Aber wer ist die Wagner-Gruppe? Gegründet wurde sie vor zehn Jahren und
existiert noch immer, obwohl das russische Gesetz Söldnertum mit Haft von
vier bis acht Jahren bestraft. Sie ist nach dem Decknamen eines seiner
Gründer benannt: Dmitri Utkin, bis 2013 Oberstleutnant, der in den Reihen
der Spezialeinheiten des russischen Militär-Nachrichtendienstes GRU an
beiden [2][Tschetschenienkriegen] teilgenommen hat.
Utkin, 1970 geboren, wählte diesen Decknamen aufgrund seiner Bewunderung
für Nazi-Deutschland und für Adolf Hitler. Wagner soll dessen
Lieblingskomponist gewesen sein.
Im Internet findet man ein Foto von ihm, auf dem er über dem rechten
Schlüsselbein eine Tätowierung mit SS-Runen hat. Auf der Brust prangt ein
Adler mit Hakenkreuz, das Staatswappen des Dritten Reiches. Darüber hinaus
warb Utkin einem seiner Kämpfer zufolge während der ersten ukrainischen und
syrischen Feldzüge gezielt Anhänger des russische Neuheidentums für die
Wagner-Gruppe an, eine religiöse Strömung, um den vorchristlichen
slawischen Glauben wieder zu beleben.
Allerdings sollte man die ideologische Komponente bei Wagner, die nur in
Anführungszeichen als „Privatarmee“ bezeichnet werden sollte, nicht
überbewerten. Hinter Wagner stehen der russische Staat und die
Geheimdienste, in erster Linie die Hauptgeheimdienstdirektion des
Generalstabs – der Heeresnachrichtendienst.
Tatsächlich wurde die Wagner-Gruppe von Wladimir Putin gegründet, um die
militärisch-politische Präsenz Russlands in den Ländern Asiens und
[3][Afrikas] zu erhöhen, ohne dass Russland selbst für mögliche Misserfolge
und Verbrechen der Gruppe, einschließlich aller Gräueltaten, zur
Verantwortung gezogen werden könnte.
## Vom Koch zum Militärführer
Die Gesamtleitung der Wagner-Gruppe sowie ihre Logistik wurden Jewgeni
Prigoschin anvertraut, einem gewöhnlichen Kriminellen, der zweimal
verurteilt wurde und zu Sowjetzeiten acht Jahre wegen Diebstahls, Raubes,
Betrugs und der Verleitung eines Minderjährigen zu kriminellem Handeln im
Gefängnis saß. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis stieg er in die
Gastronomie ein und machte in den wilden 90er-Jahren in St. Petersburg, wo
Wladimir Putin damals im Apparat des Bürgermeisters arbeitete, als
Unternehmer Karriere.
Anschließend wurde er zum persönlichen Koch des Präsidenten und schuf dank
seiner Nähe zum ersten Mann in Staat und damit verbundenen großzügigen
staatlichen Aufträgen ein Geschäftsimperium, ein weit verzweigtes
Geschäftsimperium vom Baugewerbe bis hin zu einer Trollfabrik, die Wähler
in Russland und dem Westen im Internet täuscht. Auch Angriffe auf und Morde
an einer Reihe von Oppositionelle/n und Blogger/n in Russland werden mit
Prigoschins Strukturen in Verbindung gebracht.
Wagner-Kämpfer sind in Dutzenden von Ländern eingesetzt – vor allem in
Afrika, wo sie Diktatoren und Präsidenten sowie strategische Einrichtungen
und Vorkommen von Bodenschätzen bewachen und in einigen Fällen die
bewaffnete Opposition niederschlagen. Einer Lesart zufolge besteht eine
ihrer Aufgaben darin, den afrikanischen Kontinent zu destabilisieren, um
eine Flüchtlingswelle in die Europäische Union auszulösen – mit dem Ziel,
die Lage dort zu untergraben und so die Aufmerksamkeit führender
europäischer Politiker von Putin abzulenken.
Darüber hinaus stellen Veteranen, die sich mit Blut befleckt haben – auch
das wiederum im Widerspruch zu den russischen Gesetzen – eine ideale
personelle Ressource dar, die die Behörden jederzeit nutzen können, um
Proteste im Land zu unterdrücken.
## Wagners Deal mit den Gefangenen
Die überwältigende Mehrheit der einfachen Mitglieder dieser Kompanie macht
nicht direkt mit, um Russland zu dienen, sondern um Geld zu verdienen. Auch
die Suche nach Abenteuern und Selbstbestätigung ist ein Motiv: Viele
treiben Armut, Elend, Hoffnungslosigkeit und Langeweile aus der russischen
Provinz. In der Regel stammen diese Menschen aus einkommensschwachen,
schlecht ausgebildeten und oft dysfunktionalen Familien.
In der Regel stammen die Rekruten aus einkommensschwachen, schlecht
ausgebildeten und oft dysfunktionalen Familien. Viele haben eine kriminelle
Vergangenheit. Der Grund: Wenn man in Russland aus dem Gefängnis entlassen
wird, gibt es keine Einstiegsmöglichkeiten mehr bei Armee, Polizei oder
Geheimdienst. Doch auch für alle anderen jungen Männer, die sich auf den
Kampfdienst einlassen, ist die Wagner-Gruppe attraktiver als die russische
Armee: Das Gehalt ist höher.
Als es an der Front im Krieg gegen die Ukraine nicht gut lief, besuchten
Prigoschin und Utkin ab 2022 persönlich Straflager und Gefängnisse und
forderten Gefangene auf, sich den Reihen ihrer Kompanie für Einsätze gegen
die ostslawische Demokratie anzuschließen. In den Medien tauchen
mittlerweile regelmäßig Fotos von Grabstätten der ehemaligen Gefangenen auf
riesigen Friedhöfen auf.
Laut Olga Romanowa, Leiterin der Menschenrechtsorganisation “Russland
hinter Gittern“, habe ihre Organisation eine Flut von Beschwerden und
Hilfegesuchen erhalten, die etwa wie folgt lauteten: „Ich sitze wegen
Vergewaltigung im Gefängnis, und obwohl ich einen Antrag gestellt habe, an
die Front zu gehen, bin ich immer noch im Knast. Und diejenigen, die wegen
Raubes, Mordes und Plünderung verurteilt werden, kämpfen bereits. Bitte
helfen Sie, Ungerechtigkeit zu korrigieren.“
Ein Vorschlaghammer ist zum inoffiziellen Symbol der Wagner-Gruppe
geworden, es ist mit außergerichtlichen Hinrichtungen im Kriegsgebiet
verbunden. Der berühmteste Fall war der auf Video festgehaltene Mord an
einem syrischen Deserteur. Er wurde geschlagen, dann wurde die Leiche unter
Gewitzel und Gesang zerstückelt und verbrannt. Journalisten identifizierten
alle Beteiligten des Massakers, Menschenrechtsaktivisten erstatteten
Anzeige bei den russischen Ermittlungsbehörden, ein Strafverfahren wurde
jedoch nicht eingeleitet.
Einer der Teilnehmer der Hinrichtung, der ehemalige Polizist Stanislaw
Dytschko (Deckmane „Skarabäus“), der zum Zeitpunkt der Veröffentlichung d…
Tat bereits in Russland lebte, kommentierte das Video dieser Hinrichtung
später im Internet. Er erinnerte sich an die Einzelheiten, schrieb
großspurige und drohende Kommentare in den Foren und starb bald darauf.
Vermutlich wurde er von den Geheimdiensten eliminiert.
## Ohne Rücksicht auf Verluste
Der Kampfstil der „Wagner“-Gruppe beinhaltet es, die eigenen Truppe ohne
Rücksicht auf Verluste zu opfern. Bildlich gesprochen soll der Feind im
Blut der eigenen Soldaten ertränkt werden. Während einer der lokalen
Gegenoffensiven der ukrainischen Streitkräfte in diesem Frühjahr, als
reguläre Armeeeinheiten begannen, sich unter den Angriffen des Feindes
zurückzuziehen, wurden „Wagnerianer“ in die Schlacht geworfen. Sie stoppten
den Feind, auch das bildlich gemeint, mit einem Berg ihrer eigenen Leichen.
Dies berichtete dem Autor dieses Textes sein ukrainischer
Promotionssstudent. Er war an den Kämpfen beteiligt und dient jetzt in der
ukrainischen Armee als Kommandeur.
Das politische Potenzial der Wagner- Struktur ist angesichts dieser
radikalen Vorgehensweise nicht als sehr hoch einzuschätzen. Scheinbar haben
sich diese Ambitionen, sollte es sie je gegeben haben, mittlerweile eh
erledigt.
Aus dem Russischen von Barbara Oertel
25 Jun 2023
## LINKS
[1] /Wagner-Aufstand-in-Russland/!5942784
[2] /Gefluechtete-aus-Tschetschenien/!5851549
[3] /Moskaus-enger-Partner-in-Afrika/!5841283
## AUTOREN
Alexander Gogun
## TAGS
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Russland
Wagner-Gruppe
Wladimir Putin
Jewgeni Prigoschin
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
EU-Gipfel
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine
Ukraine
Russland
Zentralafrika
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kriegsverbrechen der Wagner-Gruppe: Die ganze Kommandokette
Ein Ex-Ausbilder der Söldner will vor dem Internationalen Strafgerichtshof
aussagen. Es geht um entführte Kinder und den abgeschossenen Flug MH17.
EU-Gipfel diskutiert über Wagner-Aufstand: Risse im russischen System
Beim EU-Gipfel fordern osteuropäische Staats- und Regierungschefs mehr
Nato-Unterstützung. Eine gemeinsame Strategie zum Umgang mit Russland
fehlt.
Gescheiterter Wagner-Aufstand in Russland: Und wieder ist der Westen schuld
Nach dem gescheiterten Aufstand der Wagner-Gruppe tut Russland so, als sei
nichts gewesen. Im Fernsehen gibt es eine simple Erklärung für alles.
Krieg in der Ukraine: EU gibt mehr Geld für Militärhilfe
Die EU-Außenminister verkünden weitere 3,5 Milliarden Euro für die Ukraine
– und sprechen nach dem gescheiterten Putsch von „Rissen“ in Russland.
Deutsche Soldaten in Litauen: Robuste Brigade an die Ostflanke
Der deutsche Verteidigungsminister Pistorius will das Baltikum beruhigen.
Die Bundeswehr soll dort langfristig stärker zum Einsatz kommen.
Wagner-Aufstand in Russland: Verraten vom Hochverräter
24 Stunden ließ Prigoschin Russlands Präsidenten schwach aussehen. Der
Vertrauensverlust in Putins Regime ist groß, er hat die Söldner
unterschätzt.
Nach dem Aufstand der Wagner-Gruppe: Auf erste Freude folgt Ernüchterung
Trotz Scheitern des Aufstands sieht man in der Ukraine das russische Regime
im Zerfall. Die Raketenangriffe aus Russland hielten am Wochenende an.
Wagner-Aufstand in Russland: „Putin ist verwundbar“
Nach dem Wagner-Aufstand in Russland fordert der Vorsitzende des
Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth, mehr Einsatz der Nato-Staaten in der
Ukraine.
Gescheiterter Wagner-Aufstand: In Kyjiw isst man Popcorn
Während Jewgeni Prigoschin seine Söldner inzwischen zurückgerufen hat,
beobachten die Menschen in der Ukraine die Lage in Russland gespannt.
Wagner-Aufstand in Russland: Prigoschin stoppt offenbar seinen Marsch auf Moskau
Alles wieder vorbei? Die Lage nach dem versuchten Aufstand von Jewgeni
Prigoschin und seiner Söldnertruppe Wagner ist weiterhin unübersichtlich.
Den Marsch auf Moskau hat er nach eigenen Angaben offenbar beendet. Was das
für ihn und für Wladimir Putin heißt, ist unklar.
Krieg in der Ukraine: Russlands Schattenarmee
Die Wagner-Söldnerarmee war bisher vor allem Moskaus verlängerter Arm in
Afrika. Jetzt wird sie im Kampf gegen Kiew gebraucht.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.