# taz.de -- Russische Athleten bei Olympia: Schneller, höher, neutraler | |
> Im Weltsport ist der Umgang mit russischen und belarussischen Sportlern | |
> sehr unterschiedlich. Das spiegelt sich nun bei der Olympiafrage wider. | |
Bild: Medwedew gibt Autogramme auf einer russischen Flagge bei den Australian O… | |
Daniil Medwedew strahlte, wie es sich für einen Sieger gehört. Der | |
russische Tennisprofi hatte gerade das Turnier von Rotterdam gewonnen und | |
war um eine unansehnliche Trophäe sowie 387.940 Euro Preisgeld reicher. Als | |
ihm bei der Siegerehrung das Mikro in die Hand gedrückt wurde, setzte er zu | |
einer rührenden Botschaft an: „Ich wurde gefragt, ob ich diesen Sieg meiner | |
Tochter widmen würde. Doch ich widme ihn meiner Frau, denn sie hat mir das | |
schönste Geschenk, das ich je erhalten habe, gemacht: meine Tochter.“ Die | |
Fans lagen dem 27-Jährigen, der vor vier Monaten Vater geworden ist, zu | |
Füßen. Ihm, Medwedew, einem Sportler aus Russland. | |
Im Tenniszirkus hat sich nicht viel verändert, seit russische Truppen vor | |
einem Jahr zur Eroberung der Ukraine ausgerückt sind. [1][Bis auf | |
Wimbledon] waren russische Athleten bei jeden größeren und kleineren Event | |
präsent. Nur wer genau hingesehen hat, konnte erkennen, dass da etwas | |
fehlt, wenn Russinnen oder Russen auf den Platz gerufen werden. Während | |
hinter den Namen der anderen Sportlern auf den Ergebnistafeln Icons in den | |
jeweiligen Landesfarben zu sehen sind, fehlt bei ihnen jeder Hinweis auf | |
ihre Herkunft. Daran stört sich kaum jemand, so wie sich kaum jemand an der | |
Präsenz russischer Tennisprofis im Turnierzirkus stört. Dabei sein ist für | |
Profis aus Russland im Welttennis kein Problem. | |
Ob sie und Sportler aus anderen Disziplinen auch bei den Olympischen | |
Spielen 2024 in Paris dabei sein dürfen, darüber wird gerade heftig | |
gestritten. Thomas Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen | |
Komitees, hat die Tür zum Wiedereintritt in die Olympische Familie bereits | |
einen Spalt breit geöffnet. Als neutrale Athleten sollten die besten | |
Sportler aus Russland und Belarus in Paris mitmachen dürfen. Vielleicht | |
schauen sich Bach und die Seinen bisweilen ein Tennismatch an und denken | |
sich: Geht doch. Doch der Weg für Russland und Belarus zurück in den | |
Weltsport ist noch weit. | |
Wie es nicht geht, das können sie am IOC-Sitz in Lausanne gerade am | |
Beispiel des Internationalen Boxverbands IBA beobachten. Dessen | |
Mitgliedsverbände hatten im Mai des vergangenen Jahres den Russen Umar | |
Kremlew zum Präsidenten gewählt. Der nicht eben gut beleumundete Ex-Rocker, | |
der als einer der berüchtigten Nachtwölfe für Wladimir Putin auf dem | |
Motorrad durch sein Land gecruist ist, [2][hat im Oktober den Ausschluss | |
russischer und belarussischer Boxer von allen Wettbewerben aufgehoben.] | |
Derartige Ausschlüsse hatte das IOC nach dem Überfall Russlands auf die | |
Ukraine allen olympischen Verbänden empfohlen. Doch Kremlew fühlte sich | |
daran nicht länger gebunden. Die Folge ist eine Boykottwelle, wie sie manch | |
Beobachtender auch für die Spiele in Paris befürchtet, sollten Sportler aus | |
Russland und Belarus zugelassen werden. | |
## Mit russischer Nationalhymne | |
Wenn am 15. März die WM der Frauen im indischen Mumbai beginnt, werden | |
keine Athletinnen aus des USA, Polen, der Schweiz, den Niederlanden, | |
Großbritannien, Irland, der Tschechischen Republik, Schweden und Kanada in | |
den Ring steigen. Natürlich hat auch der ukrainische Boxverband seine | |
Teilnahme abgesagt. Kein Wunder: Unter Kremlew gibt es nicht die leisesten | |
Bemühungen um einen Sonderstatus. Die Flaggen von Belarus und Russland | |
dürfen gezeigt werden, und sollte eine russische Sportlerin den Titel | |
gewinnen, wird auch die Hymne gespielt. | |
[3][Ein solches Szenario hat das IOC schon ausgeschlossen.] Es hat | |
angekündigt, an so etwas wie einem neutralen Status für Athleten aus | |
Russland und Belarus zu arbeiten. Dass das gelingen kann, daran gibt es | |
erhebliche Zweifel. Und so haben sich bereits Regierungen aus 35 Nationen | |
gegen einen Rückkehr von Russinnen und Belarussinnen in die olympische | |
Familie ausgesprochen. Auch die für Sport zuständige Bundesinnenministerin | |
Nancy Faser (SPD) gehört zu den Kritikerinnen der Reintegration des | |
russischen Sports. Die olympischen Sportverbände warten derweil auf die | |
genaue Ausgestaltung einer Neutralitätsregel. | |
Wie schlecht eine solche aussehen kann, das war bei den jüngsten | |
Olympischen Winterspielen Anfang Februar 2022 zu beobachten. Wegen der | |
staatlich orchestrierten Dopingorgien im russischen Sport durften keine | |
russischen Teams mehr an internationalen Wettbewerben teilnehmen. In Peking | |
waren jedoch jede Menge Russinnen und Russen am Start. Sie starteten unter | |
der Fahne des Russischen Olympischen Komitees und nicht unter der der | |
Russischen Föderation. Als neutral hat das Team niemand wahrgenommen. Auch | |
die Selbstwahrnehmung war alles andere als neutral. | |
Als kurz nach den Spielen am 18. März der Jahrestag der Krim-Annexion mit | |
großem Trara und Staatspräsident Wladimir Putin im Moskauer | |
Luschnikistadion gefeiert wurde, winkte auch der eigentlich doch neutrale | |
dreifache Goldmedaillengewinner von Peking Alexander Bolschunow von der | |
Bühne und wurde so zum willigen Helfer der russischen Kriegspropaganda, dem | |
wahren Zweck der Veranstaltung. Moderiert wurde die Veranstaltung vom | |
bekanntesten Sportpräsentator Russlands. Jener Dmitri Guberniew war während | |
der Spiele auch dadurch aufgefallen, dass er im Pressezentrum an der | |
Langlaufstrecke eine handfeste Auseinandersetzung mit einem ukrainischen | |
Kollegen angezettelt hat, über die in russischen Medien genüsslich | |
berichtet worden ist. | |
## Russischer Propagandaapparat | |
Der Vorfall macht deutlich, dass das IOC mit der Zulassung russischer | |
Sportler auch jede Menge russischer Propagandisten in die Olympischen | |
Sportstätten holen würde. Als Guberniew mit seinem ukrainischen Kollegen | |
aneinandergeraten ist, hatte Russland seinen Angriff noch gar nicht | |
gestartet. | |
Zum Propagandaapparat der Russen gehörten in Peking auch jene Kollegen des | |
russischen Fernsehens, die nicht müde geworden sind, zu betonen, dass der | |
Westen aus russlandfeindlicher Motivation heraus versuchen würde, aus einer | |
unschuldigen 15-Jährigen Eiskunstläuferin eine Dopingverbrecherin zu | |
machen. Als sie ihre Kommentare [4][zum Fall Kamila Walijewa] in die Kamera | |
sprachen, trugen sie Fellmützen mit Sowjetemblemen. Die Reporter waren | |
ebenso wenig neutral wie die Athletinnen. | |
Während der gleichgeschaltete russische Sport auf eine Entscheidung des IOC | |
zu seinen Gunsten wartet, gibt es in Belarus eine ganz anders geartete | |
Debatte. Auch hier gibt es den offiziellen Sport, der von Präsident | |
Alexander Lukaschenko so gerne als Propagandawerkzeug verstanden wird. Es | |
gibt aber auch gut 2.000 kritische Menschen aus dem Sport, die in Folge der | |
gefälschten Präsidentschaftswahlen 2020 in einem offenen Brief ihren Unmut | |
über die Zustände in ihrem Land deutlich zum Ausdruck gebracht haben. | |
Sie haben unter Repressionen zu leiden, saßen oft lange im Gefängnis oder | |
haben ihr Heimatland längst verlassen. Sie plädieren für die Einrichtung | |
von einer Art Geflüchtetenteam, für das antreten darf, wer die Aggressoren | |
im Angriffskrieg gegen die Ukraine deutlich verurteilt. Nur diese „freien | |
Athleten“, wie sie vom unabhängigen Belarussischen Sportsolidaritätsfonds | |
genannt werden, sollten zu ihrem Recht kommen, bevor angepasste | |
Sportlerinnen die olympische Bühne betreten. Das fordert auch die im Exil | |
lebende Oppositionspolitikerin Swetlana Tichanowskaja. | |
Weit abseits von derartigen Debatten spielt Daniil Medwedew in dieser Woche | |
beim Turnier in Doha. Im Achtelfinale hat die Nummer acht der | |
Tennisweltrangliste mit 6:4, 6:3 gegen den Briten Liam Brody gewonnen. | |
24 Feb 2023 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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