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# taz.de -- Rückschau Filmfest München: Thriller mit Western-Qualitäten
> Auf dem Filmfest München zeigte sich erneut, dass der deutsche Film immer
> wieder hervorragende und aufregende Werke hervorbringt.
Bild: Klaus Lemkes Neo-Gammlerfilm „Unterwäschelügen“ lief auf dem Filmfe…
Wenn Henning (Henning Gronkowski) sein Reich abgrenzt, reicht ihm eine
verschlissene Schwimmbaddecke über dem Zaun, der am Georg-Elser-Platz,
unweit von Schwabing, die Bäume vom Gehsteig trennt. Dann noch ein Stuhl,
schon kann man lässig in den Tag wippen, während gegenüber im Café
Zeitgeist propere Leute Milchschaumgetränke schlürfen. Vielleicht lässt
sich einem von denen ja der Geldbeutel abluchsen.
Henning lebt in den Tag – prekär, aber mit abstrusen Ideen im Kopf („Im
Wirtschaftsteil der SZ steht, das nächste große Ding wird Kiffen“). Ein
Wannabe-Pimp, der bei Freundinnen duscht. Ein bisschen fühlt sich das an
wie das Gammlerkino der alten BRD: Junge Leute ohne Plan hängen lässig ab
in einem Film ohne Plot.
Ursprünglich wollte Klaus Lemke seinen jetzt beim Filmfest München
präsentierten „Unterwäschelügen“ in Berlin drehen. Nach abgebrochenen
Dreharbeiten folgte München, für Lemke, der mit seinem Impro-Fernsehkino
die Dynamik der urbanen Nischen erkundet, eine eigentlich zu Tode
gentrifizierte Stadt.
## Ein kinosüchtiger Haufen
So eine Nische war auch mal die heute saturierte Ecke vom (1997 so
benannten) Georg-Elser-Platz. Beim Filmfest München begegnete man dieser
Ecke gleich zweimal: In den 60ern residierte hier der „Türkendolch“, ein
legendäres, auf Klassiker spezialisiertes Kino und heiliger Boden für den
BRD-Film. Hier, und in der Kneipe Bungalow, formierte sich in den 60ern die
„Münchner Gruppe“, ein kinosüchtiger Haufen, darunter auch Lemke, die für
die Oberhausener zu jung und denen der Neue Deutsche Film zu deutsch war.
Als Ort der täglichen Begegnung rückte der „Türkendolch“ in den ersten
Filmen der Münchner ganz beiläufig ins Bild: In May Spils’ und Werner Enkes
„Zur Sache, Schätzchen“ etwa, mit dem sich das lässige Kino made in
Schwabing beim Publikum etablierte.
Die wilden Münchner Kinojahre stehen nun im Mittelpunkt von Frank Göhres,
Borwin Richters und Torsten Stegmanns reichem Dokumentarfilm „Zeigen was
man liebt“, der auch so etwas wie eine Spurensuche im heutigen Schwabing
darstellt, wo nichts mehr an die junge Clique und deren Kinoheißhunger
erinnert. Auch von Iris Berben, die viele Anekdoten beisteuert, würde man
ja nicht denken, dass hier ihre Wurzeln liegen. Damals noch als „hübsches
Mädchen“ in den Macker-Filmen von Klaus Lemke und Rudolf Thome
herumgereicht, ist ihr als einziger eine bruchfreie Karriere geglückt.
## Jugendliche Aufbruchsstimmung
Das passt gut zur versteckten Lakonie, mit der Lemke in seinem
Neo-Gammlerfilm die Orte seiner prägenden Jahre aufsucht: Hinter den
sanierten, modernisierten Fassaden liegt die jugendliche Aufbruchsstimmung
des Münchner Films begraben. Der Slacker Henning erscheint vor dieser
Kulisse nicht mehr nur als Fremdkörper, sondern beinahe schon als Spur zu
einer untergegangenen Welt. Passend dazu lässt sich Lemke in „Zeigen, wie
man liebt“ in jener Tiefgarage interviewen, auf deren Gelände sich einst
die Kneipe Bungalow befand, wo auch Wenders, Fassbinder und Andreas Baader
ein und aus gingen.
Diese Spurensuche passt auch gut zu den Debatten ums deutsche Kino im Jahr
von Maren Ades toller Komödie “Toni Erdmann“, mit dem das Filmfest München
als prominentes Forum für deutsche Filme nach dem beeindruckenden
Cannes-Erfolg mit Signalcharakter eröffnete: Es tut sich was im deutschen
Kino. Davon kündeten zuletzt auch Filme wie Akiz’ „Der Nachtmahr“,
Nicolette Krebitz’ „Wild“ und Nikias Chryssos’ „Der Bunker“, die be…
Kritik für Aufsehen sorgten.
Andererseits hat das vielleicht aber auch nur mit
Aufmersamkeitsverlagerungen zu tun. Entgegen seinem Ruf bringt der deutsche
Film immer wieder hervorragende und aufregende Filme hervor. Das markieren
auch die neuen, in München gezeigten Arbeiten etablierter Regisseure: Mit
den Fernsehfilmen „Polizeiruf 110: Wölfe“ und „Zielfahnder: Flucht in die
Karpaten“ zeigen sich Christian Petzold, beziehungsweise Dominik Graf auf
der Höhe ihrer Kunst.
## Vor wuchtiger Karpatenkulisse
Den Fernsehkrimi vermengt Petzold mit einem sanft schwelgenden
Liebesmelodram, dem noch geschickt Tropen des Horror-B-Movies untergehoben
wurden: Ein lebensweises, elegantes, stilsicheres Noir-Drama, in dem
Hauptdarsteller Matthias Brandt sich endgültig zum deutschen Robert Mitchum
auswächst. Und Grafs fiebrige, dabei stets hochkonzentrierte Jagd auf einen
Gefängnisflüchtling nach Rumänien gehört mit zum Besten, was der
Polizeifilm-Experte bislang gedreht hat: Vor wuchtiger Karpatenkulisse
entwickelt der mit Ronald Zehrfeld und Ulrike C. Tscharre hervorragend
besetzte Thriller überdies noch Western-Qualitäten.
Zeigen, was man liebt: Das Filmfest München beschränkt sich nicht auf
nostalgische Rückschau. Seine Schlaglichter auf den deutschen
Gegenwartsfilm versprechen auch eine aufregende Zukunft. Dass sich diese
zum Gutteil im Fernsehen abspielt und beträchtlich von nicht mehr ganz
jungen Männern bestritten wird, dient dem Kino und dem Nachwuchs als
Herausforderung.
15 Jul 2016
## AUTOREN
Thomas Groh
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