# taz.de -- Retrospektive von Harald Hauswald: Schnell, unerschrocken, frech | |
> „Voll das Leben!“ Eine Retrospektive bei c/o Berlin würdigt Harald | |
> Hauswald als Chronist der späten DDR und Meister der Straßenfotografie. | |
Bild: Harald Hauswald, Konzert von Big Country, Radrennbahn, Weißensee, Berlin… | |
Am 17. Januar 1984 notiert die Stasi um 14.50 Uhr, dass „Radfahrer“ aus | |
„dem Torweg zum Wohnhaus Kastanienallee 11“ getreten ist und „Umhängetas… | |
und Stativ mit sich“ führt. Um 16.25 Uhr kommt „Radfahrer“ aus einem | |
anderen Haus in derselben Straße: „Umhängetasche und Stativ hatte er wieder | |
bei sich.“ Später wird „Radfahrer“ noch Spielwarengeschäft, Bäckerei u… | |
Fischhandlung aufsuchen. | |
Die Stasi überwachte das Leben von „Radfahrer“, Klarname: Harald Hauswald, | |
dermaßen intensiv, dass auch belanglose Details festgehalten wurden. Sie | |
illustrieren, wie Hauswald den Alltag in den letzten Jahren der DDR so | |
unverstellt hatte festhalten können: Die Kamera war immer dabei. Die | |
Stasi-Akte eröffnet „Voll das Leben!“, die große | |
Harald-Hauswald-Retrospektive bei c/o Berlin. Man wird empfangen vom riesig | |
vergrößerten Deckblatt mit unverzichtbaren Informationen zu Größe („183 | |
cm“), Haarstruktur („glatt“) und Besonderheiten („starker Raucher“). | |
Das Observationsobjekt war aus Sicht der Stasi der gefürchtetste | |
Underground-Fotograf der DDR. Hauswald war, so charakterisiert ihn Felix | |
Hoffmann, Kurator der Ausstellung, ein „beobachteter Beobachter“, dessen | |
Bilder „ein Stachel im Fleisch“ der DDR waren. So bedroht fühlte sich das | |
Land von dem Mann mit der Canon A1, dass sie ihn nicht nur von bis zu 40 | |
Informellen Mitarbeitern überwachen ließ, sondern auch vorübergehend das | |
Erziehungsrecht für seine Tochter entzog. Die Werkschau konzentriert sich | |
auf Hauswalds Schaffen in den 1980ern – in jener Zeit sind seine | |
wichtigsten Fotos entstanden. | |
## Stasi-Akte und Überwachungsfotos | |
Wer den ersten Raum verlässt, in dem Auszüge der Stasi-Akte und | |
Überwachungsfotos an die Wand gepinnt sind, dessen Blick fällt sofort auf | |
eines der berühmtesten Hauswald-Porträts: Drei Werktätige sitzen | |
nebeneinander in der U-Bahn, zwei halten sich fest an ihren Aktentaschen, | |
alle drei blicken müde, frustriert, desillusioniert an der Kamera vorbei | |
ins Nichts. Zuhauf finden sich in der Ausstellung diese ikonografischen | |
Aufnahmen aus dem spätsozialistischen Alltag. | |
[1][Die DDR konnte damals kaum mehr verbergen,] dass sie dem Untergang | |
geweiht war: Die verwischten Fahnen am Rande der 1. Mai-Demonstration 1987; | |
der Berliner Dom, der sich in der Glasfassade des Palasts der Republik | |
spiegelt; die Impressionen von den Straßen Ostberlins, die Hauswald einfing | |
wie niemand sonst. „Es ist ganz subjektive Dokumentarfotografie, eine | |
klassische Straßenfotografie“, sagt die Fotografin Ute Mahler über den | |
Kollegen. „Dazu muss man gewisse Charaktereigenschaften haben, man muss | |
schnell sein, unerschrocken und auch ein bisschen frech.“ | |
## Wichtige Agentur | |
Vor 30 Jahren, kurz nach dem Mauerfall, haben Hauswald, Mahler und fünf | |
weitere ostdeutsche FotografInnen die Agentur Ostkreuz gegründet. Über den | |
Zeitraum der vergangenen beiden Jahre hat sich Mahler durch das noch nicht | |
katalogisierte Archiv des Kollegen gegraben. Sie hat circa 7.500 | |
Kleinbildfilme gesichtet, die der 1954 in Radebeul geborene Hauswald | |
belichtet hat. Dann hat sie das Konvolut auf 5.000 Bilder reduziert, die | |
anlässlich des 30. Jahrestags der Wiedervereinigung und auf Kosten der | |
Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eingescannt wurden. Diese | |
Auswahl wiederum wurde von Felix Hoffmann, Mahler und Co-Kuratorin Laura | |
Benz für Ausstellung und Buch auf 400 reduziert. | |
Es sind [2][Straßenszenen und Bilder aus Ostberliner Kneipen], Aufnahmen | |
von Tanzenden und Trinkenden, von Demonstrierenden und Jubelnden, von | |
Losungen an Häuserwänden, mit denen sich der Sozialismus seiner selbst | |
versicherte, und Soldaten, die diesen Sozialismus bewachen. Wer sie nun | |
sieht, diese Bilder, die in ihrer Gänze ein untergegangenes Land wieder | |
lebendig werden lassen, dem muss aber auch klar sein, dass diese | |
Ausstellung einen der letzten großen Vertreter einer wohl aussterbenden | |
Kunstform feiert. „Kaum eines dieser Fotos wäre heute durch die neuen | |
Bestimmungen und das Recht am eigenen Bild noch möglich“, sagt Ute Mahler. | |
„Diese spontane Fotografie sagt unendlich viel aus über den Ort und die | |
Zeit, aber das wird künftig wegfallen. Das Genre Straßenfotografie geht | |
seinem Ende entgegen.“ | |
Das war für Hauswald in den achtziger- oder auch frühen neunziger Jahren, | |
als er die Räumung der besetzten Häuser in Berlin-Friedrichshain und die | |
Streikenden in von der Abwicklung bedrohten Betrieben fotografierte, noch | |
kein Thema. Die Kamera war ihm, so hat er es selbst mehrfach formuliert, | |
nie nur Arbeitsmittel, sondern Schlüssel zur Welt. Sie war immer dabei, ob | |
am See mit der Familie oder bei seiner Arbeit als Telegrammbote, bei den | |
Hinterhofpartys der Ostberliner Bohème, auf den Rängen eines | |
Fußballstadions oder bei den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in | |
Rostock-Lichtenhagen. | |
Dort gelang ihm eines der beeindruckendsten Bilder in der Ausstellung: Die | |
graue Häuserwand eines Plattenbaus aus der Ferne, in einem der wenigen | |
Fenster steht klein, kaum zu erkennen, ein Mann und reckt den Arm zum | |
Hitlergruß. Viel mehr noch als das ungleich berühmtere Spiegel-Foto von dem | |
hitlergrüßenden Rostocker mit eingepullerter Jogginghose, fängt Hauswalds | |
Aufnahme unaufdringlicher, ja feiner die ganze Trostlosigkeit einer solchen | |
rechtsradikalen Existenz ein. | |
## Große Zärtlichkeit | |
Es ist eins der Fotos, auf die Mahler gestoßen ist, während sie sich durch | |
Hauswalds Schaffen arbeitete, und bei dem sie einen weiteren, noch wenig | |
bekannten Hauswald entdeckt hat. „Haralds Bilder sind auf den Punkt, aber | |
gerade die bekanntesten haben oft keine zweite Ebene. Es ist eine laute | |
Fotografie, manchen auch zu vordergründig“, sagt sie. „Doch während der | |
Recherche hat mich überrascht, dass ich auch viele leise Bilder gefunden | |
habe, die eine große Zärtlichkeit haben.“ | |
Diese zum Teil noch nie veröffentlichten Aufnahmen sind es, die die | |
Retrospektive zu mehr als der Greatest-Hits-Compilation eines verdienten | |
Künstlers machen. Bilder von seiner Familie oder jene, die Hauswald während | |
seiner Anstellung in der Stephanus-Stiftung zu Beginn der achtziger Jahre | |
fotografiert hat. Die Bilder von den behindertem Bewohnern der kirchlichen | |
Einrichtung in Berlin-Weißensee sind nie voyeuristisch, immer liebevoll, | |
stets empathisch. | |
Sie zeigen exemplarisch, dass Hauswald – wie es c/o-Geschäftsführer Stephan | |
Erfurt in der Pressekonferenz formulierte – nicht nur „der große Chronist | |
Ostberlins“ ist, sondern „auch ein Poet, der Bilder nicht nur findet, | |
sondern sucht“. | |
Hauswald selbst erzählt, dass er, als er die behinderten Menschen | |
fotografierte, erst lernen musste, lernen durfte, wie man Nähe zu seinem | |
fotografischen Objekt herstellt. Die Bilder aus der Stephanus-Stiftung sind | |
der Schlüssel dazu, dass aus ihm der Meister der Straßenfotografie werden | |
konnte, der in dieser Ausstellung zu bewundern ist. | |
15 Sep 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Fotoausstellung-Voll-der-Osten/!5482576 | |
[2] /Das-neue-Mietrecht-in-der-Praxis/!5055576 | |
## AUTOREN | |
Thomas Winkler | |
## TAGS | |
Ausstellung | |
Fotografie | |
Stasi | |
Berlin Prenzlauer Berg | |
DDR | |
Modefotografie | |
[tazze]IG | |
Fotografie | |
Lesestück Recherche und Reportage | |
Fotografie | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Nachruf auf Bert Papenfuß: „ich such das meuterland“ | |
Ende eines entschlossenen Lebens: Der Berliner Undergrounddichter Bert | |
Papenfuß ist gestorben. Er hinterlässt seine Frau, Kinder und Leser. | |
Fotografin Ute Mahler über Frauenbilder: „Damit wir ohne Posen auskommen“ | |
Die Fotos von Ute Mahler prägen bis heute das Bild vom Alltag in der DDR | |
und der Frau in Ostdeutschland. Ein Gespräch über ihre Arbeit – und | |
Selfies. | |
Jim Rakete über Klimaschutz und Ästhetik: „Selfies sind eine Krankheit“ | |
Der Fotograf Jim Rakete hat einen Film über die Klimabewegung gedreht. Ein | |
Gespräch über die Chancen von Aktivismus, Verzicht – und Havelländer | |
Gartenglück. | |
Fotografie aus den USA: Artefakte der Armut | |
Die Gesellschaft hat die Orientierung verloren. Fotografien aus den USA von | |
Jerry Berndt und Matt Black sind in Hamburg zu sehen. | |
Serie über die deutsch-deutsche Grenze: Rosenkranz und roter Stern | |
Auf dem Hülfensberg erinnert sich Bruder Johannes an die Zeit im | |
DDR-Sperrgebiet. Im Eichsfeld gelang es der SED nie, die Bevölkerung auf | |
Linie zu bringen. | |
Fotoausstellung „Voll der Osten“: Als das Bier 50 Pfennig kostete | |
… und Limo meist aus war. Wer die DDR nachträglich verstehen will, sollte | |
sich die Fotos von Harald Hauswald in der Ausstellung „Voll der Osten. | |
Leben in der DDR“ ansehen. | |
DDR-Mauerschüsse: Neue Weisung für alte Regel | |
Zum ersten Mal taucht ein Dokument auf, das detailliert belegt, wie brutal | |
die DDR-Führung an der Grenze vorging. Trotzdem handelt es sich nicht um | |
den lang gesuchten Schießbefehl |