# taz.de -- Retrospektive von Ewald Mataré: Vom Pazifismus der Kuh | |
> Verfolgt von den Nazis und fast vergessen: Der Bildhauer Ewald Mataré. | |
> Die Nachkriegs-BRD liebte seine Tierskulpturen, wiederzusehen in Kleve. | |
Bild: Glatt und gerundet sind viele Kühe Matarés wie diese „Grasende Kuh I�… | |
Der kürzlich [1][verstorbene Ausstellungsmacher Kasper König] war dafür | |
bekannt, kein Problem mit einer unpopulären Meinung zu haben. So verkündete | |
er in seiner Zeit als Direktor des Kölner Museums Ludwig mehrfach, dass | |
seine Lieblingsskulptur in direkter Nähe des Doms stehe. Wobei es „stehen“ | |
nicht trifft: Der Taubenbrunnen liegt vielmehr. | |
Das Brunnenensemble aus der Hand des Bildhauers Ewald Mataré (geb. 1887 in | |
Aachen, gest. 1965 in Meerbusch) besteht nur aus dem Nötigsten: Ein | |
Basaltquader mit Eisendeckel dient als Auslass für das Wasser, das dann in | |
einer nur wenige Zentimeter hohen metallenen Wanne spiralförmig nach innen | |
fließt. Das Ganze ist von einem flachen Mosaik umfriedet, der | |
Gesamtdurchmesser des Brunnens beträgt lediglich 5,40 Meter. Damit erhebt | |
sich die Brunnenanlage kaum über das Straßenniveau, wirkt eher wie ein | |
Stolperstein. | |
Mataré beschrieb die Einweihung 1953 in seinem Tagebuch: „[E]ine reizende | |
kleine frohgemute Angelegenheit“, und er fuhr fort: „Ein Musiker spielte | |
die erste Strophe von ‚La Paloma‘, dann wurde die Hülle vom Mosaikboden | |
entfernt, und als das erste Wasser in drei kleinen Strahlen das kleine | |
Becken gefüllt hatte, […] erklang die zweite und dritte Strophe […].“ | |
Die Bedeutung dieses Ereignisses lässt sich aus der drolligen Ausführung | |
nicht wirklich erschließen, dabei ist diese „Trinkgelegenheit für die | |
Domtauben“ der erste Brunnenbau in Köln nach dem Ende des Zweiten | |
Weltkriegs. Das Thema nicht zufällig: La Paloma, also die Taube, stand | |
nicht erst seit der Popularisierung durch [2][Pablo Picasso als Symbol für | |
den Frieden]. | |
Für Mataré waren Tiere wie Steinböcke, Muscheln oder Pferde nicht bloß | |
Lebewesen, sondern stets mit Bedeutung aufgeladen. Die formalen wie die | |
inhaltlichen Aspekte exerzierte er gleich hundertfach an Kühen, die bei ihm | |
in Drucken und als Skulpturen Verewigung fanden. | |
Während die eine Kuh geradezu naturalistisch gearbeitet wurde, zeigen sich | |
andere als glatte, runde, fauvistische Kunstkörper. Dann löste Mataré die | |
Wiederkäuer in ihre geometrischen Grundformen auf, wonach sie sich als | |
pyramiden- und würfelhafte Ansammlungen zeigten. Diese Spannweite und den | |
ganzen „Kosmos Ewald Mataré“ versucht eine aktuelle Ausstellung gleichen | |
Namens im niederrheinischen Museum Kurhaus Kleve aufzuzeigen. | |
Das Museum ist seit seiner Gründung 1997 in einem klassizistischen Badehaus | |
des ehemaligen Kurorts Kleve untergebracht und widmet sich nun auf drei | |
Geschossen und auf 24 (!) Galerien verteilt dem Œuvre und Leben des | |
Künstlers, dessen Bedeutung erst in den letzten Jahrzehnten wieder stärker | |
ins Bewusstsein gerückt wurde. | |
Daran hat vor allem der niederländische Kunsthistoriker Guido de Werd | |
Anteil, der seit den 1970er Jahren in enger Zusammenarbeit mit Sonja | |
Mataré, der Tochter Ewald Matarés, das Werk in Kleve sammelte und | |
aufarbeitete. Nach dem Tod von Sonja Mataré wurde de Werd Alleinerbe der | |
über 1.200 Werke umfassenden Sammlung, von der er große Teile dem Museum | |
Kurhaus Kleve schenkte. | |
Mitunter sind unerwartete Funde darunter: Etwa die noch preußisch-strengen | |
Anatomieskizzen und Frühwerke Matarés, die so gar nichts mit der Moderne zu | |
tun haben, sondern sich mit gekonntem Strich, wohl aber altbacken am | |
Historismus und (Spät-)Realismus orientieren. Entstanden sind sie noch in | |
Aachen und vor allem in Berlin, wohin es ihn 1907 trieb und wo er bei | |
[3][Lovis Corinth lernte], bevor er sich von dessen Stil zunehmend | |
frustriert fühlte. | |
Stattdessen stieß Mataré bereits 1920 das Tor zur Moderne weit auf und | |
wühlte sich durch Bildwelten dieser neuen Zeit: Die piktogrammhafte | |
Reduktion der Rheinischen Progressiven um Gerd Arntz und Heinrich Hoerle | |
verband er mit den strengen [4][geometrischen Formbildung des Bauhaus]es, | |
das er mehrfach besuchte. An anderer Stelle experimentierte er mit dem | |
synthetischen Kubismus eines Constantin Brâncuși und eines Picasso. Aus | |
alledem entwickelte Mataré einen eigenen Stil, der nur mit wenigen | |
Schwüngen oder Halbkreisen Kühe oder Küstenlandschaften darstellen konnte. | |
## Seelenbalsam für die deutsche Nachkriegsgesellschaft | |
Besonders deutlich wird dies in seinem (druck)grafischen Werk. Matarés | |
Erfolg beruht jedoch nach wie vor auf seinen Skulpturen, die ihn in den | |
1920er Jahren neben Ernst Barlach und Käthe Kollwitz berühmt machten. Seine | |
Skulpturen und Denkmäler – wie das des „Toten Soldaten“ in Kleve – bel… | |
wie sehr bei allen dreien die Schrecken des Ersten (und bei Mataré dann | |
auch des Zweiten) Weltkriegs zu einem humanitären, manchmal religiösen | |
Pazifismus geführt haben, der sie wiederum zur Zielscheibe | |
nationalsozialistischer Propaganda werden ließ. | |
Mataré selbst wurde bereits 1933, nur sieben Monate nach seiner Berufung, | |
als Professor an der Düsseldorfer Akademie entlassen, seine Skulpturen als | |
„entartet“ verfemt und in den Wanderausstellungen der Nazis als Exempel für | |
den angeblich „kranken Geist der Moderne“ gezeigt. Mithilfe kirchlicher | |
Auftraggeber konnte er sich im inneren Exil über Wasser halten. Erst nach | |
dem Ende der Nazidiktatur begann eine zweite Blütezeit, und seine | |
eindrucksvollen Arbeiten im öffentlichen Raum formten das Bild der BRD | |
nachhaltig. | |
In den ersten beiden Jahrzehnten nach der NS-Diktatur füllt sich das | |
Auftragsbuch, er wird zu einem der bedeutendsten Künstler im | |
Nachkriegsdeutschland, insbesondere im neu gegründeten Bundesland | |
Nordrhein-Westfalen. Seine Entwürfe für Soldatenfriedhöfe, | |
Kirchenausstattungen und Brunnen waren der antinazistischen Moderne | |
verpflichtet: Avantgardistisch, aber nicht aufrührerisch. Ihre | |
pazifistische, und auch katholische Ruhe war der Seelenbalsam einer | |
deutschen Nachkriegsgesellschaft, die noch gebeutelt war von der selbst | |
entfachten Unmenschlichkeit einige Jahre zuvor. Später wurde seine Kunst | |
aber auch deshalb als piefig empfunden. | |
Mataré sollte auch bald an die Düsseldorfer Kunstakademie als Professor | |
berufen werden, sollte sie sogar als kommissarischer Direktor leiten, was | |
aber an einem Konflikt mit der Regionalregierung scheiterte: Mataré wollte | |
keine Nazis unter den Professoren wissen, der Staatsapparat sah das anders. | |
Also widmete sich Mataré dort allein der Lehre, zu seinen erfolgreichsten | |
Schüler wurden [5][Erwin Heerich] und [6][Joseph Beuys]. | |
All das thematisiert „Kosmos“ mit Hunderten Exponaten. Trotz dieser | |
unfassbaren Masse an Objekten, Fotos und Kunstwerken werden die | |
Besucher*innen nicht erschlagen, man will sich immer tiefer | |
hineinbegeben in dieses beeindruckende Werk und Dokument der frühen BRD. | |
31 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Lars Fleischmann | |
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