# taz.de -- Kunst als Mittel der DDR-Diplomatie: Der Blick nach Skandinavien | |
> Die Ostseebiennalen wurden von DDR-Behörden kaum kontrolliert. An ihre | |
> Kunstszene erinnert eine Schau über den Dänen Jørgen Buch in Rostock. | |
Bild: Künstler Jørgen Buch 1977 neben seinem unfertigen Gemälde „Black&Whi… | |
Finger in blauen Gummihandschuhen berühren vorsichtig eines der vielen | |
Blätter mit Druckgrafiken, die hier im Depot der Kunsthalle Rostock | |
geordnet auf dem Tisch liegen. Eine Mitarbeiterin fotografiert eine | |
Lithografie. Neben jedem Kunstwerk fasst ein vergilbtes Kärtchen aus | |
DDR-Zeiten Namen und Biografie des Künstlers zusammen. Hans Scherfig, Dea | |
Trier Mørch, Jørgen Buch, Victor Brockdorff … Die alte | |
Schreibmaschinenschrift verrät auch die Staatszugehörigkeit: „Dänemark“. | |
„Im Rahmen der Ostseebiennalen hat die Kunsthalle eine bedeutende Sammlung | |
dänischer Künstler aufgebaut. Skulpturen, Gemälde, Druckgrafiken – | |
insgesamt mehr als 250 Werke“, sagt die Kuratorin Melanie Ohst. „Deshalb | |
verschaffen wir uns jetzt einen Überblick, gehen alle Werke durch, | |
digitalisieren sie und bewerten sie neu.“ | |
Wer kennt sie, die Ostseebiennalen? Für dieses Kunsttreffen kamen in | |
Rostock zwischen 1965 und 1989 regelmäßig Künstler aus Skandinavien und der | |
DDR zusammen. Über 1.000 waren es insgesamt, bis es mit der | |
Wiedervereinigung an Bedeutung verlor, 1996 war seine letzte Ausgabe. | |
„Die DDR-Regierung sah besonders gute Möglichkeiten, im nordischen Raum | |
Einfluss zu nehmen. Und mit den Biennalen öffnete das realsozialistische | |
Regime ein Schaufenster an der Ostsee. Die Ostseebiennalen müssen als | |
Kulturförderung und Propaganda-Initiative verstanden werden“, sagt der | |
Kunsthistoriker Kristian Handberg von der Universität Kopenhagen. Handberg | |
forscht über die hier eher unbekannten Aktivitäten dänischer Künstler in | |
der DDR. | |
## Keine Kuratoren, sondern Länderkommissare | |
Für das Kunsttreffen in Rostock arbeiteten die ostdeutschen Behörden direkt | |
mit den Künstlern und später auch mit den Künstlerverbänden auf beiden | |
Seiten des Eisernen Vorhangs zusammen. Sogenannte Länderkommissare | |
bestimmten schließlich, welche Künstler an den Biennalen teilnahmen. Über | |
diese dezentrale, eher anonyme Form des Kuratierens – sehr ungewöhnlich für | |
Kunstschauen, die doch meist unter der Regie einer Kuratorenpersönlichkeit | |
stehen –, kam künstlerisch ein breites Spektrum zustande: von klassischer | |
figurativer Malerei bis zu experimentellen Formaten. | |
Auch abstrakte Kunst fand dort Platz, obwohl sie im Realsozialismus als | |
spätbürgerlich, westlich und dekadent galt. Das außenpolitische Interesse | |
der DDR, Beziehungen zu den nordischen Ländern aufzubauen, übertrumpfte | |
letztlich ihre sonstige Kulturpolitik. | |
Künstler aus der DDR, Polen und der Sowjetunion einerseits und aus | |
Schweden, Finnland, Island, Norwegen, Westdeutschland und Dänemark | |
andererseits trafen während der Ostseebiennalen aufeinander. Das ambitiöse | |
Kulturprojekt brauchte dann auch einen Ort. 1969 eröffnete für seine dritte | |
Ausgabe [1][die Kunsthalle Rostock], entworfen von den beiden Architekten | |
des VEB Wohnungsbaukombinat Rostock, Hans Fleischhauer und Martin Halwas. | |
Ihr klarer, kubischer Bau im Stil einer sozialistischen Nachkriegsmoderne | |
war ein Prestigeprojekt des DDR-Regimes. Man kann es sich heute, nachdem | |
das Museumsgebäude bis 2023 länger saniert wurde, wieder vergegenwärtigen. | |
## Der dänische Realismus und der DDR-Realismus | |
In der Abteilung für Ölgemälde im Depot der Kunsthalle zieht Melanie Ohst | |
ein paar Werke von Victor Brockdorff (1911–1992) hervor – einem wichtigen | |
Künstler des Realismus im Dänemark der Nachkriegszeit. „Brockdorffs Gemälde | |
aus den 1960er Jahren weisen Parallelen zu Künstlern auf, die auch in der | |
DDR tätig waren. Die meisten von ihnen sind figurativ. Es handelt sich um | |
Porträts und Arbeiter in verschiedenen Alltagsszenen“, sagt Ohst. | |
Auch die großen Leinwände von Jørgen Buch (1943–2021) werden zum Vorschein | |
gebracht. „Der letzte Däne“ etwa von 1982. Eine düstere Warnung vor dem | |
Atomkrieg. Schwer bewaffnet und in eine Art Schutzanzug gekleidet, steht | |
eine unheimliche, einsame Gestalt auf den verkohlten Opfern einer | |
Katastrophe. | |
Die Malerei von Buch ist figürlich, provokant und oft satirisch. Auf seinem | |
Gemälde „Black & White“ posiert ein Mitglied des Ku-Klux-Klan mit einer | |
doppelläufigen Schrotflinte vor der Freiheitsstatue. Eine solche Kritik an | |
den USA und ihrem Rassismus kam in einer offiziellen Kunstschau der DDR gut | |
an. „Black & White“ wurde 1979 auf der 8. Ostseebiennale in Rostock gezeigt | |
und gelangte über Mittler dann auch in den Besitz der Kunsthalle. 10.000 | |
DDR-Mark erhielt Jørgen Buch dafür. | |
Das Gemälde landete schließlich auf Postern der Kunsthalle, wurde zu ihrem | |
Wahrzeichen. Wenn das Museum jetzt die vielen Werke dänischer Künstler aus | |
seiner Sammlung neu ausstellt, wird dabei Jørgen Buchs zentrale Rolle für | |
die Kunsthalle Rostock mit einer Sonderschau gewürdigt. Ihr Titel ist – | |
klar – „Black & White“. | |
## Von der Stasi beobachtet | |
Die SED-Diktatur vertrat bekanntlich eine recht einseitige, funktionale | |
Auffassung von Kunst. [2][Der offizielle Kunststil, der sozialistische | |
Realismus], feiert in starken Farben und mit freudigen Figuren den Aufbau | |
der Arbeitergesellschaft. Umso erstaunlicher ist es, dass auf den | |
Ostseebiennalen doch ganz andere Ausdrucksweisen möglich waren. | |
Die [3][Kunsthistorikerin Elke Neumann] zeigt in ihrer Dissertation über | |
die Ostseebiennalen, wie wenig die DDR-Behörden ihre Vorgaben über die | |
auszustellende Kunst kontrollierten. Das ließ den Ausstellungsmachern einen | |
Spielraum, den sie auszunutzen wussten. „Es musste nicht unbedingt der | |
sozialistische Realismus sein. Oft war die Rede von einem gedämpften | |
Alltagsrealismus, dann handelte es sich um Bilder von dänischen | |
Landschaften, zum Beispiel“, sagt auch Kristian Handberg. | |
So entstand in Rostock eine Kunstszene, in der verschiedene Kunstformen, | |
Ideologien und politische Systeme aufeinandertrafen. Vom konservativen | |
isländischen Maler Bragi Ásgeirsson bis zu Herluf Bidstrup – dänischer | |
Karikaturist und „Hardcore-Kommunist“, wie Handberg ihn bezeichnet. „Nur | |
wenige waren Verbündete des ostdeutschen Parteikommunismus. Einige waren in | |
ihren Heimatländern Kommunisten gewesen und gehörten zu einem linken | |
Milieu. Andere waren einfach neugierig und wollten selbst erleben, was in | |
der DDR los war“, sagt er. | |
In der angespannten Lage jener Jahre, unter der ständigen Bedrohung eines | |
Atomkriegs, suchten viele Künstler dann in Rostock einen freien Austausch | |
unter ihren Kollegen, fernab einer politischen Repräsentation, die diese | |
Biennalen auch bedeuteten. Vor allem die Gartenfeste des lokalen Bildhauers | |
Jo Jastram müssen immer wieder ein Ereignis gewesen sein. „Die Biennalen | |
hatten durchaus den Ruf, echte Künstlertreffen zu sein, mit allem, was | |
dazugehört, von Festlichkeiten bis zu reichlichen Mengen Bier und Schnaps. | |
Sie hatten eine ausgeprägte soziale Funktion“, fügt Handberg hinzu. Kaum | |
überraschend, dass auch die Stasi diese Szene stets beobachtete. | |
## Ein tabuiersiertes Kapitel der Kunstgeschichte | |
Während des politischen Umbruchs nach dem Mauerfall 1989 wurden die | |
internationalen Ausstellungen in Rostock langsam eingestellt. Für das Erbe | |
der Biennalen – die große Sammlung skandinavischer Kunst seit 1945 in der | |
Kunsthalle – interessierte sich viele Jahre niemand mehr. „Dieses Kapitel | |
der europäischen Kunstgeschichte galt lange Zeit als tabu und politisch | |
brisant. Die Tatsache, dass es sich um mehrere Künstler handelt, die einst | |
überzeugte Kommunisten waren, führte dazu, dass man Angst hatte, es | |
anzufassen. Auch deshalb fehlte das Bewusstsein dafür, was ein Ort wie die | |
Kunsthalle Rostock an Werken und Anekdoten verbirgt“, sagt Handberg. | |
4 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Malling | |
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