# taz.de -- Regierungsbildung a la Skandinavien: Mehrheiten sind in der Minderh… | |
> In Schweden, Dänemark und Norwegen hat die Regierung selten eine Mehrheit | |
> im Parlament. Kann das ein Vorbild für Deutschland sein? | |
Bild: Freuen sich über gute Ergebnisse, auch ohne Mehrheit: Norwegens Regierun… | |
STOCKHOLM taz | Nicht nur in Berlin wird derzeit eine neue Regierung | |
gesucht, sondern auch in Oslo. Die Parlamentswahl fand dort im September | |
zwei Wochen vor der deutschen Bundestagswahl statt. Erna Solberg, die | |
bisherige Regierungschefin und als Vorsitzende der konservativen Høyre auch | |
Parteifreundin von Angela Merkel, will wieder eine Koalition mit der | |
rechtspopulistischen Fortschrittspartei bilden. Es wird eine | |
Minderheitsregierung werden. Beide Parteien haben zusammen lediglich 72 der | |
169 Parlamentssitze. Ein Hindernis war das schon vor vier Jahren nicht. Da | |
konnte ihre Koalition ebenfalls nur auf 77 Sitze zählen. | |
In Norwegen, Schweden und Dänemark sind Minderheitsregierungen nicht die | |
Ausnahme, sondern die Regel. Schweden wurde sieben Jahrzehnte lang fast | |
durchweg von sozialdemokratischen Minderheitsregierungen regiert. In | |
Dänemark gab es in mehr als drei Jahrzehnten nur eine – kurzlebige – | |
Mehrheitsregierung. Auch derzeit regiert in Kopenhagen eine | |
konservativ-liberale Dreiparteienkoalition, die sich gerade einmal auf 53 | |
der 179 Mandate stützen kann. | |
Eine „Kanzlermehrheit“ wird Erna Solberg ebensowenig brauchen wie vor drei | |
Jahren in Stockholm Stefan Löfven, als er mit seiner rot-grünen Regierung | |
an den Start ging, die nur 138 der 359 Parlamentssitze hat. Entscheidend | |
ist, dass sich keine parlamentarische Mehrheit gegen eine solche Regierung | |
findet. | |
Dazu müsste sich in Stockholm die gesamte konservativ-liberale Opposition | |
mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten zusammentun – bislang ein | |
No-Go. Und in Oslo will Solberg über Zusammenarbeitsabkommen ein oder zwei | |
liberale Parteien an sich binden, damit es keine Mehrheit gegen ihre | |
Regierung geben wird. | |
## Das Lagerdenken dominiert | |
Außer in Finnland, wo es eine Vorliebe für breite Koalitionen gibt, wird | |
man in Skandinavien keine großen Koalitionen finden. Es herrscht noch ein | |
sehr starkes rechts-links Lagerdenken. Die Grundregel lautet: die größte | |
Partei erhält den Regierungsauftrag. Mit mehr oder weniger festen | |
Zusammenarbeitspartnern einigt man sich jeweils auf einer informellen oder | |
formellen Ebene. | |
Die schwedischen Sozialdemokraten konnten sich jahrzehntelang darauf | |
verlassen, dass Kommunisten beziehungsweise Linkspartei und später auch die | |
Grünen sich nicht auf die Seite der „Bürgerlichen“ schlagen würden. Erst | |
nach den Wahlen 2014 Jahren bestanden die Grünen erstmals auf einer | |
Koalition. | |
Mit einem detaillierten Regierungsprogramm besiegelte dagegen 2013 die | |
letzte norwegische Minderheitsregierung ihre Zusammenarbeit mit zwei | |
liberalen Parteien. In Dänemark wiederum verhilft die rechtspopulistische | |
Volkspartei der konservativ-liberalen Regierungen als permanenter Partner | |
zu ihren Mehrheiten. Sie konnte damit die Politik mindestens so erfolgreich | |
in ihre Richtung drehen, als wenn sie selbst in einer Koalition mitregiert | |
hätte. | |
Meist nur einmal im Jahr wird NorwegerInnen, DänInnen oder SchwedInnen | |
wirklich bewusst, dass sie eine Minderheitsregierung haben: Bei den | |
jährlichen Budgetverhandlungen kann es etwas heißer hergehen. Aber dann | |
müssen eben Kompromisse gefunden werden. | |
Wenn es um größere Reformvorhaben geht, etwa in der Renten-, Steuer- oder | |
Energierpolitik, schnüren beispielsweise in Schweden alle Parteien gerne | |
ein langfristig geltendes Paket zusammen, das dann unabhängig von | |
Regierungswechseln Bestand hat. | |
## Vorbild: Deutschland | |
Weil sich das links-rechts-Lagerdenken zusehends verwischt hat, halten | |
viele StaatswissenschaftlerInnen die nordischen Minderheitsregierungen für | |
ein Auslaufmodell. Auf kommunaler und regionaler Ebene gibt es diese Gräben | |
schon lange nicht mehr. | |
Innerhalb der Parteien wird nun immer öfter diskutiert, warum denn | |
Sozialdemokraten und Konservative nicht im Stockholmer Reichstag eine | |
Koalition bilden sollten, wenn man doch in vielen Stadtregierungen beste | |
Erfahrungen miteinander gemacht hat. Deutschland wird in solchen Debatten | |
übrigens gern als gut funktionierendes Beispiel genannt. | |
21 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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