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# taz.de -- Referentenentwurf zur Migration: Eine Chance zu bleiben
> Die Ampel will gut integrierten Geduldeten eine Perspektive geben. Zudem
> soll die Abschiebehaft für Straftäter*innen ausgeweitet werden.
Bild: BAMF-Außenstelle in Eisenhüttenstadt: Mehr Geduldete sollen eine Perspe…
Berlin taz | Nicht weniger als einen „Paradigmenwechsel“ in der
Migrationspolitik hat die Bundesregierung in ihrem [1][Koalitionsvertrag
versprochen]. Nun will die Ampel noch vor der Sommerpause das erste
Gesetzespaket in dem Bereich auf den Weg bringen. Das erklärte
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Dienstag in der
Bundespressekonferenz. Für gut integrierte Menschen ohne festen
Aufenthaltstitel soll es Verbesserungen geben. Gleichzeitig soll die
Möglichkeit der Abschiebehaft für nichtdeutsche Straftäter*innen
ausgeweitet werden.
Zentrales Element des Referentenentwurfs, der der taz vorliegt, ist das
sogenannte [2][Chancenaufenthaltsrecht]: Gut integrierte Geduldete, die zum
Stichtag 1. Januar 2022 seit fünf Jahren in Deutschland lebten, sollen für
ein Jahr eine Aufenthaltserlaubnis auf Probe bekommen. In dieser Zeit
sollen sie die Möglichkeit bekommen, die Voraussetzungen für ein
Bleiberecht zu erfüllen – darunter die Sicherung des Lebensunterhalts,
Sprachkenntnisse und den Nachweis ihrer Identität.
Ende 2021 hätten über 100.000 Geduldete bereits länger als fünf Jahre in
Deutschland gelebt, heißt es in dem Entwurf. Für sie reiht sich Duldung an
Duldung, ein extrem prekärer Status. Nun soll den gut Integrierten unter
ihnen „eine aufenthaltsrechtliche Perspektive eröffnet“ und die Zahl der
Geduldeten dadurch „deutlich reduziert“ werden – was auch die
Ausländerbehörden entlaste.
## Ausweitung der Abschiebehaft
„Die Elemente Humanität und Ordnung bedingen einander“, heißt es im
Referentenentwurf weiter. So soll parallel auch die im Koalitionsvertrag
angekündigte „Rückführungsoffensive“ angegangen werden: Es soll künftig
möglich sein, Straftäter*innen für bis zu sechs Monate in Abschiebehaft
zu nehmen. Eigentlich ist diese nur für maximal drei Monate zulässig, ein
Abweichen davon ist bislang nur bei Personen möglich, von denen „eine
erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter
der inneren Sicherheit ausgeht“.
Die Grünen-Migrationsexpertin und Bundestagsabgeordnete Filiz Polat
begrüßte, dass Faeser mit dem Chancenaufenthaltsrecht nun ein „zentrales
Vorhaben des Koalitionsvertrags“ auf den Weg bringe. Doch die Grünen,
inzwischen Regierungspartei, kritisieren das Instrument der Abschiebehaft
seit Langem. Wohl nicht zuletzt deshalb verwies Polat auf taz-Anfrage auf
das nun anstehende parlamentarische Verfahren und merkte an: „Noch handelt
es sich um einen Entwurf.“
„Keinesfalls braucht es die von der Ampel angekündigte
‚Rückführungsoffensive‘“, kritisierte sehr viel deutlicher Clara Bünge…
fluchtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag. Schon jetzt
würden im Abschiebungsalltag „rechtsstaatliche und humanitäre Grundsätze
massiv verletzt“ – etwa, wenn schwer kranke Menschen abgeschoben würden
oder es zu Familientrennungen komme. „Hier besteht Handlungsbedarf, und es
wundert mich schon, dass die angebliche Rechtsstaatspartei FDP dies nicht
sehen will und die Grünen eine solche Politik mittragen.“
Aus der SPD-Basis kam Zustimmung für das Chancenaufenthaltsrecht – und die
Forderung, über den Koalitionsvertrag hinauszugehen. Man müsse „die
Gelegenheit nutzen, um die richtigen Schlüsse aus den positiven Erfahrungen
beim Umgang mit Geflüchteten aus der Ukraine zu ziehen“, sagte Aziz
Bozkurt, Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD, und
nannte Beispiele wie Statussicherheit, freie Wohnortwahl oder die
unproblematische Arbeitsaufnahme. „Das nächste Migrationspaket muss neben
dem wichtigen Chancenaufenthaltsrecht auch eine Gleichbehandlung aller
Geflüchteten beinhalten“, so Bozkurt.
Auch Pro Asyl begrüßte den Entwurf zum Chancenaufenthaltsrecht. Dass
parallel zu den Verbesserungen aber auch die Abschiebehaft ausgebaut werden
solle, sei „wirklich enttäuschend“, sagte Wiebke Judith, rechtspolitische
Referentin der Organisation. Von einer Ampel-Regierung habe man sich mehr
erhofft. „Wir wissen aus der Praxis, dass schon jetzt etwa die Hälfte der
angeordneten Fälle von Abschiebehaft rechtswidrig ist. Statt dieses
rechtsstaatlich ohnehin schwierige Instrument auszubauen, wäre es höchste
Zeit, davon endlich mehr Abstand zu nehmen.“
7 Jun 2022
## LINKS
[1] https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a67…
[2] /Aufenthaltstitel-fuer-Geduldete/!5838992
## AUTOREN
Dinah Riese
Sabine am Orde
## TAGS
Nancy Faeser
Aufenthaltsrecht
Schwerpunkt Flucht
Migration
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