| # taz.de -- Rechtsprechung zur Meinungsfreiheit: Zu lasch? Aber nicht doch! | |
| > Sind Begriffe wie „Drecksfotze“ wirklich erlaubt? Natürlich nicht, | |
| > erklärte jetzt das Bundesverfassungsgericht in einer kleinen | |
| > Beschluss-Sammlung. | |
| Bild: Renate Künast als Aktivistin: Bild vom September 2019, Berlin | |
| Karlsruhe taz | Das Bundesverfassungsgericht wehrt sich. Seine | |
| Rechtsprechung zum Schutz gegen Beleidigungen sei nicht zu lasch, man müsse | |
| sie nur richtig anwenden. Das ist der Grundgedanke von vier Entscheidungen | |
| zu den Grenzen der Meinungsfreiheit, die das Gericht an diesem Freitag | |
| veröffentlichte. | |
| Im September letzten Jahres hielt das Landgericht Berlin die | |
| [1][Bezeichnung „Drecksfotze“ für die Grünen-Politikerin Renate Künast | |
| zunächst] für rechtmäßig, weil der Begriff im Zusammenhang mit einer | |
| politischen Diskussion über sexuellen Missbrauch fiel. Die Berliner Richter | |
| beriefen sich dabei auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts | |
| zur Meinungsfreiheit. | |
| Daraufhin forderten auch einige seriöse Medien Karlsruhe zu einer Änderung | |
| seiner Rechtsprechung auf. Eine mit drei Richtern besetzte Kammer nahm nun | |
| vier andere Fälle zum Anlass, die Rechtsprechung zu den Grenzen der | |
| Meinungsfreiheit noch einmal systematisch zu erklären. Federführend war | |
| Johannes Masing, der in Karlsruhe für Meinungsfreiheit zuständig ist, der | |
| aber demnächst turnusbedingt ausscheiden muss. | |
| ## Abwägung selten überflüssig | |
| Wichtigste Regel: Die Meinungsfreiheit hat keinen generellen Vorrang vor | |
| dem Ehrschutz. In aller Regel müssen Meinungsfreiheit und | |
| Persönlichkeitsrecht miteinander abgewogen werden. In drei Konstellationen | |
| ist sogar diese Abwägung überflüssig und es liegt automatisch eine | |
| Beleidigung vor: bei der Schmähkritik, bei der Formalbeleidigung und bei | |
| der Verletzung der Menschenwürde. | |
| Von einer Schmähkritik spricht das Bundesverfassungsgericht, wenn eine | |
| Beschimpfung keinen oder kaum Bezug zu einer sachlichen Auseinandersetzung | |
| hat, sondern wie bei einer Privatfehde das Ziel nur die Herabsetzung des | |
| Gegenübers ist. | |
| Eine stets strafbare Formalbeleidigung liege vor, so die Richter, wenn es | |
| um besonders krasse Schimpfwörter geht, vor allem aus der Fäkalsprache. | |
| Hierzu dürfte wohl auch der Begriff „Drecksfotze“ gehören. Man könnte au… | |
| von einer Fäkalbeleidigung sprechen. | |
| ## Strafbar: Strauß als „Schwein“ | |
| Immer strafbar ist auch eine Beschimpfung, die die Menschenwürde verletzt. | |
| Historisches Beispiel hierfür ist die Darstellung des früheren CSU-Chefs | |
| Franz-Josef Strauß als kopulierendes Schwein. | |
| In allen anderen Fällen ist eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und | |
| Ehrschutz erforderlich. Bei dieser Abwägung lässt Karlsruhe | |
| denStrafgerichten relativ viel Freiheit. Entscheidend sei nur, dass | |
| dienötigen Aspekte geprüft und ausreichend berücksichtigt werden. Karlsruhe | |
| will eine Verurteilung oder einen Freispruch nur bei groben | |
| Abwägungsfehlern aufheben. | |
| Vier Aspekte nennen die Verfassungsrichter für eine korrekte Abwägung. So | |
| ist erstens ein „Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung“ eher geschützt | |
| als die „emotionalisierende Verbreitung von Stimmungen gegen einzelne | |
| Personen“. Machtkritik ist – zweitens – vor allem dann geschützt, wenn s… | |
| das öffentliche Wirken einer mächtigen Person betrifft. Doch auch dann sind | |
| unter dem Deckmantel der Machtkritik nicht alle Beleidigungen zulässig. In | |
| einer „hitzigen Situation“ sollen die Strafrichter – drittens – eher auf | |
| Strafe verzichten, als wenn jemand mit Bedenkzeit andere herabwürdigt. Und | |
| schließlich spielt auch die Größe des Publikums eine Rolle. Eine | |
| Beschimpfung im kleinen Kreis wiegt weniger schwer als eine Beleidigung auf | |
| einer vielgelesenen Internetseite. | |
| In einem der nun entschiedenen Fälle hatte ein Vater in einem | |
| Sorgerechtsstreit die Richter als „asoziale Justizverbrecher“ bezeichnet. | |
| Dafür war er vom Amtsgericht Stuttgart-Bad Canstatt wegen Beleidigung zu | |
| einer Geldstrafe verurteilt worden. Die Verfassungsrichter billigten nun | |
| die Verurteilung des wütenden Vaters. Die Strafrichter hätten zurecht keine | |
| Schmähkritik angenommen, weil es um einen konkreten Konflikt ging. In der | |
| dann erforderlichen Abwägung habe aber nachvollziehbarerweise der Ehrschutz | |
| die Meinungsfreiheit überwogen. Dem Vater sei es mehr um persönliche | |
| Beschimpfung gegangen als um sachliche Machtkritik. | |
| 19 Jun 2020 | |
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| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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